Seit gut einem Jahr ist Conradin Cramer Regierungspräsident von Basel-Stadt. Er verteidigt die Millionenausgaben für den Eurovision Song Contest (ESC) seines Kantons und zeigt sich sicher, dass unter dem Strich ein Gewinn für die Region resultiert. Trotz einer Häufung von Grossanlässen im laufenden Jahr fürchtet er sich nicht vor negativen Reaktionen aus der Bevölkerung. Anders als bei der Zürcher Rad-WM seien die Einschränkungen für die Bevölkerung klein. 

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Herr Cramer, Basel-Stadt investiert 35 Millionen Franken in den ESC. Geht diese Rechnung wirtschaftlich auf, oder ist das einfach ein teures Prestige-Projekt für den Stapi?

Nein, wir machen das nicht einfach aus Spass an der Freude, sondern wir versprechen uns einen konkreten Nutzen für unsere Stadt. Dieser Nutzen ist ökonomisch bezifferbar. Kurzfristig vor allem in Hotellerie, Gastronomie, Detailhandel und Gewerbe, aber auch langfristig wird der Tourismus profitieren.

Mal Hand aufs Herz: Der Entscheid, sich zu bewerben, kam so schnell, da war doch gar keine fundierte Analyse möglich. Ging es nicht vor allem darum, dass der Basler Regierungspräsident die Rivalin Zürich ausstechen konnte?

Nein. Natürlich gibt es einen gesunden Wettbewerb unter den Schweizer Städten, aber zu gewinnen war  kein Selbstzweck. Wir hatten durchaus etwas Zeit, nachzudenken. Eine Studie zeigt, dass beim ESC in Liverpool eine Wertschöpfung von rund 60 Millionen Franken entstand. Das zeigt, dass es einen Hebel gibt, auch wenn das keine exakte Wissenschaft ist.

Liverpool spielt als Stadt doch in einer ganz anderen Liga. Ist das vergleichbar?

Natürlich hinken solche Vergleiche immer. Aber so ein ESC ist etwas anderes als etwa die olympischen Spiele, bei denen sich immer wieder Städte in Europa mit Verve bewarben und dann bös auf die Welt kamen. Hier bauen wir keine neue Infrastruktur, und die Chance ist gross, dass sich das ökonomisch auszahlt. Wir werden am Ende auswerten, wie gross die Wertschöpfung effektiv war – bei uns in Basel-Stadt, aber auch über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus.

Wie viel der Wertschöpfung wird in Basel selber anfallen?

Das wissen wir nicht. Ein grosser Teil der Übernachtungen und des gastronomischen Umsatzes wird sicher in der Stadt generiert. Gleichzeitig können wir die Region und die Schweiz weltweit präsentieren. Mittelfristig werden daher auch unsere Nachbarn profitieren.

Ist dieser immaterielle Nutzen – die Bekanntheit – nicht auch ein Vorwand, etwas zu legitimieren, das man nicht quantifizieren kann?

Es gibt schon Methoden, diesen Werbewert zu beziffern. Das macht man auch bei Sportanlässen oder in der Kultur. Dieser Effekt ist gigantisch: Für die Live-Übertragung des Finals am Fernsehen werden über 150 Millionen Zuschauer erwartet, dann noch einmal 80 Millionen zeitversetzt oder über Youtube. Wenn wir diese Präsenz kaufen müssten, wäre das sehr teuer.

2008 fand in Basel ein Teil der Männer-Fussball-EM statt. Ist das vergleichbar?

Ja und nein. Die Euro 08 fand in verschiedenen Städten in zwei Ländern statt. Zudem war stark vom Wetter und den Paarungen abhängig, wie sich die einzelnen Tage auszahlten. Beim ESC haben wir eine Exklusivität als Stadt. Die Fernsehshow findet auch statt, wenn es Katzen hagelt, denn sie ist in einer Halle, und wir werden dennoch Bilder vom sonnigen Basel zeigen können.

Sie reden von 60 Millionen Franken Wertschöpfung. Aber wird da nicht auch viel verdrängt? Veranstaltungen, die ausfallen?

Wir gehen nicht vor starken Verdrängungseffekten aus. Ja, es gibt Veranstaltungen, die wir zeitlich verschieben mussten. Und im Falle der UBS-Generalversammlung musste eine grössere Veranstaltung nach Luzern verlegt werden. Aber ansonsten hatten wir Glück. Standorte wie das Hallenstadion in Zürich hätten viel mehr absagen müssen.

