Mit Beginn der Sommerpause hat der Bundesrat die lang erwarteten und intensiv diskutierten Entwürfe für die neuen EU-Rahmenverträge veröffentlicht und in die Vernehmlassung geschickt. Die knapp tausend Seiten wurden bereits im Vorfeld mit einer solchen Emotionalität debattiert, dass viele ihre Meinung schon gebildet hatten, bevor sie den Inhalt überhaupt kannten. Das allein sollte zu kritischer Reflexion anregen.

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Ja, die EU ist in der Schweiz ein beliebtes Feindbild. Und wie die grosse Mehrheit der Bevölkerung habe auch ich kein Interesse an einem EU-Beitritt oder einer engeren Anbindung als absolut notwendig. Doch genau darum geht es: Eine funktionierende Beziehung zur EU ist notwendig. Der bisherige bilaterale Weg ist beendet, weil die EU ihn nicht mehr akzeptiert. Der Status quo ist passé und ein «Weiter wie bisher» damit vom Tisch.

Die zentrale Frage lautet: Wollen wir die Beziehung zur EU weiterentwickeln oder auf eine geordnete Zusammenarbeit verzichten? Eine Studie von Ecoplan im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft beziffert die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Verzichts auf einen Rückgang des Bruttoinlandprodukts um knapp 5 Prozent. Unser Wohlstand basiert wesentlich auf Handel, insbesondere auf Exporten. Die USA sind ein zunehmend unberechenbarer Partner, China als Absatzmarkt massiv kleiner. In einer zunehmend instabilen Welt sind verlässliche Partner entscheidend, und unser wichtigster ist nun mal die EU.

Die Gastautorin

Jamie Vrijhof-Droese ist Unternehmerin, Verwaltungsrätin, Referentin und Autorin. Sie ist Managing Partner von WHVP, einem Vermögensverwalter mit Fokus auf US-Kundinnen und -Kunden.

Dass ein vertraglich geregeltes Verhältnis mit der EU besser ist als gar keines, sollte deshalb unbestritten sein. Entscheidend ist die Frage: Was müssen wir dafür aufgeben? Und an dieser Stelle beginnt der Populismus. Die dynamische Rechtsübernahme wird als Unterwerfung und Einfallstor zur EU stilisiert. Dabei ist klar: Zusammenarbeit erfordert Kompromisse. Die dynamische Rechtsübernahme ist weit weniger einschneidend, als sie dargestellt wird. Schon heute übernehmen wir viele EU-Regeln im sogenannten autonomen Nachvollzug ohne Mitbestimmung. Mit einem Vertrag hätten wir künftig Mitspracherecht bei der Ausgestaltung dieser Regeln, bevor sie in Kraft treten.

Wichtig ist auch: Es geht nicht um das gesamte EU-Recht, sondern ausschliesslich um die fünf bestehenden Binnenmarktabkommen. Bei Unstimmigkeiten erhalten wir ein ausgewogenes Schiedsgerichtsverfahren. Sollte dieses zu keiner Einigung kommen, kann es den Europäischen Gerichtshof um eine Auslegung bitten, doch die endgültige Entscheidung bleibt beim Schiedsgericht. Die Schweiz hätte weiterhin das Recht, eine Regelung abzulehnen. Heute hingegen bestraft uns die EU bei Differenzen oft direkt. Etwa durch den Entzug der Börsenäquivalenz oder beim Ausschluss von Horizon Europe. Ein geregeltes Verfahren würde unsere Position deutlich stärken und uns besser ermöglichen, uns zur Wehr zu setzen.

Zudem würde die Schweiz neu eine Schutzklausel erhalten, mit der sie in begründeten Fällen die Personenfreizügigkeit vorübergehend einschränken könnte. Auch dies eine signifikante Verbesserung gegenüber der heutigen Situation.

Die EU ist ein einfaches Feindbild. Eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Beziehung zur EU ist wichtig und richtig. Jedoch sollten wir uns nicht von Emotionalität abschrecken lassen. Es geht um viel – wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Genau deswegen braucht es Sachlichkeit, Pragmatismus und Realismus statt Populismus.