«Die Beziehung zwischen der Schweiz und der Union wird erodieren»

Was wäre, wenn es kein Rahmenabkommen mit der Schweiz gibt? Das fragen sich auch die Brüsseler Institutionen. Ein soeben veröffentlichtes Paper des Auswärtigen Dienstes der EU geht der Fage nach, wie das Verhältnis zur Schweiz danach mit der Zeit «erodieren» würde. Es ist ein Flyer, sein Titel: «Was ist, wenn es kein Institutionelles Rahmenabkommen gibt?», und man kann durchaus eine propagandistische Schlagsseite vermuten. Käme der Vertrag nicht zustande, so der leicht drohende Schlusssatz, dann hätte «das negative Konsequenzen für beide Parteien. Der Binnenmarkt bleibt jedoch der grösste der Welt.» Insgesamt listet das EU-Paper eine Reihe von Problemen insbesondere für die Schweiz auf: Keine Möglichkeit, sich im Kampf gegen Sozialdumping zusammenzuschliessen. Die Schweiz werde nicht die Möglichkeit haben, sich in vollem Umfang an der neu gegründeten Europäischen Arbeitsbehörde zu beteiligen, so ein Punkt. Damit kann sie Betrüger nur begrenzt sanktionieren, da sie keinen Zugang zum Binnenmarkt-Informationssystem hat. Dieses System erleichtert die Umsetzung der EU-Entsenderegeln. Weiter verliere die Schweiz den Zugang zu den EURES-Dienstes, ein europäisches Kooperationsnetzwerk der Arbeitsverwaltungen, das die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern soll. Quelle: «What if there is no Institutional Framework Agreement (IFA)?» Handel mit Medizinprodukten. Der Vertrag erleichterte den nahtlosen Handel von Medizinprodukten. Die Schweiz exportiert 46 Prozent ihrer Medizinprodukte in die EU und importiert 54 Prozent aus der EU. Neue Schweizer Medizinprodukte müssten von Zertifizierungsstellen mit Sitz in der EU zugelassen werden. Die Schweizer Behörden hingegen würden die Möglichkeit verlieren, über die gemeinsame Umsetzung der Gesetzgebung in Bezug auf die Produkt- und Patientensicherheit entscheiden. Handel mit landwirtschaftlichen Produkten. Aktuelle Bestimmungen für Gemüse und Obst sind nicht im Abkommen enthalten. Diese neuen Bestimmungen fordern aber insbesondere Grenzkontrollen für Obst und Gemüse in dem ersten Mitgliedstaat, in den sie gelangen. Da diese Bestimmungen nicht gemacht sind, werden keine Kontrollen mehr von der EU durchgeführt, die Schweiz muss sie selber machen. Das sei eine kostspielige Angelegenheit. Die Schweiz und die EU: Zahlen und Fakten Mehr als 1,4 Millionen EU-Bürger waren 2020 in der Schweiz wohnhaft. Rund 400'000 Schweizer waren 2020 in der EU ansässig. Die in der EU ansässigen Schweizer Bürger stellen etwa 4,6 Prozent der Schweizer Gesamtbevölkerung von 8,6 Millionen. Hingegen sind nur 0,3 Prozent der EU-Bürger in der Schweiz wohnhaft. Insgesamt wohnen rund 448 Millionen Menschen in den EU-Ländern. 19 Prozent der Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter in der Schweiz haben die EU-Staatsbürgerschaft. 37% der Schweizer Einwohner über 15 Jahre haben einen nicht-schweizerischen Hintergrund, in der grossen Mehrheit aus einem EU-Land Es gibt rund 344'000 ausländische Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten. Sie tragen zur Wirtschaftsleistung der Regionen um den Genfersee, der Nordschweiz und des Tessins bei. Zwei Drittel der Grenzgänger arbeiten in den Dienstleistungssektoren. 37,4 Prozent der in der Schweiz tätigen Ärzte stammen aus dem Ausland. Davon davon arbeiten 34,5 Prozent in der Privatpraxis und 40,5 Prozent in Krankenhäusern. Die Mehrheit der ausländischen Mediziner kommt aus Deutschland, gefolgt von Italien, Frankreich und Österreich. Die Gastronomie ist die Branche, die am stärksten von Personen, die nicht aus der Schweiz stammen, abhängig ist. Rund 45% der Arbeitnehmer in diesem Sektor besitzen keine Schweizer Staatsbürgerschaft. Quelle: Europäische Union Schwierigkeiten bei Lebensmittelimporten. Das betrifft vor allem die Lebensmittelkennzeichnung und könnte Schweizer KMU davon abhalten, aus der Schweiz in die EU zu exportieren. Werde das Abkommen nicht liberalisiert, so werde die Schweiz der «Möglichkeit beraubt, einen besseren Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte auszuhandeln». Das gelte für Fleisch und Milchprodukte, wo der Zugang heute schon begrenzt ist. Keine Teilnahme an EU-Gesundheitsprogrammen. Ohne Abkommen bleibe der Schweiz der Zugang zu Informationen über Krankheiten, aber auch zu wissenschaftlichen Ergebnissen verwehrt. Das ist vor allem jetzt nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie von Bedeutung. Zugang zu Strom. Die Schweiz ist für fast die Hälfte des Jahres auf Stromimporte aus den Nachbarländern angewiesen. Künftig möchte die Schweiz mehr Strom aus erneuerbaren Energien produzieren. Mit dem Scheitern des Abkommens riskiere sie aber, den Anschluss an das EU-Stromnetz zu verlieren. Weniger Anschluss und weniger Zusammenarbeit würden das Schweizer Energiesystem weniger effizient machen, warnt die EU. Schliesslich die EU einen Bereich auf, der zwar im Corona-Jahr nicht so relevant war, aber wieder an Bedeutung gewinnen wird: den Flugverkehr. Das betreffe vor allem den «Dreiecksverkehr« mit Flügen zwischen der EU, den EWR/EFTA-Staaten und der Schweiz. Auch dort gibt es beim Scheitern des Abkommens Probleme bei der Abwicklung. Das einfache, aber klare Fazit der EU im Paper: «Die Volkswirtschaften der Schweiz und der EU profitieren wechselseitig von einer engen Beziehung und sind in hohem Masse voneinander abhängig. Eine fehlende Einigung über das Institutionelle Rahmenabkommen hätte für beide Seiten «negative Folgen».

«Die Beziehung zwischen der Schweiz und der Union wird erodieren»

Mit diesen Argumenten warnt die EU vor einem Scheitern des Rahmenabkommens