Corona und die dazugehörigen Schutzmassnahmen wie Lockdowns haben die Wirtschaft binnen weniger Wochen auf den Kopf gestellt. Wer gehörte zu den Gewinnern, wer zu den Verlierern?
Felix Boeni: Lokal und international tätige Unternehmen, die flexibel agieren und diesen plötzlich eingetretenen Herausforderungen mit Innovation und neuen Geschäftsmöglichkeiten entgegentreten konnten, waren und sind erfolgreich unterwegs. Unternehmen mit komplexen Hierarchien oder Prozessen hatten es in dieser Zeit hingegen deutlich schwerer.

Was haben Sie in dieser Zeit über die Widerstandsfähigkeit von Organisationen gelernt?
Es zeigte sich, dass in Zeiten extremer oder schneller Veränderungen starke Beziehungen und eine offene Kommunikation zwischen Versicherten, Maklern und Versicherern besonders wichtig sind.

Welche Auswirkungen hatte und hat die Pandemie innerhalb von Liberty Specialty Market?
Wichtig war und ist, dass unser Konzern den Schutz der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt. Trotz Krisensituation konnten wir unsere Produktivität steigern und haben den Austausch mit anderen Niederlassungen und Teams verstärkt. Dies war vor allem durch die starke Finanzkraft unseres Unternehmens möglich.

Gab es Besonderheiten in der Schweizer Geschäftsstelle?
Durch die schnelle und umfassende IT-Unterstützung in unserer Firma war es möglich, unsere Mitarbeitenden schnell ins Homeoffice zu schicken und zu begleiten. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dieser «neuen» Arbeitsform gemacht und unsere Mitarbeitenden fühlen sich dabei sehr gut unterstützt und betreut. Was im Markt vor allem geschätzt wird, ist, dass unsere Mitarbeitenden immer gut erreichbar sind und wir unsere Zeichnungskapazitäten grösstenteils nicht einschränken müssen. Für uns ist es zentral, dass wir unsere Kunden und Geschäftspartner auch in einer Krise bestmöglich bedienen, was uns nicht schlecht gelungen zu sein scheint.

Wie sieht Ihr Büroalltag in der «neuen Normalität» aus?
Wir sind daran, mit dieser «neuen Normalität» umgehen zu lernen und müssen uns bewusstwerden, dass solche schwierigen Zeiten immer wieder vorkommen können. Wir müssen uns auf neue Umstände schnell einstellen können, um unsere Kunden verlässlich zu bedienen. Es hat sich gezeigt, dass die Anwendung technischer Hilfsmittel immer wichtiger wird und wir sollten diesbezüglich offen sein, alte Arbeitsweisen kritisch zu hinterfragen. Unsere Mitarbeitenden lernen alte Arbeitsmuster zu ändern, um am Markt agil zu bleiben.

Inwiefern hat sich Covid-19 auf den globalen Versicherungsmarkt ausgewirkt?
Durch die verschärfte Schadensituation in zahlreichen Versicherungsbereichen haben die Versicherer ihre Zeichnungskapazitäten eingeschränkt oder setzen diese nun zurückhaltender und abhängig von der betroffenen Versicherungssparte sogar nicht mehr ein. Durch diese Kapazitätsverknappung steigen u.a. die Prämien, was viele Kunden vor grosse Probleme stellt. Dies nicht nur wegen höheren Kosten, sondern auch aufgrund reduzierter Kapazität und eingeschränktem Versicherungsschutz. Durch das anhaltende Niedrigzinsumfeld und die plötzlich steigende und pandemiebedingte Schadenlast sind die Versicherer noch mehr unter Druck gekommen. Man muss aber sagen, dass diese Pandemie nicht die alleinige Ursache der derzeitigen Marktentwicklung ist.

Welche Gründe gibt es sonst noch?
Weitere Faktoren, die diesen Trend verschärfen, sind meines Erachtens die soziale Inflation, , Streiks, Proteste und Unruhen, steigende US-Haftpflichtfälle, das weltweite politische Umfeld, ein bis anhin zu lange andauernder weicher Versicherungsmarkt, aber auch unvorhersehbare Naturkatastrophen und der Klimawandel. Diese Faktoren führen zu neuen Herausforderungen in der Versicherungsbranche.

