Und plötzlich dreht die Verwaltung auf. Mit Blick auf einen drohenden Versorgungsengpass mit Gas und Strom im kommenden Winter informierten Bund und Versorger diese Woche über die Massnahmen, die uns helfen sollten, Blackout- und ausfallfrei durch die kalten Monate zu kommen, falls es zu Lieferengpässen beim russischen Gas kommt.

Das ist grundsätzlich mal gut. Ohne gleich das Schlimmste zu erwarten, macht es immer Sinn, rechtzeitig Szenarien zu planen und einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, wo das noch nötig ist.

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Aber. Wer die aktuellen Diskussionen um Strom und Gas verfolgt, muss zum Schluss kommen, dass sich jetzt das passive Verhalten der Bundespolitik in den vergangenen Jahren rächt.

Jahrelang forderten grosse Teile der Stromwirtschaft – zusammen mit Swissgrid, Elcom und Bundesamt für Energie – ein Stromabkommen, das die Schweiz enger in den europäischen Strommarkt eingliedern und für gleich lange Spiesse sorgen sollte. Doch die Dringlichkeit wurde nicht erkannt.

Im Gegenteil. Im Parlament wurde das Projekt immer wieder hinausgeschoben. Und als bereits absehbar war, dass die Energiepreise ansteigen würden, kündigte der Bundesrat vergangenes Jahr die Gespräche um ein Rahmenabkommen voreilig auf. Das überraschte nicht nur viele in der Schweiz, sondern düpierte auch die Gegenseite.

«Dann halt nicht», dürfte sich so manche EU-Politikerin und so mancher Chefbeamte gesagt haben. Sie hatten in der Folge auch keine Lust mehr, über andere Formen der Zusammenarbeit mit der eigensinnigen Schweiz zu reden.

Schon immer waren wir auf Handel mit den Nachbarländern angewiesen.

Nun merkt man plötzlich, dass die Schweiz halt doch nicht autark mit Energie versorgt werden kann. Schon immer waren wir beim Strom auf Handel mit den Nachbarländern angewiesen. Denn es gibt Zeiten, in denen unsere Kraftwerke Überschuss produzieren, und Zeiten, in denen wir Importe benötigen. Und nein, das ist auch nicht erst so seit der Abschaltung des AKW Mühleberg. Der Handel führte zu effizienterer Versorgung, kaum Stromausfällen und satten Gewinnen für die Schweizer Stromwirtschaft. Autark versorgt wurde die Schweiz zuletzt vor mehr als sechzig Jahren.

Gegenseitige Abhängigkeit

Beim Gas hat man es verschlafen – oder bewusst unterlassen –, den Markt auch nur halbwegs zu regulieren. Dass wir weder ein Gesetz zum Gasmarkt – mit eindeutigen Regeln für Marktzugang – noch eine Regulierungsbehörde wie die Elcom beim Strom haben, dürften viele Schweizerinnen und Schweizer erst diese Woche festgestellt haben. Und so wird nun auf die Schnelle ein Notfallkonzept aus dem Strommarkt kopiert, um wenigstens halbwegs ein Vorgehen für den Krisenfall parat zu haben. Copy-and-paste.

Natürlich sind wir unseren Nachbarländern nicht einfach nur ausgeliefert. Ja, wir importieren Strom aus Deutschland und Frankreich. Ja, wir sind darauf angewiesen, dass das Gas, welches unseren Netzbetreibern von Handelspartnern in den Nachbarländern zugesichert wurde, auch geliefert wird. Sollten diese Länder bei einem Versorgungsengpass beschliessen, dass geltende Lieferverträge nicht erfüllt werden, hat die Schweiz ein massives Problem. Gleichzeitig sind die EU-Länder rund um die Schweiz auch auf eine Zusammenarbeit mit der Schweiz angewiesen. Ein grosser Teil des Stroms zwischen Nordeuropa und Italien fliesst durch das Schweizer Netz. Das musste Italien vor zwanzig Jahren brutal feststellen, als eine überlastete Leitung in der Schweiz zu einem Blackout im Nachbarland führte.

Die Abhängigkeiten sind beidseitig, wenn auch nicht symmetrisch.

Ähnlich ist die Konstellation beim Gas. Auch hier wird viel Energie über die Transitgasleitung von Deutschland und Frankreich nach Italien transportiert – und manchmal auch in die Gegenrichtung. Die Schweiz von Gaslieferungen aus Deutschland abzukappen, ohne auch die direkten Lieferungen nach Italien zu gefährden, ist nicht möglich. Die Abhängigkeiten sind beidseitig, wenn auch nicht symmetrisch.

Und doch hätte es unsere Landesregierung deutlich leichter, heute Gespräche über «Solidaritätsabkommen» mit den Nachbarn in der EU zu führen, hätte man sich in den letzten Jahren nicht so schwergetan mit anderen Formen der Kooperation. Wirklich mit Freude steht der Schweiz heute keiner bei.

Sowohl beim Strom als auch beim Gasnetz ist die Schweiz faktisch – und physikalisch – in die europäische Plattform eingebunden. Es wäre an der Zeit, dass das auch die letzten Autarkienostalgiker erkennen.