«Gewinne werden hier privatisiert, Verluste dagegen sozialisiert»

Der Bund stellt dem Energieunternehmen Axpo eine Liquiditätshilfe im Umfang von 4 Milliarden Franken zur Verfügung. Was stört Sie daran? Die drohende Mangellage offenbart, dass der staatliche Eigentümer seinen Auftrag nicht wahrgenommen hat, die systemrelevante Infrastruktur zur zuverlässigen Stromproduktion und sicheren Stromverteilung aufrechtzuerhalten. Der Steuerzahler muss durch Garantien eine Unternehmung retten, die den dringend benötigten Strom bereits auf mehrere Jahre im Voraus verkauft hat – in der Hoffnung auf sinkende Preise. Die Steuerzahler retten also eine Firma, deren Verhalten die drohende Mangellage mitverursacht hat. Was folgt daraus? Es gilt nun, die vergangenen Wochen und Monate der Axpo von neutraler Stelle aufzuarbeiten, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und entsprechende Lehren zu formulieren. Im Moment haben wir ein ordnungspolitisches Durcheinander. Wichtig ist, Fehlanreize beim Management und den Eigentümern zu begrenzen und wahrscheinlich Vorschriften für verlusttragendes Eigenkapital einzufordern. Zudem ist es wesentlich, dass die Politik den Auftrag für ein systemrelevantes Unternehmen klar definiert.Christoph Schaltegger Christoph Schaltegger ist seit 2010 Professor für politische Ökonomie an der Universität Luzern, deren wirtschaftswissenschaftliche Fakultät er begründet und geleitet hat. Weiter lehrt er an der Universität St. Gallen öffentliche Finanzen. Von 2006 bis zum Jahr 2008 arbeitete er als Referent für den damaligen Finanzminister Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Danach leitete er bis 2010 als Mitglied der Geschäftsleitung von Economiesuisse den Bereich Finanz- und Steuerpolitik. Die Unternehmen versuchen, sich an den Märkten gegen Veränderungen der künftigen Strompreise abzusichern. Weil die Preise für den Strom aus dem Ruder gelaufen sind, sind die Kosten für die erforderlichen Sicherheiten für diese Absicherung explodiert. Klar. Nur: Termingeschäfte sind per Definition mit Risiko behaftet. Umgangssprachlich nennt man das Spekulation. Das erkennt man bereits in einem Gedankenexperiment daran, dass im umgekehrten Fall, wenn die Axpo die Stromproduktion nicht bereits auf derart lange Frist vorverkauft hätte, sie heute wegen der hohen Strompreise immense Einnahmen erzielen würde. Was konkret kreiden Sie der Axpo-Führung an? Unternehmen halten teures Eigenkapital, um Verluste aus Risiken absorbieren zu können. Die Unternehmensführung managed diese Risiken – auch mit Termingeschäften. Kann ein Unternehmen seinen Betrieb nicht mehr durch privates Kapital aufrechterhalten, verschwindet es in einer Marktwirtschaft. Greift man hier mit einem staatlichen Rettungsschirm ein, werden Gewinne privatisiert, Verluste dagegen sozialisiert. Das untergräbt die Fundamente einer Marktwirtschaft. Für die heftigen Preisschübe beim Strom sind Unternehmen wie die Axpo aber nicht verantwortlich? Nein. Das ist aber unerheblich. Die Gesetze der Marktwirtschaft unterscheiden nicht, ob die Insolvenz selbst- oder fremdverschuldet ist. Bei der Swissair haben die Anschläge vom 11. September 2001 den Niedergang besiegelt. Im Fall der UBS führte die Finanzkrise 2008 zur Notwendigkeit, die Grossbank zu retten. Es wäre damals wohl auch niemand auf die Idee gekommen, der damalige Swissair-Chef Mario Corti oder der UBS-Chef Marcel Ospel sollen am Ruder bleiben. Die Probleme haben sich in allen Fällen schon im Vorfeld abgezeichnet. Und wie sieht das bei der Axpo aus? Dass die Energiewende einen Einfluss auf die Preise haben würde, war kein Geheimnis und Teil des politisch angestrebten Lenkungsziels. Seit Monaten weiss das Unternehmen auch Bescheid über die geopolitische Lage und hat es nicht geschafft, das nötige Kapital selbst zu beschaffen. Spätestens seit Dezember 2021, als die Alpiq beim Bundesrat vorstellig