Wie erklären Sie sich die steigenden Prämien?
Jahrelang kannten die Prämien nur eine Richtung – nämlich nach unten. Durch den harten Konkurrenzkampf und scharfen Wettbewerb herrschte über Jahre ein weicher Versicherungsmarkt, da die Schadenentwicklung moderat verlief und ein schlechtes Versicherungsjahr z.T. mit guten Finanzergebnissen am Finanzmarkt aufgefangen werden konnte. Da nun aber die Schadenzahlen immer schlechter wurden und die Finanzergebnisse ausbleiben, sind die Versicherer gezwungen, aus dem Verkauf von Versicherungslösungen wieder profitabel zu agieren. Dies erreichen sie nur mittels erhöhten Prämieneinnahmen.

Können Sie das konkretisieren?
Als die Versicherungsprämien durch z.T. steigenden Wettbewerb und gute Schadenentwicklung weiter sanken und die Versicherer immer weniger verdienten, zogen einige von ihnen ihre Kapazitäten zurück oder haben das Geschäft eingestellt. Diesen Prozess konnte man über viele Jahre verfolgen. Gegenwärtig sind einige Versicherer am Punkt angekommen, wo sie nur noch die Möglichkeit sehen, Prämien nach oben zu korrigieren. Man wird nun sehen, wie lange dieser Prozess andauern wird. Durch diese Verhärtung des Marktes werden neue Anbieter erscheinen, die diese Entwicklung der ansteigenden Prämie verlangsamen werden.

Mit welchen Konsequenzen?
Im Moment gibt es immer noch mehr als genug Kapital im Finanzmarkt. Durch den neuen Wettbewerb sehe ich eher den Peak als erreicht, so dass die Prämien wieder moderat sinken könnten und man wieder den niedrigen Prämien nachjagen könnte. 

Liberty Specialty Market macht bei dieser Jagd aber nicht mit...
Nein, denn die vergangenen 18 Monate haben uns wichtige Erkenntnisse gezeigt: Versicherer, die in guten Zeiten die niedrigsten Preise anbieten, haben in schwierigen Zeiten nur begrenzte Alternativen. Sie müssen die Prämien erhöhen oder sich aus dem Markt zurückziehen, möglicherweise kurzfristig. Versicherer, die langfristig denken, können – wie genossenschaftlich aufgestellte Versicherungen –  es sich leisten, ruhiger und flexibler zu agieren. Denn sie sind so strukturiert, dass sie auf lange Sicht bestehen können.

Wie können sich Versicherer und Versicherte dem aktuellen Umfeld gemeinsam anpassen?
Wenn Versicherer gezwungen sind, ihre Kapazität zu begrenzen, müssen sie sorgfältig prüfen, wie und wo sie diese einsetzen. Ein Dialog zwischen Versicherern und Versicherten und ein flexibles Vorgehen helfen beiden Parteien.

Das heisst?
Versicherer müssen einen kundenorientierten Ansatz verfolgen und das Geschäft des Kunden verstehen, um eine flexible, massgeschneiderte Lösung anbieten zu können. Wichtig scheint auch, dass beide Parteien sich loyal geben und die gegenseitige Beziehung pflegen.

Was können Versicherte tun?
Sie können durch die Art und Weise, wie sie ihr Geschäft positionieren, unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Dazu gehört es, ein starkes Risikomanagement zu demonstrieren. Zudem müssen sie ihre Prioritäten definieren und die Optionen, beispielsweise Selbstbehalte, Versicherungssummen oder geänderte Vertragsbedingungen, mit ihrem Berater erörtern. Passen diese zur Risikobereitschaft des Versicherers und in dessen Portfolio, können weitere Schritte eingeleitet werden.

Welche Vorteile hat eine genossenschaftlich geführte Versicherung in diesem Fall?
Genossenschaften sind so strukturiert, dass sie langfristig bestehen und zuverlässige Ergebnisse liefern. Es ist kein Zufall, dass wir von Liberty Specialty Markets in den letzten 18 Monaten beständig und ruhig geblieben sind.

Inwiefern profitieren Versicherte von diesem Geschäftsmodell?
Genossenschaftlich geführte Versicherungsgesellschaften müssen keine Zeit mit der Berichterstattung an Finanzanalysten oder aktivistische Investoren verbringen. Entsprechend haben sie mehr Zeit, um sich auf ihre Kunden und deren Bedürfnisse zu konzentrieren.

Ein Qualitätsgewinn, der nicht zu unterschätzen ist…
Genau. Wir bauen langfristige Beziehungen auf. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir verfügbar-sein und Probleme direkt angehen müssen. Dies tun wir im persönlichen Gespräch, um unsere Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Tun das nicht alle Versicherer?
Bei Liberty Specialty Markets sind wir bestrebt, unsere Kunden konstant über Änderungen in Bezug auf Bereitschaft, Kapazität und Bedingungen zu informieren. Wir wollen eine klare und offene Kommunikation gewähren.