Das Reich der Harmonie gegen den Wilden Westen

Als im Sommer die Flutkatastrophe das Bundesland Nordrhein-Westfalen ergriff, kam eine Beileidsbekundung aus Peking: «Schwere Regenfälle töteten 133 Menschen in Deutschland. Das ist so traurig», kommentierte der Chef der «Global Times», Hu Xijin. «Es fehlte an frühen Wetterwarnungen, angemessenen Evakuationen und Notfallplänen. Ich hoffe, dass einige Beamte streng bestraft werden. In China wäre dies der Fall.» Hier das demokratische Larifari – da die chinesische Disziplin, die das Chaos verhindert hätte: Die kleine Einschätzung zeigt, wie sich das Regime in Peking mit trockenen Bemerkungen positioniert, im Inneren wie nach aussen. Die «Global Times», gegründet 1993, ist eines der Medien, wo das Reich der Mitte zeigt, wie es die Welt sieht und wie es von der Welt gesehen werden möchte. Natürlich findet sich dort auch allerlei klassische Propaganda – kein Tag ohne Ruhmesbotschaften über Staatschef Xi Jinping: Da blitzt dann Maos Erbe oft sogar im Look auf. Doch in seinen Medien für die ganze Welt – darunter «China Daily», der Ausland-Fernsehsender CGTN, die Kanäle der Staatsagentur Xinhua oder Shine – orientiert sich die KP-Spitze inzwischen stärker an Hollywood oder Fox News als am alten Kommunisten-Agitprop: Man arbeitet mit Charme und schönen Bildern, mit selektiver Auswahl und bissigem Witz. «Fast einer von drei Republikanern glaubt, dass Gewalt nötig sein wird, um die USA zu bewahren, so eine Umfrage»: Dies etwa eine völlig sachliche Meldung der Nachrichtenagentur Xinhua, vermeldet am 3. November 2021. «Waffengewalt kostet die USA 280 Milliarden Dollar pro Jahr. Mehr als 194’000 Menschen wurden in den letzten fünf Jahren in Amerika durch Waffengewalt getötet, macht im Schnitt rund 39’000 Tote pro Jahr, meldet ABC News»: Dies die ebenso sachliche Meldung von Xinhua einen Tag später. Und so weiter. In China, wo man Waffen höchstens bei einer Parade der Volksarmee sieht, sind das klare Signale: Amerika ist Wildwest – und sicher kein Vorbild. Ordnung versus Chaos – das Covid-19-Problem in einem Video der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua: Ohnehin bildet die andere Supermacht nur einen Teil der Welt, die hier dargestellt wird. In «China Daily» und Co. spielen die USA eine geringere Rolle als bei uns; und Europa findet ohnehin kaum statt (derzeit kann es allerdings wegen seiner im Vergleich zu China eher unautoritären Covid-19-Politik wieder mal als warnendes Beispiel dienen). Derweil geniessen vor allem die Schwellenländer – insbesondere Afrika und Zentralasien – doch eine erheblich grössere Beachtung als bei uns. Kein Wunder auch. Diese Staaten bieten eine gute Basis für diplomatische Erfolgsmeldungen («Ruanda erhält weitere Lieferung von Covid-19-Impfstoffen aus China») beziehungsweise Sympathiebekundungen («Liberias Vizepräsident lobt Chinas Unterstützung von Behinderten»). Gerade in diesen Beiträgen wird auch sichtbar, wie die Grossmächte in der Dritten Welt um Einfluss kämpfen. In den letzten Wochen brachten die chinesischen Organe beispielsweise eine Serie über einen Skandal in Afrika: Danach meldete die grösste Zeitung von Zimbabwe, dass die USA Reporter dafür bezahlten, Negativartikel über China und chinesische Investitionen zu platzieren – bis zu 1000 Dollar würden für passende Artikel offeriert. Die Quelle: «The Herald», grösste Zeitung im Land, im Besitz des Staates. Wobei man wissen muss, dass die Regierung in Harare ihr Land eng an die Seite Chinas geführt hat. Konsequent erscheinen die USA als aggressiver Player, der sich nicht an internationale Vereinbarungen hält – während China hilft, die UNO, die WTO oder die WHO zu stützen und stabilisieren. Und Amerika erscheint als Kultur, wo man allzu gern bereit ist, Konflikte mit Waffengewalt zu lösen; wohingegen China im Inneren harmonisch ist und im Ausland niemals Kriege führt. Das antiamerikanische Dauerfeuer der chinesischen Auslandmedien weckt mit am stärksten den Eindruck, dass hier längst ein neuer Kalter Krieg begonnen hat. Dabei können die Chinesen im Wettbewerb um Anerkennung viele Fakten vorlegen, mit denen sich ihr Weltbild glaubwürdig füttern lässt: hier Hilfe, da Aggressivität. Der Zusammenbruch in Afghanistan bot jüngst einen Musterfall. Die Botschaft, die sich damit verkünden liess: Die Amerikaner legten ein fernes Land in Trümmer, um sich selber sicherer zu fühlen. Und wie ein Scherzfilm von Xinhua bei dieser Gelegenheit erinnert, steckten die USA in 227 Jahren ihrer 245-jährigen Geschichte in einem Krieg. Zwei Stile wechseln sich ab in der chinesischen Aussendarstellung: Einerseits spiessen Tiktok-geschulte Medienmacher die Spannungen und Schwächen im westlichen System mit Pfiff und Ironie auf. Anderseits bricht insbesondere bei ökonomischen Themen die alte KP-Propagandaschule durch: Kein Tag, an dem «China Daily», «Global Times» oder Xinhua nicht satte Erfolge der heimischen Wirtschaft verkünden. Die Regierung in Peking interveniert gegen Tech-Konzerne und verstört die Börsen? Egal: «Chinesische Aktien sind immer noch attraktiv für globale Anleger.» Die Belt-and-Road-Initiative stockt? Trotzdem: «Über 80 Prozent der Länder und Weltgegenden erhielten 2020 Investitionen aus China.» China steht wegen seiner Kohleproduktion am Pranger? Mag sein, aber: «Chinas Logistikindustrie startet in eine grünere, smartere Ära.» Und überhaupt: Der Winter kann kommen, die Kohleproduktion wurde weiter erhöht. Auch hier: Die Darstellung baut auf soliden Fakten – zur Auswahl stehen allerdings nur positive Fakten. Der wackelnde Häusermarkt und der angeschlagene Immobilienriese Evergrande werden zwar nicht ganz ignoriert, aber sie erscheinen einfach als Ausnahmesituationen, die dem getreuen Handling von Regierung und Nationalbank anvertraut werden konnten (siehe etwa hier und hier). Mehr zum Thema Fünf Technologien, bei denen China den Westen abhängt (Abo) Podcast: Wie weiter mit China? Nico Luchsinger von der Asia Society Switzerland gibt Antworten.