Am Sonntag läuft die Anerkennung der Börsenäquivalenz aus, und am Montag treten die Gegenmassnahmen der Schweiz in Kraft. Damit ist eine neue Eskalationsstufe in der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU erreicht.

Doch die Situation könnte sich noch weiter zuspitzen. Denn ohne Börsenäquivalenz will die Schweiz vorerst den Kohäsionsbeitrag auf Eis legen. Das wiederum wird bei den EU-Partnern nicht gut ankommen. Sie werden dies nicht so einfach akzeptieren.

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Dass es zu einer derartigen Eskalation zwischen zwei Partnern kommt, ist bedauerlich. Es ist auch eine Geschichte von Missverständnissen und falschen Erwartungen an den Partner.

«Den Termin hat Herr Juncker vorgegeben»

Bereits am 23. November 2017 gab es Dissonanzen, als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker anlässlich seines Besuchs in Bern vor Journalisten erklärte, die Verhandlungen über das Rahmenabkommen sollten im Frühling 2018 abgeschlossen sein. Die Schweiz liess dies zunächst unwidersprochen. Erst einen Tag später gab es aus Bern ein Dementi.

Bundesratssprecher André Simonazzi sagte dem «Blick»: «Den Termin vom Frühjahr hat Herr Juncker vorgegeben.» Der Bundesrat wolle zwar ebenfalls ein Rahmenabkommen, doch er ziehe «Inhalt vor Tempo» vor. Wie es zu dieser unterschiedlichen Wahrnehmung kam, ist unklar. Klar hingegen ist, dass Simonazzis Worte Brüssel verärgerten.

Die EU-Kommission reagierte postwendend: Sie befristete im Dezember die Äquivalenzanerkennung für die Schweizer Börse auf ein Jahr und knüpfte sie an die Bedingung, dass es «genügend Fortschritte» beim Rahmenabkommen geben müsse. Diese politische Verknüpfung zweier unabhängiger Dossiers verärgerte wiederum die Schweiz.

Daraufhin wurde verhandelt, so dass Ende 2018 tatsächlich ein Abkommensentwurf auf dem Tisch lag, wobei sich die Unterhändler in drei Punkten nicht einigen konnten: die flankierenden Massnahmen, die staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie. Diese wurden separat in einem Papier aufgeführt.

Während der Bundesrat das Verhandlungspaket in die Konsultation schickte, verlängerte die EU die Börsenäquivalenz erneut - aber nur für ein halbes Jahr, bis Ende Juni 2019. Damit setzte Brüssel Bern unter Zeitdruck, was dieses nicht gebrauchen konnte.

Denn der Bundesrat wollte mit dieser Konsultationsphase ausloten, wer wo steht. «Wir müssen schauen, welchen Spielraum wir innenpolitisch haben», hatte Aussenminister Ignazio Cassis argumentiert.

Gewerkschaften ins Boot holen

Vor allem die Gewerkschaften musste der Bundesrat wieder ins Boot holen. Die Aussage Cassis', über die Aufweichung von roten Linien diskutieren zu wollen, hatte die Arbeitnehmervertreter befürchteten lassen, der Arbeitnehmerschutz werde ausgehöhlt. Entsprechend gingen sie auf die Barrikaden.

Finanzindustrie bereitet sich auf Ende der Börsenäquivalenz vor

Die UBS und andere Banken warnen ihre Kunden vor dem Aus der Börsenäquivalenz zwischen der Schweiz und der EU. Mehr dazu hier.

Nach der Konsultationsphase schrieb Bundespräsident Ueli Maurer Juncker Anfang Juni einen Brief, in dem er in den drei noch offenen Punkten Präzisierungen verlangte. Dieser zeigte sich bereit, über die von der Schweiz geforderten Präzisierungen zu reden und diese wenn nötig vorzunehmen. Präzisierungen sind für die EU keine grosse Sache, machbar innert wenigen Tagen.

Die EU-Kommission setzte eine Frist von einer Woche. Denn am 18. Juni wollte sie eine Gesamtbeurteilung der Beziehung Schweiz-EU vornehmen - und über eine Verlängerung der Börsenäquivalenz entscheiden. Doch der Schweizer Chefunterhändler Roberto Balzaretti kam in der besagten Woche lediglich mit der Botschaft nach Brüssel, die Schweiz brauche mehr Zeit.

«Einen Schuss vor den Bug»

Maurer hatte dies in seinem Brief an Juncker angedeutet: Bern werde bei der Suche nach einer Lösung mit der EU «die Sozialpartner in seine Überlegungen miteinbeziehen». Das bedeutet im Klartext, dass man zusammen mit den Sozialpartner auslotet, wo noch Spielraum ist und unter welchen Bedingungen. Ein Prozess, der wiederum Zeit braucht.

Die EU-Kommission aber hatte konkrete Präzisierungsvorschläge von der Schweiz erwartet und kam sich nun veräppelt vor. Balzaretti sei «ohne Mandat» nach Brüssel gekommen, ärgerten sich die EU-Unterhändler und verdächtigten die Schweiz, auf Zeit zu spielen. Die Schweiz brauche wohl «einen Schuss vor den Bug», hatte EU-Kommissar Johannes Hahn in seiner Lagebeurteilung geschrieben.

EU wollte das Gesicht wahren

Unter dieser Voraussetzung konnte und wollte die Brüsseler Behörde die Börsenäquivalenz nicht mehr verlängern. Denn mit der Verknüpfung der beiden Dossiers hatte die EU-Kommission zwar anfänglich ein Druckmittel gegen die Schweiz in der Hand, doch nun stand die Behörde gerade deswegen unter Zugzwang.

Hätte sie die Äquivalenz nicht auslaufen lassen, hätte sie an Glaubwürdigkeit verloren. Damit hat sie aber eine unnötige Eskalation ausgelöst.

Es ist zu hoffen, dass sich die Gemüter bald wieder beruhigen werden. Nur im Dialog lässt sich eine Lösung finden, die beiden Seiten gerecht wird. Drohungen hingegen können sich schnell als kontraproduktiv erweisen.

(sda/gku)