Mit russverschmiertem Gesicht sitzt ein alter Mann vor den Leichen seiner Angehörigen. Seinetwegen seien sie nicht aus dem umkämpften Donezk in der Ostukraine geflohen, murmelt er, der Grossvater. Weil er krank war, gingen sie nicht, als es noch möglich war.

«Es waren ein Vater, eine Mutter und ihre Tochter», sagt eine Nachbarin. Die jüngere Tochter sei ins Spital gebracht worden - ihr Schicksal ist ungewiss. Die Familie zählt zu insgesamt sechs Menschen, die an diesem Samstag Opfer der Kämpfe zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee geworden sind.

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Ihre Gesichter eilig mit Tüchern bedeckt, liegen sie reglos auf dem Boden - ein Mann, eine Frau und ihre zehn Jahre alte Tochter. An diesem heissen Samstag wollten sie vor ihrem Wohnblock im Stadtteil Kalininski etwas frische Luft schnappen, als plötzlich die Bomben fielen, sagen die Nachbarn. Sie rannten zurück, schafften es aber nicht rechtzeitig. Prorussische Rebellen untersuchen nun die Leichen, um die Identitäten zu klären. In der Nähe versorgen Rettungskräfte Verletzte des Beschusses, der ein Loch in das Wohnhaus aus der Sowjetzeit gerissen hat.

Beschuss dicht besiedelter Wohngegenden

Mit der zunehmenden Umzingelung von Separatistenhochburgen durch ukrainische Truppen im Osten des Landes werden auch immer öfter dicht besiedelte Wohngegenden von Schüssen getroffen. Durch schweren Artillerie- und Mörserbeschuss wurden in den vergangenen Wochen hunderte Menschen in städtischen Gebieten getötet.

Nach Uno-Angaben starben seit Beginn des Konflikts bereits mehr als 2000 Menschen. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsgruppen machen beide Seiten für den Einsatz schwerer Waffen in bewohnten Gebieten verantwortlich.

In Donezk - vor dem Konflikt eine friedliche Eine-Million-Einwohner-Stadt - verlieren am Samstag neben der dreiköpfigen Familie bei Explosionen auch zwei Menschen ihr Leben, die an einer Bushaltestelle warten. Ein weiterer stirbt auf dem Weg ins Spital, wie die Behörden erklären.

«Man muss alle diese Faschisten töten»

Die Molodych-Schachtariw-Allee ist an diesem Samstag von dutzenden kleinen Kratern übersät, die Hausfassaden zeigen Einschusslöcher. An der Bushaltestelle sind die zwei Leichen unter blutverschmierten Decken zu sehen. Eine Frau weint. Sie ist die Schwiegertochter eines der Opfer - zweier älterer Männer. Per Handy richtet sie ihrem Mann die Nachricht vom Tod seines Vaters aus, er soll dessen Ausweis bringen, um die Identität zu bestätigen.

«Mein kleiner Bruder, mein kleiner Bruder, warum warst Du hier?», ruft ein Mann auf Russisch. Daneben stehen bewaffnete Rebellen und schweigen. Seiner Wut gegen Kiew lässt der Mann dann freien Raum: «Man muss alle diese Faschisten töten», ruft er.

Während die Separatisten den Regierungstruppen vorwerfen, gezielt Zivilisten zu töten, zeigen Anwohner heimlich auf ein nahegelegenes Gebäude, das mit Antennen und Kameras ausgerüstet ist. An den Fenstern sind Männer in Uniform zu sehen. Vielleicht war es dieses Gebäude, das getroffen werden sollte. «Faschisten! Faschisten!», rufen am Sonntag auch Einwohner auf dem zentralen Leninplatz dutzenden Regierungssoldaten entgegen, die von den Separatisten gefangengenommen und nun öffentlich vorgeführt werden.

Kriegsschauplatz statt friedliche Stadt

Donezk gleicht mehr und mehr einem Kriegsschauplatz. Rettungskräfte sind im Einsatz, um Oberleitungen für die Buslinien zu reparieren und Feuer zu löschen.

Erstmals wird am Samstag auch das Donbass-Stadion des Spitzen-Fussballklubs Schachtar Donezk beschädigt. Das futuristische Stadion hatte zur Fussball-Europameisterschaft 2012 noch zahlreiche Fans aus aller Welt empfangen. Am Sonntag wird zudem ein Spital getroffen, dutzende Patienten waren zuvor vorsorglich in den Keller gebracht worden.

(sda/dbe)