Das Gespräch führte Thomas Pfefferlé
Bevor wir uns mit der aktuellen politischen Debatte über die BVG-Reform befassen, sollten wir uns noch einmal vergegenwärtigen, welches die grössten Herausforderungen für das Schweizer Rentensystem sind.

Thomas Boyer: Die demografische Dynamik der Schweiz ist sicherlich eine der grössten Herausforderungen. Unsere Bevölkerung wird immer älter und die Lebenserwartung steigt. Zudem haben wir weniger junge Menschen, um einen angemessenen Lebensstandard für unsere Rentner zu gewährleisten. Hinzu kommen neue Arbeitsmuster. Die Teilzeitarbeit zum Beispiel hat erheblich zugenommen. Dies führt zu Erwerbstätigen, die wenig, spät oder gar keine Beiträge in die zweite Säule einzahlen. Und schliesslich machen die Finanzrenditen die Sache nicht besser. Zwar steigen sie in diesem Jahr nach den Negativzinsen wieder leicht an, aber sie sind immer noch relativ niedrig und können die anderen Faktoren bei weitem nicht ausgleichen.

Was sind die wichtigsten Änderungen der BVG-Reform und was bedeuten sie für die Bevölkerung?

Es gibt unvermeidliche Kompromisse, die man bereit sein muss einzugehen. Auch wenn sie nicht perfekt ist, ist die Reform notwendiger denn je. In Anbetracht der steigenden Lebenserwartung ist die Senkung des Umwandlungssatzes nicht nur eine logische, sondern die unvermeidliche Folge unserer demografischen Entwicklung. Wenn wir länger leben, heisst das, dass wir mit demselben Kapital nicht mehr in gleicher Weise für unsere Bedürfnisse aufkommen können. Heute sind es die Arbeitnehmer, die dafür bezahlen, dass die Rentner mit einer höheren Rente in den Ruhestand gehen können. Das ist nicht fair. 
Durch die Senkung der Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken, was 90% der geltenden Schwelle entspricht, ermöglicht die BVG-Reform zudem, mehr Menschen in die zweite Säule aufzunehmen. Insbesondere die Personen, die es am nötigsten haben, nämlich Teilzeitbeschäftigte, Geringverdiener und junge Menschen. 
 

Was ist von dem Referendum oder anderen Initiativen zu erwarten, die als Antwort auf die Reform eingereicht werden?

Die Linke und die Gewerkschaften verfehlen mit dem Referendum ihr Ziel. Sie stellen die Senkung der Renten in Frage, was jedoch nur eine logische und unvermeidliche Folge der steigenden Lebenserwartung ist. Ich erinnere daran, dass der überobligatorische Teil des Umwandlungssatzes bereits vor mehreren Jahren gesenkt wurde. Es handelt sich also nicht um eine völlig neue Taktik. Wichtig zu wissen ist auch, dass die Reform wirksame Ausgleichsmassnahmen enthält. Diese stellen sicher, dass die am schlechtesten gestellten Personen nicht benachteiligt werden. Denn ihre Renten werden trotz eines niedrigeren Umwandlungssatzes nicht gekürzt.
 

 

An welchen anderen Hebeln sollte man ansetzen, um das Schweizer Rentensystem langfristig zu sichern?

Ich kann es nicht oft genug wiederholen. Um die eigene Vorsorge muss man sich frühzeitig kümmern. Mit 50 Jahren ist es bereits zu spät. Wenn ein Arbeitnehmer in ein Unternehmen eintritt, sollte er sich daher genau ansehen, welche Leistungen sein neuer Arbeitgeber in Bezug auf die Rente vorsieht. In diesem Zusammenhang ist zu hoffen, dass der derzeitige Mangel an Fachkräften in vielen Branchen die Unternehmen dazu veranlasst, die Altersvorsorge für ihre Mitarbeitenden attraktiver zu machen. Der Druck auf den Märkten sollte die Wirtschaftsakteure also dazu bringen, in diesem Punkt soziale Verantwortung zu übernehmen und über die BVG-Minimalpläne hinauszugehen. Zweitens wird auf individueller Ebene der Abschluss einer Lösung für die dritte Säule mehr als empfehlenswert. Es geht darum, dass jeder Einzelne zu einem Akteur seiner Vorsorge wird, indem er so früh wie möglich die Pensionierung plant.

Gibt es in anderen Ländern erfolgreiche Modelle, von denen man lernen kann?

Es ist schwierig, erfolgreiche Modelle aus anderen Ländern zu identifizieren, da jeder Staat seine eigenen Strukturen hat. Die Sozial-, Steuer- und Arbeitssysteme sind daher unterschiedlich. Generell kann man jedoch sagen, dass die Niederlande und die skandinavischen Länder im Allgemeinen eines der stärksten sozialen Vorsorgesysteme haben. Unser System, das auf den drei Säulen AHV, BVG und dritte Säule beruht, ist relativ widerstandsfähig. Dies zeigte sich während der Pandemie und der anschliessenden Krise. Obwohl unser System im internationalen Vergleich leicht an Attraktivität verloren hat, bleibt es robust und angesehen. Es verdient jedoch weitere Anpassungen. Daher ist eine Reform notwendig, auch wenn sie nicht perfekt ist. 

 

Wie können Versicherer und Akteure wie die Groupe Mutuel zum Fortbestand des Schweizer Rentensystems beitragen?

Indem sie flexible Lösungen und Produkte anbieten, die den aktuellen Herausforderungen entsprechen. Bei der Groupe Mutuel haben wir eine Palette von Vorsorgeprodukten entwickelt, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestmöglich zu unterstützen, sei es im Rahmen des BVG oder der 3. Säule.
Wir haben unsere Strategie stets langfristig angesetzt und versucht, uns so gut wie möglich gegen Risiken und eine unvorhersehbare Konjunktur abzusichern. Konkret zeigt sich dies vor allem darin, dass wir die Erträge der Vorsorgefonds an die Versicherten weitergeben. Ausserdem haben wir eine Schutzmassnahme eingeführt, die darauf abzielt, Überschüsse in guten Jahren zu sichern, um sie in schlechten Jahren wieder ausschütten zu können. Weiter bieten wir den Arbeitgebern im Bereich der beruflichen Vorsorge zwei Hauptalternativen an. Eine von uns entwickelte und verwaltete Lösung und eine offene Plattform, auf der der Arbeitgeber die benötigten Leistungen auswählt und die verschiedenen Parameter nach Belieben anpasst. Wir sind seit vielen Jahren im Bereich der individuellen und betrieblichen Vorsorge tätig und können nun eine breite Palette flexibler Lösungen anbieten, die auf die verschiedenen Situationen zugeschnitten sind.