Die China-Strategie der Schweiz auf dem Prüfstand

Bestätigen will es keiner. Aber der Fall ist exemplarisch für Hindernisse in China. Zwei Schweizer Hersteller von Babynahrung warten seit bald zwei Jahren auf eine Verkaufslizenz. Es sind dies Nestlé und Hochdorf. Wo es klemmt, weiss keiner. An der Qualität kann es nicht liegen. «Chinesische Audits hier vor Ort haben wir erfolgreich bestanden», sagt ein Hochdorf-Sprecher. Warten, warten und nochmals warten. Eine Recherche unter Firmen und Wirtschaftsverbänden der wichtigen Branchen zeigt: Investoren, Banken und Exporteure brauchen in China eine Engelsgeduld, um Fuss zu fassen. Und dies, obwohl die Schweiz seit 2013 mit China über ein Freihandelsabkommen verbunden ist. Das «besondere Verhältnis» wurde x-fach beschworen. Deshalb macht sich hierzulande Frustration breit: Was will China mit der Schweiz wirklich? China-Turbos und China-SkeptikerVor diesem Hintergrund und bei wachsender internationaler Kritik an der Menschenrechtslage in China entscheidet der Bundesrat demnächst über eine sogenannte China-Strategie. Sechs der sieben Bundesräte sind involviert. Man kann sie grob in zwei Lager einteilen: die China-Turbos und die China-Skeptiker. Zu den Turbos gehören Ueli Maurer und Guy Parmelin. Sie vertreten die Wirtschaft. Maurer will die Banken in China vorwärtsbringen. Parmelin versucht den Export zu fördern, Niederlassung in China zu erleichtern und Touristen anzulocken. China war bis vor Corona die viertwichtigste Gästenation mit 1,4 Millionen Logiernächten. Auf der Skeptikerseite steht zunächst Infrastrukturministerin Simonetta Sommaruga. Sie wird bombardiert mit Forderungen im Parlament, den vermeintlich drohenden Ausverkauf von Infrastruktur wie Stauseen zu verhindern sowie die Unterwanderung der Telekommunikation durch chinesische Firmen, etwa Huawei, zu unterbinden. Ähnliches fordert das Parlament bezüglich Geschäftsimmobilien. Da ist Justizministerin Karin Keller-Sutter («Lex Koller») gefordert. Eine Front gegen China baut sich aufZum selben Lager gehört Viola Amherd als Chefin des Nachrichtendienstes (NDB). Dieser bekämpft Wirtschaftsspionage und Cyberangriffe. Eine neue NDB-Studie vom Januar zeigt, dass die Täter im Länderranking am zweithäufigsten aus China stammen. Und schliesslich sitzt Aussenminister Ignazio Cassis in diesem Lager: Sein Departement verantwortet den Menschenrechtsdialog. Und dort ist der problematische Umgang mit dem Volk der Uiguren das grosse Thema. Autorin Didi Tatlow warnt vor dem systematischen Technologietransfer nach China: «Wir müssen aufhören, unsere Abhängigkeiten mit China zu vertiefen» International baut sich eine Front gegen China auf. Im Herbst verbot der britische Zoll den Import aus der Uiguren-Provinz. Im Januar taxierte der frühere US-Aussenminister Mike Pompeo die Vorgänge als Völkermord. Und Mitte Februar erklärte das niederländische Parlament als erstes EU-Land Chinas Vorgehen als Genozid. Wirtschaftsvertreter erwarten mit Spannung, wie sich der Bundesrat positionieren wird. Der Tenor: Man findet es richtig, dass Cassis die Lage anspricht. Aber man sehe es nicht als Aufgabe, auf Chinas Repressionen zu reagieren. Anders sehen es die Modelabels Adidas, Uniqlo und H&M: Im Herbst sagten sie vor dem britischen Parlament, es sei unethisch, Baumwolle aus Xinjiang zu beziehen. Handel bringt Wandel?Ein Boykott ist hierzulande rar. Und so dürften Maurer und Parmelin im Bundesrat das Oberwasser behalten. «China ist ein extrem wichtiger Partner», sagt der Präsident des Wirtschaftsdachverbandes, Christoph Mäder. Die Schweiz sei «hoch angesehen in China» und sollte sich dies zunutze machen. «Wir müssen im Dialog bleiben, so erreichen wir mehr, als wenn wir das Land brüskieren.» Natürlich löse das Machtstreben des Landes Unbehagen aus, dies könne er verstehen. Doch für ihn gilt: «Handel bringt Wandel.» Der chinesische Mittelstand wachse und habe mehr Freiheiten als früher. Die staatlichen