Etwas abseits der grossen Schlagzeilen des Weltgeschehens publizierte das Bundesamt für Statistik (BFS) vor gut einem Monat die Bevölkerungsszenarien für die Schweiz für den Zeitraum von 2025 bis 2055. Man hätte erwarten können, dass angesichts der anstehenden Nachhaltigkeits-Initiative der SVP diesen Bevölkerungsprojektionen eine grössere Aufmerksamkeit zuteilwird. Das BFS kommt darin nämlich zum Schluss, dass die Bevölkerung der Schweiz im wahrscheinlichsten Szenario die Zehn-Millionen-Marke irgendwann zwischen 2040 und 2045 überschreiten wird – also innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes von 15 bis 20 Jahren.

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Der letzte Zuwachs der Bevölkerung um eine Million erfolgte in einem Zeitraum von nur gerade zwölf Jahren. Ein Blick auf die Erwerbsbevölkerung offenbart zudem, dass die Projektionen bereits der Realität hinterherhinken. Für 2025 geht das BFS von einer Erwerbsbevölkerung von etwas über 5,2 Millionen Personen aus; die jüngsten Zahlen der Erwerbstätigen liegen aber bereits für Ende 2024 bei knapp 5,4 Millionen. Das BFS dürfte folglich die Bevölkerungsentwicklung auch im wahrscheinlichsten Szenario erheblich unterschätzen.

Diese Diskrepanz ist für die Bevölkerungsprojektionen für die Schweiz insofern symptomatisch, als der wichtigste Treiber des Bevölkerungswachstums schon lange nicht mehr das natürliche Bevölkerungswachstum (Geburten minus Sterbefälle) ist, sondern der Wanderungssaldo (Zuwanderung minus Abwanderung). Im Gegensatz zum Geburtenüberschuss, der sich vergleichsweise einfach extrapolieren lässt, weil die Mütter im gebärfähigen Alter bereits geboren sind, ist der Wanderungssaldo notorisch schwierig abschätzbar. Dieser hängt wesentlich von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, und Schätzungen dazu über einen Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren sind spekulativ. Wer hätte vor zehn Jahren mit einem Krieg in Europa gerechnet? Oder mit einer Pandemie? Damit verkommen Bevölkerungsprojektionen für die Schweiz fast schon zum Kaffeesatzlesen.

Der Gastautor

Boris Zürcher war bis Ende 2024 Direktor für Arbeit beim Seco und ist neu regelmässig Gastautor der Handelszeitung.

Zur Illustration: Im Jahr 1964, dem Höhepunkt des Babybooms, kamen bei einer Bevölkerungsgrösse von rund 5,8 Millionen über 112’000 Kinder zur Welt. 2023 lag der Geburtenüberschuss bei knapp 9 Millionen Einwohnern noch bei etwas über 80’000. Der Geburtenüberschuss betrug 1964 59’000 Babys bei einem Wanderungssaldo von rund 20’000. 2023 betrug das natürliche Bevölkerungswachstum noch gut 8000 – Tendenz stark sinkend – bei einem aussergewöhnlich hohen Wanderungssaldo von fast 140’000. Das BFS geht davon aus, dass der Geburtenüberschuss beziehungsweise das natürliche Bevölkerungswachstum bereits in den kommenden zehn Jahren gänzlich zum Erliegen kommt.

Damit verschärft sich das demografische Trilemma akut. Gemäss diesem können eine tiefe Geburtenrate, eine geringe Zuwanderung und wirtschaftliche Prosperität nicht gleichzeitig erreicht werden. Die Schweiz hat bezüglich Geburtenrate bereits entschieden. Somit kann sie nur noch zwischen geringer Zuwanderung und anhaltend wachsender wirtschaftlicher Prosperität wählen. «Quick Fixes» über die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder steuerliche Anreize für Zweitverdiener und ähnliche Massnahmen werden kaum einen plötzlichen Anstieg des natürlichen Bevölkerungswachstums auslösen.
Letztlich erfordert wirtschaftliche Prosperität bei tiefem Wanderungssaldo eine signifikante Steigerung der Produktivität: Mit der gegebenen Erwerbsbevölkerung werden deutlich höhere Wertschöpfungszuwächse realisiert. Doch auch das erscheint in einer rasant alternden Bevölkerung und bei damit einhergehender Abnahme der gesellschaftlichen Vitalität und Innovationskraft wenig wahrscheinlich.