Schweiz-Norweger erklärt die «Umzugskarawane»: «Mit den neuen Steuern will niemand mehr eine Firma gründen»

Er kennt seine Landsleute – und sein Heimatland. Der Zürcher Unternehmer Hans R. Holdener ist in Oslo aufgewachsen und versteht, warum es die Vermögenden nun in seine Wahlheimat zieht. Herr Holdener, Sie wollten nach unserer Recherche zur norwegischen «Umzugskarawane» in die Schweiz gern mit uns sprechen. Warum? Ich bin seit 25 Jahren hier und habe vor dem Schengen-Beitritt sogar anderen Norwegerinnen und Norwegern geholfen, in die Schweiz zu ziehen. Die neuste Entwicklung ist aber hochinteressant. Und die Norweger sind ja nur die Spitze des Eisbergs – es kommen alle: Norweger, Franzosen, Deutsche. Wegen der Steuern. Ja, und wegen der Planbarkeit. Demokratie, Freiheit, Sicherheit … Norwegen hat doch in allen Rankings ebenfalls Spitzennoten? Die Schweiz hat aber ein interessantes Konstrukt. Die «Bauweise» des politischen Systems sorgt dafür, dass sich nicht so viel so schnell verändert. Ganz im Gegensatz zu Norwegen, wo die neue Regierung das Land nun so führt, dass die Vermögenden wegziehen. Sie fliehen vor der Vermögenssteuer. Die gibt es ja auch in der Schweiz und ich finde sie auch hier nicht ideal. Aber in Norwegen wird sie jetzt zum 1. Januar auf 1,2 Prozent erhöht. Wo ist das Problem? Stellen Sie sich vor, Sie besitzen eine Firma mit Steuerwert 100 Millionen. Darauf müssen Sie jährlich 1,2 Millionen Steuern zahlen. Wenn die Firma aber tiefe Margen hat oder schlicht nicht liquide ist, müssen Sie entweder Lohn oder Dividende beziehen, um diese Steuern zu zahlen. Mit der Dividendensteuer müssten Sie fast 2 Millionen aus der Firma rausnehmen, die Einkommenssteuer wäre noch teurer. Das ist das eine Problem. Was ist das andere? Sehr viele vermögende Norweger und Norwegerinnen haben ihre privaten Jachten, Flugzeuge, Chalets und so weiter in die Firma übergeführt. Das war jahrelang günstig. Jetzt aber auf einmal heisst es: Alle Sachen, die dazugehören, werden mit 30 Prozent des Marktwerts besteuert. Da kommt eine Welle von Steuern, für die viele das Geld gar nicht auftreiben können, weil sie nicht liquide sind. Sie haben zwar ein grosses Vermögen, etwa eine Stahlfirma. Aber trotzdem kein Geld. Sie haben Mitleid mit Milliardären? Nein, Mitleid mit einem, der jammert, habe ich auch nicht. Aber oft bekommt man diese hohen Summen eben nicht aus der Firma heraus, insbesondere, wenn man eine Wachstumspolitik verfolgt. Und ich finde, mit der Steuerpolitik verfolgt die neue Regierung schon eine extrem sozialistische Agenda. Das macht es für jeden, der künftig eine Firma dort aufbauen will, auch extrem schwierig. Nehmen Sie an, Sie entwickeln eine App. Die App ist plötzlich 100 Millionen wert, generiert aber noch keine Gewinne. Plötzlich müssen Sie dann trotzdem hohe Steuern zahlen. Das sind ja alles Gedankenspiele. Ich fahre gern Motorrad und sehe das so: Plus/minus 80 Prozent der Motorradunfälle passieren in einer Kurve. Warum? Weil man falsch in die Kurve fährt. So geht gerade die Regierung in Norwegen vor. Es ist doch klar: Wenn man Leute dermassen mit Steuern zudeckt, will niemand mehr Firmen gründen. So fährt man ein Land an die Wand. Sind Sie allgemein gegen Steuern? Vor allem gegen die hohe Vermögenssteuer. Und ich mag nicht, dass man Reiche so in den Fokus nimmt – schon das Wort «reich» passt mir nicht. Das sind ja erfolgreiche Menschen, die das Land mit viel Innovation und Mut vorangebracht werden. Wie bei Kjell Inge Røkke ... … Der zweitgrösste Steuerzahler Norwegens, der im September ins Tessin zog. Um die Millionen neuer Steuern zahlen zu können, müsste die Muttergesellschaft seiner Firma jedes Jahr Geld ausschütten – ob sie es hat oder nicht. Das ist für mich eine sinnlose Politik, welche die falschen Anreize setzt. Ich habe aber kein Problem mit einer hohen Einkommenssteuer. Sich ein niedriges Einkommen