Eines kann man Nicolás Maduro in diesen Tagen nicht vorwerfen – Tatenlosigkeit. Der Präsident Venezuelas versucht derzeit alles, um sich an der Macht zu halten und den finanziellen Kollaps des Landes zu verhindern. Jetzt hat er den öffentlichen Bediensteten vor Ostern drei Tage Urlaub verordnet, um Geld zu sparen.

Das droht im April knapp zu werden. Caracas muss dann knapp drei Milliarden Dollar an seine Gläubiger zahlen. Gelingt das nicht, wäre das Land schlicht pleite. Der Staatsbankrott wäre historisch. Das Land hat gleichzeitig Schulden von umgerechnet 171 Milliarden Dollar, wie Zahlen des Finanzdienstes Bloomberg zeigen.

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Auf den Spuren Griechenlands

Bei einem Zahlungsausfall würde Venezuela Griechenland als grössten Staatspleitier ablösen. Bei den Griechen standen im Jahr 2012 umgerechnet lediglich 138 Milliarden Dollar im Feuer. Dabei sitzt Venezuela auf den weltweit grössten Ölreserven.

Die Finanzmärkte befinden sich regelrecht in Aufruhr. Die Akteure gehen davon aus, dass das Land in den kommenden fünf Jahren in die Pleite schlittert. Die Wahrscheinlichkeit dafür beziffern sie auf nunmehr 92 Prozent. Das Risiko, dass es in den kommenden zwölf Monaten zu einem Zahlungsausfall kommt, liegt nach Ansicht der Märkte bei 56 Prozent. Noch im Februar lag die Wahrscheinlichkeit erst bei 40 Prozent.

Im April sind 900 Millionen fällig

Im April muss Caracas immerhin 900 Millionen Dollar Zinsen an seine Gläubiger zahlen. Darüber hinaus läuft am kommenden Mittwoch eine zwei Milliarden Dollar schwere Anleihe der staatlichen Ölgesellschaft Petroleos de Venezuela aus. Insgesamt muss Venezuela in diesem Jahr rund zehn Milliarden Dollar zusammenkratzen.

Das Land befindet sich in einer brutalen Abwärtsspirale. Seit 2014 schrumpft die Wirtschaft, derzeit mit zweistelligen Raten. Grund sind nicht allein die fallenden Rohstoffpreise. Wegen der politischen Proteste und der wirtschaftlichen Engpässe wird auch immer weniger Öl aus dem Boden gepumpt. Waren es 2015 noch rund 2,4 Millionen Fass, beträgt die Tagesproduktion inzwischen nur noch etwas über zwei Millionen Barrel.

Um den Staatshaushalt am Laufen zu halten, hat die Zentralbank die Notenpresse angeworfen. Mit gravierenden Folgen: Die Teuerung ist auf 700 Prozent in die Höhe geschnellt. Diese Hyperinflation trifft die Bevölkerung hart und verstärkt die Proteste.

Bislang hat Präsident Maduro noch alles unternommen, um die horrenden Schulden des Landes zu begleichen. Da die eigene Notenbank keine Dollar drucken kann, mussten einfach andere Ideen her. Um Devisen zu sparen, wurden beispielsweise die Importe drastisch zurückgefahren. Das hat wiederum die Versorgungslage der Bevölkerung weiter verschärft.

Das erste Halbjahr könnte Maduro noch überbrücken

Um die im April fälligen Milliarden zu beschaffen, soll die Notenbank mit der amerikanischen Investmentfondsgesellschaft Fintech Advisory in New York verhandeln, und Anteile am staatseigenen Ölkonzern verpfänden. Doch die Märkte bleiben skeptisch. Die am kommenden Mittwoch fällige Anleihe notiert bei 95 Dollar, also bei 95 Prozent ihres Nennwertes. Sprich: Mutigen winkt ein Gewinn von fünf Prozent innerhalb einer Woche, sollte Caracas zahlen, was einer Jahresrendite von 228 Prozent entspricht. «Das Land ist so am Ende, dass ich diese Wette nicht eingehen würde», sagte Russ Dallen, Partner bei Caracas Capital dem Finanzdienst Bloomberg. «Du riskierst 95 Dollar, um fünf Dollar Gewinn zu machen. Selbst die Kasinos in Las Vegas bieten da die besseren Wettchancen.»

Nicht alle Experten sind so skeptisch wie Dallen. Viele rechnen damit, dass Maduro im April noch mal die Kurve bekommt. «Venezuela kann vielleicht im ersten Halbjahr 2017 den Staatsbankrott noch abwenden, wenn es rasch Teile des Tafelsilbers verkauft», meint Sebastian Rondeau, Lateinamerika-Stratege bei der Bank of America Merrill Lynch. Das Land sitze noch auf Währungsreserven von rund zehn Milliarden Dollar, einem Goldschatz von 7,7 Milliarden Dollar und verfüge über Kreditlinien beim Internationalen Währungsfonds von 1,3 Milliarden Dollar. «Sollte sich der Ölpreis nicht erholen, wird ein Bankrott im zweiten Halbjahr wahrscheinlicher», kommentiert Rondeau

Optimistischer zeigte sich auch Alejandro Arreaza von Barclays. «Auch wenn die Liquiditätslage schlecht aussieht, wird die Regierung den April überbrücken können», sagt er. «Aber die politischen Turbulenzen haben die Aussichten dafür nicht unbedingt verbessert.» 

Die Zukunft entscheidet sich auch an den Rohstoffmärkten

Arreaza spielt auf den jüngsten Schachzug der Regierung an, die weiteren Kredit in der Bevölkerung und an den Finanzmärkten gekostet hat. So hatte das Oberste Gericht Ende März die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung kurzerhand entmachtet. Nach heftigen Protesten und einem Ausverkauf bei den Staatsanleihen wurde die Entscheidung des Gerichts wieder rückgängig gemacht. Allerdings gehen die Massenproteste weiter. Die Opposition fordert die Absetzung der zuständigen Richter. Eine solche Entscheidung wäre auch für Investoren von hoher Relevanz. Schliesslich hat das Oberste Gericht bislang sämtliche Versuche der Opposition, Maduro zu stürzen, unterbunden. Und auch die alltägliche Regierungsarbeit wurde von den Richtern bislang mit Flankenschutz versehen.

Die Zukunft Maduros wird allerdings auch an den Rohstoffmärkten entschieden. «Zwar dürften die politischen Turbulenzen die Kreditwürdigkeit kurzfristig beeinflussen. Letztlich wird aber die Entwicklung beim Ölpreis über das Schicksal des Staates entscheiden», erklärt Munir Jalil, Analyst bei der Citi. 

Barclays-Mann Arreaza wird in den kommenden Wochen sowohl die politische Situation als auch die Energiemärkte im Blick behalten. «Wenn die politischen Proteste nicht abebben und sich der Ölpreis nicht erholt, dürfte die derzeit noch hohe Bereitschaft abnehmen, weiter unter grossen Schmerzen die Schulden zu bedienen.» Allerdings seien die politischen und sozialen Kosten eines Staatsbankrotts immens.

Für die Märkte wird es darauf ankommen, dass die politische Situation nicht ausser Kontrolle gerät. Das war beispielsweise in Argentinien zur Jahrtausendwende der Fall. Dort nahm der Druck der Strasse solche Dimensionen an, dass die Regierung flüchten musste. Was folgte war der Staatsbankrott.

Dieser Artikel ist zuerst in «Die Welt» erschienen unter dem Titel «Der Welt droht der grösste Staatsbankrott aller Zeiten».