La République en Marche, die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, geht als klare Siegerin aus der ersten Runde der Legislativwahlen hervor. Die erst ein Jahr alte Politformation und ihr Verbündeter MoDem, die Partei des Zentristen und Justizministers François Bayrou, machten am Sonntag 32,2 Prozent der Stimmen. Das ist zwar keine Mehrheit, aber in einem Majorzwahlsystem wie dem französischen reicht es, um im zweiten Wahlgang auf eine überwältigende Mehrheit hoffen zu dürfen.

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Das Umfrageinstitut Sopra-Steria prophezeit der Allianz bei der zweiten Runde am nächsten Sonntag 415 bis 455 Mandate in der 577 Sitze zählenden Nationalversammlung - eine Mehrheit, komfortabler noch als die historisch üppige, mit der Charles de Gaulle, der erste Präsident der fünften Republik, ab 1958 regierte.

Heisse Eisen angehen

Damit rückt das noch vor einem Jahr schier Undenkbare näher: Dass Frankreich die wirtschaftspolitischen Reformen doch noch einleiten wird, die notwendig sind, um zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zurückzufinden. Die bisher bekannte Agenda Macrons lässt vermuten, dass der neue Präsident die Dinge mit der ihm eigenen politischen Trittsicherheit und Determination angehen und dass er die heissesten Eisen nicht auf die lange Bank schieben wird. Besonders ermutigend: Die Reform des Arbeitsrechts wird prioritär angepackt und schon im Herbst über die Bühne sein.

Noch bis Ende Juni will sich die Regierung von Premierminister Edouard Philippe, einem ehemaligen Republikaner, vom Parlament dazu ermächtigen lassen, die Reform des Arbeitsrechts mit Erlassen durchzuführen. Die wichtigsten Punkte: Plafonierung der Entschädigungen, die Arbeitsgerichte im Falle missbräuchlicher Kündigungen aussprechen können - die oft exorbitant hohen Entschädigungen gehören zu den Dauerärgernissen französischer Arbeitgeber. Zudem werden Verträge auf betrieblicher Ebene gegenüber solchen der Branche privilegiert. «Spätestens» Ende August, so verspricht die Regierung, werden die Massnahmen dem Ministerrat präsentiert und Ende September vom Parlament ratifiziert werden.

Moralisierung des öffentlichen Lebens

Später kommen Massnahmen wie die Stärkung der Berufsbildung, eine Reform der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung und ein Gesetz zur Moralisierung des öffentlichen Lebens dazu - dies auch eine Folge der Affäre um den republikanischen Präsidentschaftskandidaten François Fillon, der als Abgeordneter während Jahren seine eigene Frau auf der Payroll hatte. Es geht um gängige Praktiken wie Vielfachmandate und die weit verbreitete Praktik der Beschäftigung von Familienmitgliedern durch Politiker.

Wirtschaftsliberalen Kritikern geht das alles trotzdem zu wenig schnell und zu wenig weit. Ihnen wären Fillon und sein Versprechen einer Radikalkur lieber gewesen: 500000 Funktionäre weniger, Abschaffung der 35-Stunden-Woche und Massnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen und des Rentensystems.

Kein Schröder, keine Thatcher

Doch Emmanuel Macron ist weder ein zweiter Gerhard Schröder noch eine französische Ausgabe von Maggie Thatcher. Das schweizerische Arbeitsrecht wird sich gegenüber dem französischen auch nach dessen Reform ausnehmen wie ein mikriger Faltprospekt gegenüber einem ausgewachsenen Buch, ein «Hire and Fire» à l'Américaine wird es auch dann nicht geben.

Entscheidend ist, dass mit Macron ein Präsident im Élysée regiert, der die Perspektive der Unternehmen kennt, der weiss, was es heisst, wirtschaftliche Aktivität zu finanzieren und dem die in Frankreich weit verbreiteten Ressentiments gegenüber allem, was mit Wirtschaft zu tun hat, fremd sind.

Eigener Weg nötig

Die Kritik greift deshalb zu kurz. Frankreich muss nicht der Schweiz oder Deutschland nacheifern, sondern seinen eigenen Weg finden – und da gehört eine gute soziale Sicherheit nun einmal dazu. Gut möglich, dass Fillon die Augen der Wirtschaftsführer stärker zum Leuchten gebracht hätte - um den Preis des Risikos einer Blockade durch die Strasse. Die französischen Gewerkschaften sind, obwohl nicht mehr ganz so stark wie auch schon, noch immer in der Lage, das Land lahm zu legen.

Eines aber lässt sich mitnehmen von Fillon und seinem sensationellen Abschneiden in den noch nicht von der Affäre um Pénélope belasteten Primärwahlen: Dass den Franzosen womöglich mehr an Reform zuzumuten ist, als es manchmal den Anschein macht. Frankreich hat noch einen langen Weg vor sich. Doch der Anfang ist gemacht.