auszahlen, aber über die Firma ein schönes Leben führen: So kann man sich für die Steuerrechnung ja dann arm rechnen. Das sind doch wenige, die das machen. Das sind nur Extremfälle. Die meisten Menschen beziehen einen anständigen Lohn. Und der Staat verdient ja nicht nur daran, sondern auch an der Wertschöpfung. Ich vermisse eine kluge, diversifizierte Debatte: Wie können wir alle etwas zum Wohl der Gemeinschaft beitragen? Das ging jetzt einfach unglaublich schnell von rechts nach links in Norwegen. Die grösste Partei vorher ist jetzt miniklein. Für mich ist das ein politisches Experiment, das dazu führen wird, dass Norwegen in die gleiche Falle wie zum Beispiel die Niederlande oder Kanada tappt: Das sind alles Länder, die durch Rohwaren reich geworden sind und dann mit ihrer Verteilungspolitik gescheitert sind. Und die Schweiz gewinnt? Für die Schweiz ist das eine riesige Chance. Meine Landsleute kommen hierher und werden sich hier niederlassen und auch ihre Geschäfte aufbauen. Was macht Sie so sicher, dass sie hier nicht nur einen Briefkasten anmelden? Die treibenden Kräfte hinter den Firmen kommen ja wirklich in die Schweiz und werden hier nicht untätig sein. Und es gibt noch einen weiteren Faktor, nämlich, dass der Franken gegenüber allen anderen Weltwährungen jedes Jahr überproportional steigt – das heisst, wenn man sein Geld langfristig weiter in Kronen verdient, wird man ärmer. Die Norweger müssten hier Fuss fassen und hier Geld verdienen. Wie geht es Ihren Landsleuten denn in Lugano, in Zug und in Luzern und wo sie sich überall niederlassen? Das ist bisher natürlich alles eine schnelle Übung gewesen. Wegen der erwarteten Gesetzesänderung auf den 1. Januar. Viele von denen wohnen noch gar nicht richtig hier – sie haben sich angemeldet, haben eine Wohnung hier, leben aber noch gar nicht hier. Und manche haben auch ein psychisches Problem mit dem Umzug. Wenn sie ihre Norwegischen Kronen in Franken umtauschen, müssen sie die Summe durch etwa zehn teilen – das macht sie schlagartig vom Milliardär zum Millionär. Ach je. Jetzt drücken Sie aber auf die Tränendrüse. Was ich sagen möchte: Viele dieser Menschen kehren ihrem Heimatland nur wegen dieser Steuersachen den Rücken und sind selbst vierzig, fünfzig Jahre alt. Das ist ein riesiger Umbruch in dem Alter. Sie müssten ja nicht. Es gibt durchaus auch reiche Norweger, die ihre Kolleginnen und Kollegen für die Steuerflucht kritisiert haben. Ich glaube, die Kritiker können das Land selbst einfach gar nicht verlassen. Zum Beispiel wegen der familiären Situation. Wer zum Beispiel getrennt lebt und sich das Sorgerecht teilt, verliert es mit dem Umzug ins Ausland möglicherweise. Vor allem, wenn das Kind jünger ist als 16 Jahre, kriegt in der Regel jene Person, die im Land bleibt, das Sorgerecht. Wie erklären Sie sich denn das Vorgehen der Regierung unter dem Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre? Es ist schwierig nachzuvollziehen. Ich glaube, der Staatsminister ist auf einer Mission. Seine Lieblings-Lektüre ist Thomas Piketty: Der sagt ja, alle Steuern müssten hoch, und ist da sehr radikal. Was ich befremdlich finde, ist, dass Støre selbst steinreich ist. Früher war er liberal, heute ist er Sozialist. Spricht das nicht eher für ihn – er ist ja dann auch selbst davon betroffen? Erstens hat er alles geerbt und nie selbst in der Wirtschaft gearbeitet. Ich habe das Gefühl, es ist für ihn nur ein Spiel. Und auch die normale Bevölkerung ist ja nicht glücklich, er wird immer unbeliebter. Tauschen Sie sich eigentlich mit den norwegischen Zuzügern hier in der Schweiz aus? Ich kenne viele von ihnen und werde ihnen vor allem eins sagen: Ihr müsst euch integrieren! Und, was rät der Experte? Ich bin für die Strategie: frech und offen sein, aber mit Charme. Auf Leute zugehen, in die lokalen Schulen gehen, in die normalen Läden. Alles andere wirkt in der Schweiz nur arrogant.