Fesseln für die Wirtschaft würden schrittweise gelöst. Ein Beispiel: Lange galt für Schweizer Unternehmen die Pflicht zu einem Joint Venture mit Chinesen. Doch jetzt wird diese Pflicht branchenweise aufgehoben. Immer mehr Schweizer erwerben Mehrheiten an chinesischen Töchtern. Das jüngste Beispiel: Kühne + Nagel kaufte im Februar für 1,5 bis 2 Milliarden Franken einen chinesischen Logistiker. Dank guten Beziehungen zu China, sagt Mäder, habe die Schweiz Vorteile im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen. Achtmal so viel Handel mit China wie 2000Ein Blick in die Zahlen zeigt das Resultat: Die Investitionen der Schweiz in China sind in zwanzig Jahren von 2 auf 22,5 Milliarden Franken angewachsen. Dies entspricht 1,6 Prozent des weltweiten Kapitalbestands. Die Rendite daraus floss in die Schweiz zurück, jährlich 2,5 bis 3,5 Milliarden. Dagegen sind die Kapitalerträge chinesischer Investoren in der Schweiz noch bescheiden: Sie betragen weniger als eine halbe Milliarde pro Jahr. Das heisst: Für die Schweiz ist China wichtiger als umgekehrt. Auch der Handel mit China wuchs seit 2000 rasant. Grob gesagt: Er verachtfachte sich von 2 auf 16 Milliarden Franken, während sich die Gesamtexporte der Schweiz in der gleichen Zeit bloss verdoppelten. Den Löwenanteil am Export holen sich Pharmaprodukte (5,6 Mrd.), Präzisionsinstrumente, Uhren und Bijouterie (4 Mrd.) und Maschinen, Apparate und Elektronik (2,5 Mrd.). «Es gibt Schweizer Unternehmen, die einen Viertel ihres Umsatzes allein in China erzielen», sagt Martin Hirzel, Präsident des Verbandes Swissmem. Er vertritt die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. China habe für diese Sektoren «eine massive Bedeutung», etliche Firmen hätten vor Ort eine Filiale aufgebaut. Hirzel selber arbeitete dort sieben Jahre für Rieter und Autoneum. Forderungen der WirtschaftUnd dennoch, es gibt viel Luft nach oben. Beobachter sagen, dass seit dem letzten Besuch des chinesischen Aussenministers Wang Yi in Bern kein Fortschritt erzielt wurde. So warten etwa die Banken noch immer darauf, dass sie sich in China frei niederlassen können. Dies im Gegensatz zu chinesischen Banken, die hier nicht diskriminiert werden. Zwei sind heute zugelassen. «Ein gleichwertiger Zutritt wäre ideal», sagt der Direktor der Bankiervereinigung Jörg Gasser. Die Nahrungsmittelhersteller verlangen, dass es «in China zu weiteren Öffnungsschritten kommt und dass die Regularien einfach umsetzbar sind», sagt Lorenz Hirt, Direktor des Nahrungsmittelindustrieverbandes Fial. Auch hier die Ungleichbehandlung. Ein chinesischer Importeur kann hierzulande ohne Bewilligung Nahrungsmittel vertreiben, während eine Schweizer Firma in China viele Hindernisse zu durchlaufen hat. So darf beispielsweise ein Schweizer Exporteur nur drei Produktmarken einführen. «Die fehlende Gleichbehandlung ist wohl das grösste Problem in der China-Beziehung», sagt auch Mäder. In China gebe es «kein freies Investieren». Es herrsche ein «Regulierungsdschungel» und eine «sehr grosse Bürokratie». Das Dickicht an Vorschriften zu durchdringen, sei nicht trivial. Nur wenn ein Projekt hohe staatliche Priorität geniesse, gehe es schnell. Doch von einem solchen Support können viele nur träumen. Mäder erwartet vom Bundesrat, dass er in China das volle Gegenrecht und die Gleichbehandlung für Schweizer einfordert. Swissmem-Präsident Hirzel fordert klare Regeln zum Schutz von Investitionen. Er sagt, der Bundesrat solle die Menschenrechtsfrage ansprechen. Aber er warnt die Politik davor, in der Schweiz Investitionskontrollen für China-Firmen einzuführen. «Wir sollten dem Land keine Steine in den Weg legen. Wir würden uns so nur selber schaden.» Andere finden, dass politischer Druck nötig sei. Nur so bringe man das Verhältnis vorwärts. Verbandschef Hirt sagt wohl zu Recht, es sei inakzeptabel, dass Schweizer in China jahrelang auf eine Bewilligung warten. So herablassend werden nur Juniorpartner behandelt.