Die Wahlen zum Europäischen Parlament vom Sonntag haben das Potenzial, die politische Landschaft auf dem Kontinent nachhaltig zu verändern. Denn als eine Art Trotzreaktion auf das starke Abschneiden der rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) in Frankreich hat Staatspräsident Emmanuel Macron das französische Parlament aufgelöst und auf Ende Juni Neuwahlen angesetzt. Damit besteht die reale Möglichkeit, dass die wirtschaftspolitisch wenig bewanderte Truppe um Marine Le Pen die Regierung in Europas zweitgrösster Volkswirtschaft stellt. Das ist nicht im Interesse der Schweiz. 

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Im EU-Parlament insgesamt ist dabei der Durchmarsch der stramm Rechten ausgeblieben, auch wenn sie zugelegt haben. Der Einfluss der RN und der deutschen AfD in Strassburg wird allein deshalb schon begrenzt bleiben, weil die verschiedenen Gruppierungen untereinander stark zerstritten sind. Italiens Postfaschisten um Giorgia Meloni stehen zum Beispiel fest an der Seite der Ukraine, die AfD dagegen biedert sich Russland an. 

Die Schweiz ist Profiteurin des EU-Binnenmarktes

Der Paukenschlag kommt aus Paris. Der Schweiz kann es nicht egal sein, wer beim wichtigen Nachbarn im Westen regiert. Als Exportnation hat die Schweiz ein ureigenstes Interesse daran, dass in den europäischen Hauptstädten keine Geisterfahrer unterwegs sind. Allein ein kurzer Blick in das Wahlprogramm der RN lässt einen da aber erschaudern: 20 Milliarden Euro extra für das Gesundheitssystem, Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie, Rente mit sechzig: Wird das auch nur ansatzweise umgesetzt, steuert Frankreich auf den Staatsbankrott zu, mit Folgen für das europäische Bankwesen, den Euro – und damit den Franken. 

Die Europäische Union ist mit ihrem Regulierungswahn und durch den wenig zimperlichen Umgang mit der Schweiz hierzulande nicht beliebt. Studien zeigen dennoch, dass die Schweiz von Europas Ländern mit am stärksten vom Binnenmarkt profitiert. Eine drohende Rückkehr zu einer mehr nationalistischen Politik in der EU ist ganz sicher nicht im Interesse der Schweiz, denn statt eines regelgebundenen Miteinanders droht ein Powerplay der eigenen Landesinteressen. Als kleine, offene Volkswirtschaft ist die Schweiz aber mehr als andere Länder auf gemeinsame Regeln angewiesen, um prosperieren zu können.  

Offenbar glaubt Macron, das Risiko einer RN-Regierung unter seiner Präsidentschaft eingehen zu können. Er könnte am Ende die Büchse der Pandora geöffnet haben. Dem Kontinent insgesamt stehen unruhige Zeiten ins Haus.  

Holger Alich
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