Die Nato verlegt erstmals in grossem Stil Truppen nach Osteuropa. Die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsländer kamen am Freitag in Warschau zusammen, um dieses Signal gegenüber Russland formell zu beschliessen. Geplant ist die Stationierung von jeweils einem Bataillon mit etwa 1000 Soldaten in Polen, Litauen, Lettland und Estland.

In Polen übernehmen die USA die Führung des Nato-Bataillons, in Litauen Deutschland, in Lettland die kanadischen Streitkräfte und in Estland Grossbritannien.

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Putin schweigt

Die Präsenz der westlichen Soldaten an der Ostflanke der Nato soll Russland davon abhalten, die Bündnispartner dort anzugreifen oder mit Hilfe russischer Minderheiten Aufstände anzuzetteln. Der russische Präsident Wladimir Putin reagierte zunächst nicht öffentlich auf die Pläne.

Unmittelbar vor dem Gipfel telefonierte er aber mit der deutschen Kanzlerin Angel Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande und sprach mit ihnen über den Minsker Friedensprozess für die Ukraine. Dabei waren die drei nach Angaben des Kanzleramtes in Berlin einig, dass schnelle Schritte nötig seien, um die Sicherheitslage in der Ostukraine dauerhaft zu stabilisieren und Kommunalwahlen im Donbass zu ermöglichen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte, dass das westliche Militärbündnis keine Konfrontation mit Russland wolle. «Der Kalte Krieg ist Geschichte, und er sollte Geschichte bleiben», sagte er. «Alles, was wir tun, ist defensiv, angemessen und transparent.»

Der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, nannte den Vorwurf absurd, sein Land stelle eine Bedrohung dar. «Wir sind nicht diejenigen, die an die NATO-Grenze heranrücken.»

Obama für weiteren Druck auf Russland

US-Präsident Barack Obama mahnte die Allianz, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. «Wir müssen in Warschau unsere Entschlossenheit und unsere Pflicht nach dem Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages bekräftigen, jeden Bündnispartner zu verteidigen», schrieb er in einem Beitrag für die «Financial Times».

Dies gelte auch nach dem Votum der Briten für den Austritt aus der EU. Die Nato dürfe sich dadurch nicht schwächen lassen. «Ich habe keinen Zweifel, dass Grossbritannien eines der stärksten Nato-Mitglieder bleiben wird», schrieb Obama.

Der wegen der Niederlage im Brexit-Streit scheidende britische Premierminister David Cameron betonte, sein Land bleibe der Verteidigung Europas verpflichtet.

Moskaus Angst vor Raketenschild

Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind seit der russischen Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 schwer angeschlagen. Die Regierung in Moskau sieht ihrerseits den geplanten Raketenschild der Nato für Europa als Bedrohung.

Auf dem Gipfel in Warschau wurde eine erste Einsatzbereitschaft dieses Systems festgestellt, das bisher aus vier Schiffen, einer Radarstation in der Türkei und einer Raketenabschussbasis in Rumänien besteht.

Schutz vor Attacken im Internet

Die Nato will sich auch besser gegen Angriffe aus dem Internet rüsten. Auf dem Gipfel wurde das Netz zu einem zusätzlichen militärischen Operationsgebiet neben Boden, See und Luft erklärt. Damit ist auch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für den Schutz vor Hacker-Attacken verbunden. Die Nato-Initiative knüpft an die Aktivitäten der einzelnen Mitgliedstaaten im Internet an.

Nach dem Gipfel in Warschau soll dann wieder mit Russland geredet werden. Für Mittwoch ist ein Treffen des Nato-Russland-Rats geplant. Es ist erst das zweite nach zweieinhalb Jahren Funkstille wegen der Ukraine-Krise. Vor dem Zerwürfnis 2014 traf sich das Gremium regelmässig, und die Nato und Russland hielten sogar gemeinsam Manöver ab.

IS-Terrormiliz und Afghanistan-Einsatz

Weiteres Thema am ersten Gipfeltag war die Zusammenarbeit der Nato mit der Europäischen Union. Die geplante Unterstützung der Nato für die internationale Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sowie der Afghanistan-Einsatz stehen am zweiten Gipfeltag auf der Tagesordnung.

Am Rande des Gipfels trafen sich die Verteidigungsminister der Nato-Mitgliedsstaaten; eingeladen waren ebenso Partnerstaaten wie die Schweiz, die seit 1996 an der Nato-Partnerschaft für den Frieden teilnimmt. Aus Bern war der stellvertretende Generalsekretär des Eidg. Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), Christian Catrina, angereist.

(sda/chb)