Jüngst kam eine Studie zum Schluss, dass wir die glücklichsten Rentnerinnen und Rentner weltweit haben. In der Schweiz seien 80 Prozent zufrieden mit ihrem Leben. Gilt das auch für künftige Generationen?

Eine Voraussage ist schwierig, weil viele Faktoren mitspielen. Die Leistungen aus der zweiten Säule werden aber für die künftigen Generationen tendenziell geringer sein. Selbst unter den Babyboomern gibt es grosse Unterschiede. Während die bereits pensionierten Versicherten aus dieser Altersgruppe von einer gewissen Besitzstandsgarantie profitieren, etwa durch eine Kompensation der Umwandlungssatzsenkung, ist dies bei den in den frühen 60er-Jahren Geborenen nicht mehr der Fall.

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Als die berufliche Vorsorge 1985 obligatorisch wurde, galt die Vorstellung, dass die erste und zweite Säule zusammen nach der Pensionierung rund 60 Prozent des letzten Lohns erreichen sollten. Sind solche Erwartungen für jüngere Erwerbstätige heute noch realistisch?

Für Versicherte mit tieferen und mittleren Löhnen und keinen Karriereunterbrüchen sind diese Zahlen durchaus noch gültig. Aber klar ist: Die sogenannte Ersatzrate, also das, was nach der Pensionierung im Vergleich zum Vorruhestandseinkommen ausgezahlt wird, hat sich vermindert. Das hat weniger mit den aktuell sinkenden Zinsen zu tun als mit der Tatsache, dass bei konstantem Rentenalter die Mittel für eine immer länger werdende Zeit reichen müssen.

Im Ausland hört man viel Lob für unser Drei-Säulen-System, mit AHV, beruflicher Vorsorge und privatem Sparen. Aber bei internationalen Vergleichen ist die Schweiz von einem Spitzenplatz ins Mittelfeld abgerutscht. Liegt das an rigiden gesetzlichen Vorschriften wie etwa dem Mindestzinssatz oder dem fixen Umwandlungssatz im obligatorischen Teil der zweiten Säule?

Internationale Vergleiche sind immer schwierig, weil sie meist etwas oberflächlich daherkommen. Ein Grund für das Zurückfallen ist, dass andere Nationen aufgeholt haben. Speziell die nordischen Staaten und die Niederlande sind neu die Ideengeber in der Altersreform. Die gesetzlichen Vorschriften spielen indirekt eine Rolle, andere Fakten stehen im Vordergrund. Zum einen passt sich das Rentenalter nicht an die demografische Entwicklung an. Was nichts anderes bedeutet, als dass bei gleichbleibenden Beiträgen die jährlich ausbezahlten Renten sinken müssen. Zudem gibt es bei uns die Möglichkeit, das gesamte angesparte Kapital in bar zu beziehen. Das schmälert die Versicherung gegen die finanziellen Folgen der Langlebigkeit.

Ist auch der Reformstau ein Grund für die schlechtere Rangierung?

Durchaus. Wir haben es bisher nicht geschafft, unser System so umzubauen, dass es flexibel auf demografische Veränderungen reagiert.

Dann drängen sich für die Schweiz ebenfalls fortschrittliche Lösungen wie in den Niederlanden und in skandinavischen Staaten auf?

Ja, nur haben wir bei uns politische Einschränkungen.

Zur Person

Monika Bütler ist Ökonomin und ehemalige Direktorin des Schweizerischen Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität St. Gallen, wo sie heute als Honorarprofessorin für Wirtschaftspolitik lehrt. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Themen Alterung der Gesellschaft und Demografie.

Wie schätzen Sie die Umsetzungschancen für derartige Reformen im Parlament und vor dem Volk ein?

Es muss uns gelingen, die Leute von der Anpassung des heutigen Systems zu überzeugen. Das geht bei zwei Gruppen vielleicht etwas einfacher. Zum einen bei den Jungen, die ein Interesse an einem stabilen und gerechten Vorsorgemodell haben. Zum andern gilt es, die bereits Pensionierten ins Boot zu holen, die für ihre Sicherheit im Alter ebenfalls auf ein stabiles System angewiesen sind.

Ist der äussere Druck einfach zu gering, sodass man sich nur halbherzig an Veränderungen heranwagt?

Ja, und ironischerweise liegt es auch am guten Job, den die Pensionskassen in den letzten Jahren gemacht haben. Sie ergriffen Massnahmen, um finanziell stabil zu bleiben. Etwa mit umhüllenden Kassen, die den obligatorischen und überobligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge kombinieren und bei denen der Umwandlungssatz auf dem Gesamtkapital gilt. Eine Schattenrechnung stellt sicher, dass der gesetzliche Umwandlungssatz im Obligatorium eingehalten wird. Allerdings hat dies auch zu mehr Intransparenz und Komplexität sowie zu einer Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Pensionierten geführt: Das schwächt das Vertrauen in die zweite Säule.

Wie fit präsentiert sich denn heute das Schweizer Vorsorgemodell?

Die zwei Säulen, AHV und berufliche Vorsorge, sind grundsätzlich stabil und gross genug. Da bin ich vorsichtig optimistisch. Etwas weniger gilt das für die erste Säule, die von einer schlanken Existenzsicherung zu mehr Giesskanne geht. Die zweite Säule hat sich trotz restriktiver Regulierung als erstaunlich wandelbar erwiesen.

Welche Bedeutung kommt der kapitalgedeckten zweiten Säule im Drei-Säulen-System zu?