Zur Person

In Zürich gab es nach der Rad-WM dicke Luft, weil die Stadt über Tage blockiert war. Drohen nicht auch Kollateralschäden solch grosser Veranstaltungen? Sie haben in Basel innert fünf Monaten die Fasnacht, den ESC, eine Woche Art Basel und im Juli noch die Fussball-EM der Frauen. Reizt man da nicht die Akzeptanz aus?

Es stimmt, es ist dieses Jahr viel los in Basel. Aber das sind unterschiedliche Veranstaltungen, die ein unterschiedliches Publikum ansprechen. Der eine ärgert sich über etwas, der andere freut sich darüber. Hätten wir wählen können, hätten wir den ESC und die Women’s Euro sicher nicht so nahe aufeinander geplant. Aber wir hatten nur diese Option, und da haben wir die Chance gepackt. Das Problem der Rad-WM war, dass wichtige Verkehrsachsen blockiert wurden. Wir dagegen belegen vor allem Fussgängerzonen und Ausgehmeilen mit den ESC-Veranstaltungen. Die Wohnquartiere, also dort, wo die meisten Leute leben und im «Konsi» einkaufen gehen, sind davon mehrheitlich nicht betroffen.

Mit der OSZE-Konferenz gab es 2014 ein Grossereignis mit Einschränkungen für die Bevölkerung, das eher keine Wertschöpfung ausgelöst hat. Wieso macht man so etwas?

Ja, da gab es diese Geschichte in den Medien mit der Zürcher Kantonspolizei, das ist aber kein repräsentatives Beispiel. Die Zusammenarbeit unter den Kantonen läuft gut, insbesondere mit unseren Nachbarn. Der Anlass findet ja formell im Kanton Basellandschaft statt, denn die St. Jakobshalle liegt jenseits der Kantonsgrenze. Nicht zuletzt erhalten wir auch Unterstützung von Bundesbehörden wie dem Fedpol. Auch die Armee unterstützt uns. So wie das auch am WEF oder bei anderen grossen Veranstaltungen ist.

Ein Stadtkanton wie Basel-Stadt ist auf Zusammenarbeit angewiesen. Da kommt es nicht gut an, wenn man erst Zürich ausbootet und dann um Polizisten für die Sicherung des Anlasses anfragt. Der Kanton Zürich schickt: Null.

Ja, da gab es diese Geschichte in den Medien mit der Zürcher Kantonspolizei, das ist aber kein repräsentatives Beispiel. Die Zusammenarbeit unter den Kantonen läuft gut, insbesondere jene mit Baselland. Der Anlass findet ja formell im Kanton Basellandschaft statt, denn die St. Jakobshalle liegt jenseits der Kantonsgrenze. Nicht zuletzt erhalten wir auch Unterstützung von Bundesbehörden wie dem Fedpol. So wie das auch am WEF oder bei anderen grossen Veranstaltungen ist.

Wie unterscheidet sich etwas Einmaliges wie der ESC von einem wiederkehrenden Ereignis wie dem WEF?

Wiederkehrende Anlässe wie die Art Basel oder das Tennistournier Swiss Indoors bilden den Kern der langfristigen Ausstrahlung der Stadt. Und darum ist es für uns besonders wichtig, zu diesen Sorge zu tragen. Darüber hinaus gibt es die Kür: Einmalige Sportanlässe wie die Women’s Euro oder den ESC, bei denen man noch einen Akzent setzen und ein Feuerwerk zünden kann. Darf ich etwas noch erwähnen?

Aber sicher doch.

Sie haben Kollateralschäden angesprochen, und dass es für einige zu viel werden könnte. Ich möchte nicht abstreiten, dass es das geben mag. Aber wichtiger ist der emotionale Gewinn, den wir davon haben. Leute, die Freude haben und stolz sind auf ihre Stadt. Die finden, endlich läuft da mal etwas. Wir haben innert extrem kurzer Zeit eine gigantische Sache auf die Beine gestellt. Und das erst noch mit direkter Demokratie: Die 35 Millionen wurden nicht einfach von Politikern beschlossen, sondern vom Volk gutgeheissen.

Also wie im alten Rom: Brot und Spiele, damit die Senatoren wieder gewählt werden?

Eben gerade nicht. Haben Sie den Film «Gladiator 2» gesehen? Da wurden die Spiele von oben bestimmt, während das Volk hungerte. Wir haben eine öffentliche Diskussion geführt, und da ist es weniger darum gegangen, ob der ESC eine Satanistenveranstaltung sei, sondern darum, was es kostet, was es bringt und ob wir uns das leisten wollen. Und zwei Drittel haben in der Volksabstimmung Ja gesagt. Das ist das Gegenteil von Brot und Spiele.