Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist: Nach diesem Motto laufen beim EU-Sondergipfel in Brüssel die schwierigen Verhandlungen über das Milliarden-Programm zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise und den langfristigen EU-Haushalt. Wie in vielen normalen Beziehungen ist das Geld eines der grossen Konfliktthemen - aber nicht nur. Was sind die grossen Streitpunkte beim EU-Gipfel? Und wie könnten Lösungsmöglichkeiten aussehen? Ein Überblick:

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Absolute Zahlen

- Die Ausgangslage:

Wie viel Geld braucht es für das Corona-Konjunkturprogramm, wie viel für den langfristigen EU-Haushalt (MFR)? Schon bei dieser ganz grundsätzlichen Frage gibt es keine Einigkeit unter den EU-Staaten. Die als die "Sparsamen Vier" bekannten Länder Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark fordern als Nettozahler strenge Ausgabendisziplin beim Haushalt und wollen auch den Umfang des Corona-Konjunkturprogramm reduzieren.

Daneben gibt es die Gruppe um Nettoempfänger wie Ungarn, Polen und die baltischen Staaten, die Ausgabenkürzungen zu ihren Lasten so gut wie irgend möglich verhindern wollen. Besonders stark von der Corona-Krise betroffene Staaten wie Italien und Spanien fordern hingegen Solidarität und kämpfen vor allem für ein möglichst umfangreiches Hilfsprogramm.

EU-Ratspräsident Charles Michel war in seinem Kompromissvorschlag zum Gipfel zuletzt eher den Nettozahlern entgegengekommen: Er reduzierte den Umfang des langfristigen Haushalts von 1100 Milliarden Euro auf rund 1074 Milliarden Euro. Das Corona-Konjunkturprogramm liess er allerdings unverändert bei 750 Milliarden Euro.

- Die Lösungsoptionen:

Als denkbar gilt, dass die bislang unangetastet gelassene Grösse des Corona-Programms doch etwas heruntergeschraubt wird. Dies würden auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstützen. Sie hatten ursprünglich ein Hilfsprogramm in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen.

Rechtsstaatlichkeit

- Die Ausgangslage:

Die EU-Kommission und Staaten wie Deutschland und Belgien würden gerne im nächsten langfristigen Haushalt ein wirksames Instrument schaffen, mit dem Länder wie Ungarn und Polen zur Einhaltung rechtsstaatlicher Standards bewegt werden können. Ein Vorschlag sieht vor, bei Verstössen gegen EU-Werte Mittelkürzungen möglich zu machen. Voraussetzung wäre demnach, dass eine ausreichend grosse Mehrheit der Mitgliedstaaten im Fall der Fälle einer entsprechenden Empfehlung der EU-Kommission zustimmt. Wenig überraschend lehnen immer wieder kritisierte Länder wie Polen und Ungarn die geplante Neuregelung allerdings ab und drohen, den ganzen Haushalt zu blockieren. Dies ist möglich, weil es bei allen Gipfelentscheidungen Einstimmigkeit braucht.

- Die Lösungsoptionen:

Diplomaten räumen ein, dass es sehr schwierig werden dürfte, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und seinen polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki zum Einlenken zu bewegen. Wenn überhaupt liessen sich die beiden wohl mit deutlich mehr Geld aus dem EU-Haushalt zur Zustimmung bewegen. Problematisch macht die Sache, dass Länder wie Spanien der Auffassung sind, dass die Verhandlungen nicht wegen dieses Punktes scheitern sollten.

Verteilungskriterien für die Corona-Hilfsgelder

- Die Ausgangslage:

Nach welchen Kriterien sollen die Corona-Hilfsgelder verteilt werden? Auch diese Frage sorgt seit Wochen für Streit unter Mitgliedstaaten. Konkret geht es vor allem um den Verteilungsschlüssel für die 310 Milliarden Euro, die über das sogenannte Aufbau- und Resilienzinstrument als nicht zurückzahlbare Zuschüsse fliessen könnten. Ratspräsident Michel hatte zuletzt vorgeschlagen, nur 70 Prozent wie von der EU-Kommission geplant zu vergeben - also vor allem auf Grundlage der Arbeitslosigkeit zwischen 2015 und 2019. Erst für die letzten 30 Prozent, die für das Jahr 2023 eingeplant sind, würde dann der Wirtschaftseinbruch berücksichtigt werden.

Da dieser neue Verteilungsschlüssel einigen Ländern stark nutzen und anderen stark schaden würde, ist er allerdings stark unter Beschuss. So argumentieren die baltischen Staaten, dass er diejenigen bestrafe, die mit guter Krisenpolitik schnell wieder auf Wachstumskurs kämen. Nutzniesser seien vor allem Staaten wie Frankreich oder Portugal.

- Die Lösungsoptionen:

Dass der Verteilungsschlüssel von Michel den Gipfel überlebt, gilt als äusserst unwahrscheinlich. Denkbar wäre es, dass nur 10 Prozent der Zuschüsse von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig gemacht werden oder dass doch der ursprüngliche Plan der EU-Kommission zum Zuge kommt. Sollten die Verhandlungen vertagt werden, könnten zudem auch ganz neue Kriterien aufgenommen werden wie zum Beispiel die Entwicklung der öffentlichen Investitionen.

Entscheidungsprozesse

- Die Ausgangslage:

Wie wird darüber entschieden, ob die Voraussetzungen für die Auszahlung von Corona-Hilfsmitteln erfüllt sind? Die Niederlande fordern bei diesem Thema, eine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedstaaten zur Voraussetzung zu machen. Die grosse Mehrheit fürchtet allerdings, dass dies zu langwierigen Verfahren führen könnte - also genau zu dem, was man eigentlich bei Krisenhilfen vermeiden will.

- Die Lösungsoptionen:

Wie dieser Streit gelöst werden soll, war bis zuletzt völlig unklar. Es gebe die Hoffnung, dass der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nur einen weiteren Hebel wolle, um möglichst strenge Auflagen für die Zahlung von Hilfsgeldern durchzusetzen, hiess es von Diplomaten. Wenn es eine wirkliche Grundsatzfrage sei, könne es allerdings schwierig werden.

(sda/mlo)