Präsident Joe Biden setzt trotz einer von Deutschland und anderen EU-Staaten befürchteten Abschirmung der US-Wirtschaft auf noch mehr Begünstigung für die heimische Industrie. «Ich weiss, dass ich dafür kritisiert wurde, aber ich werde meine Meinung nicht ändern. Wir werden dafür sorgen, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt», sagte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) in seiner Rede zur Lage der Nation vor beiden Kammern des Kongresses. Er werde sich dafür nicht entschuldigen, betonte der Demokrat. «Das ist völlig im Einklang mit den internationalen Handelsregeln.» Gleichzeitig rief Biden die Republikaner im Kongress zum Wohle des Landes zur Zusammenarbeit auf. Konflikte würden das Land nicht weiterbringen, betonte er.

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Es war Bidens zweite Rede zur Lage der Nation. Seine erste Rede Anfang März 2022 war vom Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einige Tage zuvor überschattet gewesen. Auch dieses Mal versprach der Demokrat der Ukraine langfristige Unterstützung. Das Thema nahm aber weit weniger Raum ein als noch im Vorjahr, da sich Biden in seiner Ansprache vor allem auf innenpolitische Themen konzentrierte und seine Wirtschaftspolitik rühmte.

So kündigte er an, dass Baumaterialien für vom Bund geförderte Infrastrukturprojekte - etwa Kupfer, Aluminium, Glasfaserkabel, Bauholz und Trockenbauwände - nach dem Prinzip «Made in America» in den USA hergestellt werden müssten. «Unter meiner Aufsicht werden amerikanische Strassen, Brücken und Autobahnen mit amerikanischen Produkten gebaut», sagte Biden. Details zu seinen Plänen blieb er schuldig. Seine deutlichen Worte sind aber besonders vor dem Hintergrund des neuen milliardenschwere US-Programms für Investitionen in den Klimaschutz interessant, das in Europa für grosse Unruhe sorgt.

Das Gesetz sieht vor, viele Subventionen und Steuergutschriften daran zu knüpfen, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. In Europa befürchtet man Nachteile für heimische Unternehmen. Biden hatte das Gesetz bereits in der Vergangenheit gegen Kritik verteidigt, den Europäern aber zugleich die Hand ausgestreckt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und sein französischer Kollege Bruno Le Maire warben zu Wochenbeginn in Washington für eine europafreundliche Anwendung des Gesetzes. In der Vergangenheit hatte der republikanische Ex-Präsident Donald Trump mit seiner Parole «America first» stark auf die Bevorzugung von in den USA hergestellten Produkten und die Stützung heimischer Industrien gesetzt. Biden bedient sich immer wieder ähnlicher Rhetorik.

Verhandlungen zu Erhöhung der Schuldenobergrenze laufen

Der 80-jährige US-Präsident sprach nun erstmals vor einem Kongress, in dem seine Demokraten nicht mehr in beiden Kammern die Mehrheit haben. Bei den Zwischenwahlen im November hatten die Republikaner eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus errungen. Das macht es für Bidens Regierung noch schwieriger, Gesetzesvorhaben umzusetzen, auch wenn sie weiterhin den Senat kontrolliert. Teile beider Parteien stehen sich regelrecht hasserfüllt gegenüber, Hardliner bei den Republikanern setzen bei vielen Themen auf Blockade - auch bei der folgenreichen Festlegung der Schuldenobergrenze.

In den USA definiert der Kongress in unregelmässigen Abständen eine Schuldenobergrenze und bestimmt damit, wie viel Geld sich der Staat leihen darf. Wird diese Grenze nicht bald erhöht, könnte es zu einem Zahlungsausfall der grössten Volkswirtschaft der Welt kommen - mit unkalkulierbaren Folgen für die Weltwirtschaft. Biden forderte die Republikaner nun auf, einer Erhöhung zuzustimmen. «Einige meiner republikanischen Freunde wollen die Wirtschaft als Geisel nehmen, es sei denn, ich stimme ihren Wirtschaftsplänen zu», sagte Biden. Kürzungen bei Sozialprogrammen werde er in den Verhandlungen nicht akzeptieren, betonte er.

Auch chinesische Ballons wurden thematisiert

Bei anderen innenpolitischen Themen seiner Ansprache flammte bei den Demokraten immer wieder Applaus auf, aus den Reihen der Republikaner gab es oftmals Zwischenrufe. So rief Biden erneut zu einem Verbot von Sturmgewehren auf, kritisierte die Republikaner für deren sozialpolitische Forderungen und forderte angesichts tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze parteiübergreifende Unterstützung für Reformen bei der Polizei.

An Peking richtete Biden nach dem Abschuss eines mutmasslich zu Spionagezwecken genutzten chinesischen Überwachungsballons eine Warnung: «Wenn China unsere Souveränität bedroht, werden wir handeln, um unser Land zu schützen, und das haben wir getan.»

Noch ist unklar, ob Biden eine zweite Amtszeit will

Bidens Ansprache fällt in eine Zeit, in der mit Spannung eine Entscheidung erwartet wird, ob der Demokrat für eine zweite Amtszeit antreten will. US-Medien hatte die wichtige Rede zuvor als eine Art Bewerbungsrede bezeichnet. Der Präsident hatte einen Beschluss dazu für den Beginn dieses Jahres in Aussicht gestellt. Biden hat zwar mehrfach die allgemeine Absicht erklärt, 2024 noch mal zu kandidieren, bislang aber noch keinen endgültigen Entschluss verkündet. Den Demokraten belastet derzeit eine Affäre um den Fund geheimer Unterlagen aus früheren Regierungsjahren in seinen Privaträumen - ein Sonderermittler untersucht den Fall. Für die Republikaner hat bisher nur Trump offiziell seine Kandidatur erklärt.

Die Replik der Republikaner auf Bidens Ansprache kam von Sarah Huckabee Sanders, der früheren Regierungssprecherin Trumps. «Die Schwäche von Präsident Biden gefährdet unsere Nation und die Welt», sagte die 40-Jährige, die inzwischen Gouverneurin des Bundesstaates Arkansas ist - und die jüngste Gouverneurin überhaupt in den USA. Biden wiederum ist der älteste Präsident in der US-Geschichte. Auch sein Vorgänger Trump ging ihn während der Rede über die von ihm mitgegründete Plattform Truth Social immer wieder verbal an.

Ende April 2021 - gut drei Monate nach seiner Amtsübernahme - hatte Biden erstmals eine Rede vor beiden Kongresskammern gehalten. Die erste Ansprache eines neu gewählten US-Präsidenten bei einer gemeinsamen Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats im US-Kapitol wird traditionell aber nicht als Rede zur Lage der Nation bezeichnet.

(sda/rul)