wurde, hätte allen Marktteilnehmenden klar sein müssen, dass mit grösseren Preissprüngen zu rechnen ist. Es ist schwer zu glauben, dass dies trotz guter Solvenz nicht möglich war. Zurück zur Frage zur Verantwortung des Managements ... ... in einer Marktwirtschaft fragt niemand, ob Glück oder Unglück mitgespielt hat, wenn ein Unternehmen in Konkurs geht. Auch das Konkursrecht fragt zunächst nicht, ob der Konkurs verschuldet oder unverschuldet erfolgt ist. In jedem Fall muss das Management die Verantwortung übernehmen. Und das heisst: Es muss abgelöst werden. Welche Bedeutung hat es, dass der Bund die Rettung finanziert und nicht die Kantone als eigentliche Besitzer der Axpo? Dass die beteiligten Kantone als Aktionäre die Verantwortung und die Kosten dafür einfach an den Bund weiterschieben, ist falsch. Die beteiligten Kantone müssen die systemrelevante Infrastruktur strategisch führen, sodass Strommangellagen genauso vermieden werden wie die Illiquidität der Betreiberfirma. Das ist der Grund für die Staatsbeteiligung und die Haftung des Steuerzahlers. Welche Rolle spielt für Sie, dass das Geschäft der Axpo nicht nur in der Stromversorgung besteht? Stossend ist, dass die an Stromkonzernen beteiligten Kantone kein Interesse an einer sauberen Trennung zwischen den verschiedenen Geschäften der Stromunternehmen haben. Ich brauche als Steuerzahler keine staatlichen Firmen, die mir Ingenieurdienstleistungen, Grill oder Bügeleisen verkaufen. Ich brauche von systemrelevanten Unternehmen vor allem eine verlässliche Stromversorgung. Die unklare Trennung und die fehlende Bedeutung der Systemrelevanz liess man diesen Unternehmen einfach durchgehen. Das rächt sich jetzt. Worin liegen die Risiken durch diese Rettungsaktion? Es gibt hier gleich in doppelter Hinsicht massive Fehlanreize: Das Management muss keine Verantwortung übernehmen und die beteiligten Kantone als Aktionäre können sich schadlos halten, indem sie den Bund bezahlen lassen. Haben sich denn Fehlanreize bereits ausgewirkt? Mein Verdacht ist, dass durch die Zusage des Bundesrats für die Hilfe nun alle sich entsprechend aufstellen. Banken beurteilen das Geschäft jetzt als sicher. Die Axpo wiederum sieht jetzt keinen Grund mehr, ihr Fehl- und Risikoverhalten zu korrigieren. Darin zeigen sich die Fehlanreize – die Budgetbeschränkung wird vom Management als dehnbar wahrgenommen. Welche Folgen hat die Rettungsaktion für die Sicht der Bevölkerung auf die Wirtschaft? Schon jetzt gibt es eine Wirtschaftsfeindlichkeit, die auf dem Vorwurf beruht, dass die Manager Gewinne privatisieren, Verluste aber der Gesellschaft überwälzen. Das ist Gift für die Glaubwürdigkeit einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Und wie wirkt sich die Unterstützung auf Firmen aus, die unter den hohen Strompreisen leiden? Die steigenden Strompreise der nun geretteten Strombetreiber werden die Wirtschaft hart treffen. Wie soll man den betroffenen Firmen einen staatlichen Rettungsschirm verwehren, wenn man bereits die Strombetreiber unterstützt hat? Wie will man einen Preisdeckel und eine Übergewinnsteuer verhindern, wenn die geretteten Strombetreiber aufgrund der hohen Strompreise in Zukunft hohe Gewinne einfahren? Der Rettungsschirm löst einen gefährlichen Flächenbrand an Staatsinterventionen und Dirigismus aus. Gerade weil die Stromversorgung systemrelevant ist, kann sie doch nur bedingt rein nach Kriterien einer reinen Marktwirtschaft beurteilt werden. Das ist richtig und wichtig. Stromerzeuger haben eine Rolle, die sich angesichts ihrer Bedeutung für die Versorgung nicht mit Unternehmen in einer reinen Marktwirtschaft vergleichen lässt. Deshalb muss die Politik klar definieren, welcher Bereich systemrelevant ist. Und da gelten dann auch keine marktwirtschaftlichen Vergütungen – denn dies ist Staatswirtschaft. Für diesen Bereich braucht es andere Vorschriften und andere Kontrollinstrumente.