Sie ist «Everybody's Darling» in der Schweizer Politik. Jetzt tritt sie mit Tränen in den Augen ab. Zwölf Jahre prägte sie den Bundesrat – und ihr Stern glänzte immer ein bisschen heller als der ihrer Kollegen – bis fast zum Schluss. Kein anderes Regierungsmitglied war in der Bevölkerung so beliebt und erreichte so konstant hohe Popularitätswerte. Und kein anderer Vertreter des Siebnergremiums wirkte gewinnender im Auftritt.

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Die meiste Zeit schien der Aargauer Senkrechtstarterin einfach alles zu gelingen. Abstimmungen gewann sie in Serie, und wenn sie mal nicht triumphierte – was nur bei der Zweitwohnungsinitiative und der Verteuerung der Autobahnvignette der Fall war – schien dies die Ausnahme zu sein, welche die Regel bestätigt. Und diese lautete, dass Doris Leuthard mit ihrer Überzeugungskraft und ihrem Charme jeden Kontrahenten im Ring auf die Bretter legen kann. Und dem Unterlegenen dann nach geschlagenem Kampf wieder lächelnd auf die Beine hilft.

Atemberaubende Wendigkeit

Die Aargauer Juristin bestach als Bundesrätin mit einem feinen politischen Gespür. Drehte der Wind in der Politik, erkannte sie das jeweils schneller als andere. Mit welch beispielloser Beweglichkeit sie politisierte, zeigte sich nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima. Praktisch über Nacht warf sie ihre früheren Überzeugungen über Bord – die einstige Atomstrom-Vertreterin mutierte flugs zur Anführerin der Energiewende. Sie machte sich damit zwischenzeitlich die Energiewirtschaft zum Feind.

Am Schluss kämpften die Strombarone Seite an Seite mit der Energieministerin für die Energiestrategie 2050.  Leuthard hatte ihnen ein Stück vom milliardenschweren Subventionskuchen versprochen – genau wie allen anderen betroffenen Branchen und Interessenvertretern auch. Vom einst visionären Projekt der Energiewende blieb am Schluss zwar wenig übrig – aber an der Urne brachte die CVP-Bundesrätin ihre Vorlage locker durch.

Ähnlich gewieft – oder opportunistisch – agierte Leuthard in der Verkehrspolitik. Bei der Einweihung des Gotthardbasistunnels setzte sich die Bundesrätin als Hohepriesterin einer gelungenen Verlagerungspolitik von der Strasse auf die Schiene in Szene. Kurz davor hatte sie an vorderster Front für den Bau einer zweiten Gotthardröhre gekämpft. Verkäuferin Leuthard lächelte solche Widersprüche locker weg.

Aura der «Sonnenkönigin» verblasste am Schluss

In letzter Zeit jedoch glänzte ihr Stern nicht mehr so hell wie all die Jahre zuvor. Ihr Versuch, sich nach dem Rücktritt von FDP-Bundesrat Didier Burkhalter als grosse Staatsfrau in Szene zu setzen und die schlingernde Europapolitik des Bundesrats zu retten, missriet kläglich. Am Schluss bestrafte die EU ihren Effort, indem sie die Börsenäquivalenz nur befristet anerkannte. Und mit dem Subventionsskandal bei Postauto verblasste die Aura der «Sonnenkönigin» erst recht. Die Missstände bei der Post legten den Blick frei auf die vielen anderen Fehlentwicklungen in ihrem Departement.

Etwa, dass Swisscom, SBB und Post generell an einer viel zu langen Leine gehalten werden – und überall Interessenkonflikte zu Tage treten. Dass die Rolle der SRG sowie ihre Abgrenzung gegenüber den privaten Anbietern ungeklärt bleibt – und das neue Mediengesetz mehr neue Probleme schafft als löst. Dass Leuthards Energiepolitik nicht in der Lage ist, die Versorgung sicher zu stellen, weil die Abhängigkeit von ausländischen Stromimporten immer grösser wird. Und dass Lösungen und Visionen fehlen, wie dem drohenden Verkehrsinfarkt auf Strasse und Schiene begegnet werden kann.

Der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Doris Leuthard wird ein schwieriges Erbe antreten. Nicht nur weil die Fussstapfen der Aargauer Magistratin so gross sind. Sondern auch, weil er ein nur halb aufgeräumtes Departement übernehmen muss.