Die berufliche Vorsorge bleibt das Kernstück des Drei-Säulen-Systems. Nur zur Erinnerung: Die zweite Säule ist älter als die AHV. Als dieses Vorsorgewerk vor vierzig Jahren obligatorisch wurde, waren bereits zwei Drittel der vom Obligatorium betroffenen Erwerbstätigen bei einer solchen Vorsorgeeinrichtung.

Wegen der längeren Lebensdauer ist für die Rentnerinnen und Rentner nicht genügend Kapital vorhanden. Damit kommt es zu einer Umverteilung von Erwerbstätigen zu Pensionierten. Wie lässt sich das stoppen?

Weniger Umverteilung ist nur möglich, wenn Umwandlungssatz und Verzinsung über die mittlere Frist den Marktparametern und der Lebenserwartung angepasst werden.

Braucht es in der zweiten Säule eine stärkere Individualisierung, wie es mit den 1e-Plänen für besser verdienende Mitarbeitende bereits möglich ist?

Viele Kassen bieten bereits Wahlmöglichkeiten auch für Normalverdienende, zum Beispiel höhere Sparbeiträge. Wichtig ist, dass der Grundstock des angesparten Kapitals nicht angetastet wird. Wir wissen aus vielen internationalen Studien, dass mehr Wahlmöglichkeiten nicht unbedingt zu besseren Lösungen führen. Die freie Wahl der Pensionskasse ist nicht die Lösung. Die Kosten – zum Beispiel durch Fehlentscheidungen der Versicherten und durch den Wegfall von spezifischen Angeboten bei den Firmen – würden kaum kompensiert durch allfällige Wettbewerbsgewinne. Eine Pensionskasse ist keine Krankenkasse, weil die Verträge über eine viel längere Zeit ausgelegt sind. Wähle ich die falsche Krankenversicherung, kann ich ohne Verlust wieder wechseln. Bei der Pensionskasse ist der mögliche Schaden viel höher.

Fehlen auch dynamische Elemente, um das Vorsorgesystem den sich laufend ändernden marktwirtschaftlichen Realitäten anzupassen?

Ja, allerdings braucht es bei den Automatismen auch ein gewisses Augenmass, um kurzfristige Schwankungen der Marktparameter abzufedern.

Zu den sich ändernden gesellschaftlichen Realitäten gehört auch eine neue Arbeitswelt. Entsprechende Verbesserungen der Vorsorge bei Teilzeit- und Mehrfachbeschäftigten sind mit den gescheiterten Reformvorhaben auf der Strecke geblieben. Braucht es nun neue Vorschläge von den Sozialpartnern, damit wenigstens eine kleine Reform möglich ist?

Viele Kassen kommen diesen Anliegen zum Beispiel mit einem verminderten Koordinationsabzug bereits entgegen. Für die Akzeptanz der zweiten Säule ist es wichtig, dass die negativen Auswirkungen von Teilzeit und Berufsunterbrüchen wegen Sorgearbeit auf die Rente besser aufgefangen werden. Etwa durch ein Splitting von Beiträgen zwischen Eltern, wenn die Kinder minderjährig sind.

An welchen Stellschrauben muss man drehen, um die berufliche Vorsorge auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen?

Es braucht eine Flexibilisierung des Umwandlungssatzes und der Verzinsung. Ich würde mir auch wünschen, dass Kleinstarbeitgeber wie Familien (Haushaltshilfe) unbürokratisch die zweite Säule für ihre Angestellten organisieren können. Eine solche Institution existiert bereits mit der staatlichen Auffangeinrichtung für Personen ohne Pensionskasse. Ein niederschwelliges Angebot stärkt auch das Vertrauen in die zweite Säule.

Fast alle Reformprojekte in der Altersvorsorge wurden in den letzten zehn Jahren vom Stimmvolk abgelehnt oder sind blockiert. Eine Ausnahme war die Zustimmung zu einer 13. AHV-Rente. Heisst das auch, dass der umlagefinanzierten AHV im Vergleich zur zweiten Säule nach dem Kapitaldeckungsverfahren bei den aktuell tiefen Zinsen künftig eine grössere Bedeutung zukommt?

Das wäre aus verschiedenen Gründen nicht optimal. Bei der AHV ist die Umverteilung von Jung zu Alt noch viel grösser als bei den Pensionskassen. Ausschlaggebend sind in der Altersvorsorge nicht die Zinsen, sondern die steigende Lebenserwartung. Für mich wirkt es zudem befremdlich, wenn in der ersten Säule, die in erster Linie der Existenzsicherung dienen sollte, so viel Geld an Leute verteilt wird, die es gar nicht benötigen.

Noch ein Blick in die Zukunft: Von den rund 15 000 Pensionskassen bei der Einführung des BVG-Obligatoriums 1985 sind etwa 1300 verblieben. Geht dieser Konzentrationsprozess im gleichen Rhythmus weiter?

Es hat schon bisher eine starke Konsolidierung gegeben. Das schweizerische Vorsorgemodell ist bedeutend individueller als etwa das niederländische. Damit verbinden sich Vor- und Nachteile. Viele kleine Kassen machen einen super Job, weil sie relativ nahe bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind. Gerade diese Vorsorgeeinrichtungen können oft mit Innovationen trumpfen und spezifische Angebote innerhalb der regulatorischen Grenzen machen. Daneben gibt es zahlreiche Sammelstiftungen. Insgesamt geht der Konzentrationsprozess jedoch mit gewissen Einschränkungen weiter.

Sind weniger, aber grössere Vorsorgeeinrichtungen auch effizienter?

Nicht unbedingt. Eine kleine Kasse kann gewisse Versicherungsleistungen auch auslagern.