Nach wochenlanger Regierungskrise und jahrelanger wirtschaftlicher Spannungen bekommt Grossbritannien den ersten Premierminister mit Migrationshintergrund. Der 42-jährige ehemalige Finanzminister Rishi Sunak setzte sich am Montag im Rennen um den Vorsitz der konservativen Tory-Partei durch und bahnte sich damit den Weg in Downing Street 10, der Sitz des Regierungschefs. 

Seine letzte Kontrahentin, Ex-Verteidigungsministerin Penny Mordaunt, hatte sich zuvor aus den Rennen zurückgezogen und erklärt, sie unterstütze die Bewerbung Sunaks. Erwartet wurde, dass Sunak von König Charles III. noch am Montag oder spätestens am Dienstag mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt werden würde.

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Sunak in der Pionierrolle

Der in Grossbritannien geborene Sunak ist indischer Abstammung, seine Eltern kamen in den 1960er Jahren nach Grossbritannien. Der ehemalige Hedgefonds-Manager von Goldman Sachs steht jetzt vor der schwierigen Aufgabe, das Land durch die Wirtschaftskrise zu führen und seine zerstrittene Partei zu einen. 

Am Devisenmarkt sorgte die Entscheidung um die Nachfolge an der Spitze der britischen Regierung zunächst für etwas Erleichterung. Nach einem kurzen Kurssprung notierte das Pfund Sterling am Nachmittag allerdings wieder weitgehend stabil bei 1,13 Dollar. 

Marktteilnehmer äusserten sich wenig optimistisch über die weiteren Aussichten. «Vielleicht haben wir ein bisschen weniger Chaos ohne Boris Johnson, aber es ist auch nicht so, dass Rishi Sunak ein starkes Programm hätte», sagte John Hardy von der Saxo Bank.

Johnson verzichtet auf ein Comeback

Der frühere Regierungschef Johnson hatte am Sonntag auf eine Bewerbung für die Nachfolge der vergangene Woche nach nur kurzer Amtszeit zurückgetretenen Partei- und Regierungschefin Liz Truss verzichtet. Johnson selbst war erst kürzlich nach mehreren Skandalen vom Amt des Premierministers zurückgetreten. 

Seine Nachfolgerin Truss wiederum hatte nach nur sechs Wochen nach einer von Finanzmarktturbulenzen und politischen Wirren geprägten Regierungszeit das Handtuch geworfen. Der Chef der Konservativen Partei wird automatisch neuer Premierminister, da die Torys nach wie vor eine komfortable Mehrheit im Londoner Unterhaus haben.

Konservative liegen in Umfragen zurück

In Umfragen sind die Konservativen mittlerweile allerdings abgestürzt. Die oppositionelle Labour-Partei liegt demnach haushoch vorne und fordert Neuwahlen. Vor Abgeordneten des Unterhauses schloss Sunak nach seiner Nominierung eine vorgezogene Parlamentswahl nach Angaben von Teilnehmern aus. 

Mordaunt sprach von einer «Entscheidung von historischem Ausmass», die die Vielfalt und das Talent der Konservativen Partei zeige. Truss gratulierte Sunak per Twitter-Botschaft und betonte, der neue Premierminister werde ihre «volle Unterstützung» haben. 

Sunak will vor die Medien treten

Im Rennen um die Johnson-Nachfolge war Sunak, der einer der vermögendsten Politiker in Grossbritannien ist, noch Truss unterlegen. Er wollte sich noch im Lauf des Tages vor der Öffentlichkeit äussern.

Vor den Abgeordneten kündigte Sunak den Angaben zufolge an, dass die wirtschaftliche Stabilität Grossbritanniens seine erste Priorität sei. Er werde zudem versuchen, in seinem Kabinett alle Strömungen der Konservativen Partei zu vereinen, beteuerte er demnach. 

Seit der Brexit-Entscheidung 2016 befindet sich das Land in einer Dauer-Wirtschaftskrise, die von der Coronavirus-Pandemie noch befeuert wurde.

(reuters/mbü)