Kantonale Volksrechte sind nicht heilig. Sie gelten im Rahmen des Bundesrechts. Man stelle sich etwa vor, Neuenburg würde darüber abstimmen, dass Frauen generell 1 Prozent mehr verdienen sollten als Männer. Mit der Begründung, dass die Monatshygiene der dortigen Frauen eine Abgeltung erfordere. Selbst wenn das Stimmvolk dem zustimmen würde, wäre die Regelung rechtswidrig, denn der Bund bestimmt abschliessend, wie Löhne zu gestalten sind.

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Das gilt auch für kantonale Mindestlöhne. Solche existieren in Genf, Neuenburg, Basel-Stadt und im Tessin. Nur: Dass sie dort gelten, heisst nicht, dass sie rechtens sind. Das haben die Befürworter übersehen. Sie gelten nur, wenn der Bund nichts bestimmt hat.

Dies nennt sich Normenhierarchie. Der Bund bestimmt in der Verfassung, wann und wie er Mindestlöhne will, nämlich in allgemein verbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen. Darüber hinaus gelten die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Sie geben den Minimallöhnen der Gesamtarbeitsverträge (GAV) den Vorzug.

Im Gastgewerbe verdient ein Lehrabgänger 4519 Franken monatlich oder 24.83 Franken pro Stunde. Das ist mehr als der Mindestlohn in Genf. Warum also das Geheul in der Politik, das Parlament mache sich daran, die Löhne zu senken?

Gewerkschaften lancierten Mindestlöhne, weil Kantone Tieflohnbranchen unreguliert liessen

In Branchen, in denen es keine Mindestlöhne gibt, müssen Firmen orts- und branchenübliche Mindestlöhne bezahlen. Ansonsten betreiben sie verbotene Lohnunterbietung, was in einigen Branchen der Fall ist. Solche Minimallöhne darf jeder Kanton selber regeln, und zwar mit sogenannten Normalarbeitsverträgen. Einige machen es, andere drücken sich davor, weil es politisch aufwendig ist. Die Folge: Gewerkschaften lancieren kantonale Volksabstimmungen mit generellen Mindestlöhnen. Damit unterlaufen sie die verfassungsmässige Wirtschaftsfreiheit.

«Der GAV bietet Anreize, sich weiterzubilden. Dies ist im ureigenen Interesse der Schweiz.»

Deshalb ist es richtig, dass der Nationalrat den Spielraum kantonaler Mindestlohngesetze einschränken will. Wo allgemein verbindliche Gesamtarbeitsverträge gelten – wie in der Gastronomie –, werden kantonale Regeln ungültig. Diese Logik unterstützt auch die berufliche Bildung.

Höherer Lohn ohne Ausbildung untergräbt die Anreize zur Bildung

Beispiel Gastro-GAV: Ungelernte erhalten 3705 Franken oder 20.36 Franken die Stunde. Bilden sie sich aus wie im GAV definiert, etwa mit einer Lehre, kommen sie rasch einmal auf minimal 24 Franken (wie in Genf). Der GAV bietet also Anreize, sich aus- und weiterzubilden. Der GAV definiert nicht nur die Lehre als Kriterium, sondern weitere alternative Möglichkeiten. Der Deal zwischen der Arbeitgeberin und der Angestellten lautet: Du erhöhst deinen Level an Wissen, wir zahlen Dir mehr.

Eine solche berufliche Aus- und Weiterbildung ist im ureigenen Interesse der Schweiz. Die Mindestlohngesetze der Kantone haben diesen Anreiz ausgehebelt, weil Ungelernte per Dekret so viel erhalten wie Lehrlinge und alternativ Ausgebildete. Solche kantonalen Dekrete haben also nichts mit der Bekämpfung der Armut zu tun, sondern sind eine unstatthafte Abkürzung zu mehr Lohn ohne Bildung auf Kosten der Arbeitgeber. Dies widerspricht der Verfassung.

Der Vorwurf von Links, Grünliberalen und Gewerkschaften, dass das Parlament damit einen «Frontalangriff auf die Volksrechte» lanciere, ist falsch. Dass Grünliberale, die sich dem Wirtschaftsliberalismus verpflichtet haben, mitheulen, ist umso erstaunlicher. Die Mehrheit im Nationalrat weist die Kantone nur in Schranken, um übergeordnetes Bundesrecht wiederherzustellen.