Wie haben sich in Ihren Augen die Anforderungen im Bereich Assetmanagement in den letzten Jahren verändert?

Anita Sigg (AS): Früher konzentrierte sich die Beratung privater Kunden hauptsächlich auf Anlageberatung in enger Verbindung mit dem Portfoliomanagement. Heute steht eine umfassende Beratung zu allen Assets und Liabilities im Fokus. Themen wie Vorsorge, Nachfolgeplanung, Immobilien, Unternehmensbeteiligungen sowie Steueroptimierung müssen gleichermassen berücksichtigt werden. Kunden erwarten individuelle Lösungen, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Berater müssen heute die Gesamtzusammenhänge verstehen und massgeschneiderte Lösungsvorschläge für die Einkommens- und Vermögensstrukturierung ihrer Kunden entwickeln. Hinzu kommt, dass Kunden heute deutlich besser informiert sind.

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Dank Chat GPT?

AS: Unter anderem, ja. KI wird zum Sparringspartner, und Kunden können sich noch einfacher als mit herkömmlichen Google-Suchen zu verschiedenen Themen selbst informieren. Dies erhöht den Druck zur Professionalisierung und Spezialisierung. Zusätzlich wird ein starkes Netzwerk immer wichtiger.

Zur Person

Anita Sigg ist Dozentin an der ZHAW und leitet die Fachstelle Personal, Finance und Wealth Management. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Entscheidungsprozesse, die private Haushalte bezüglich Finanzen tätigen.

Sehen Sie das auch so, Frau Gisler?

Katja Gisler (KG): Der Druck Richtung Professionalisierung und Spezialisierung besteht schon heute und wird sich mit KI noch verstärken. Das bedeutet, dass man sich in der Vermögensberatung auf klare Stärken fokussieren muss. «Alles ein bisschen machen» wird immer weniger möglich. Wir sehen das bereits in der Anlagestrategieberatung: Wer hier seine Hausaufgaben macht, kann mit einer guten Strategie im Vergleich zur Konkurrenz deutlich mehr herausholen.

Zur Person

Katja I. M. Gisler arbeitet bei der unabhängigen Wirtschaftsberatung Wellershoff & Partners. Schwerpunktmässig unterstützt sie Finanzinstitutionen im Anlageprozess. 

Wer erfolgreich bleiben möchte, der spezialisiert sich also?

KG: Der Trend geht klar in Richtung Spezialisierung und zugleich in Richtung Aufbrechen der Wertschöpfungskette. Für Kunden ist es aber nach wie vor zentral, dass man sich um sie kümmert und auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht. Hyperpersonalisierung gewinnt deshalb an Bedeutung, während standardisierte Anlageprofile zunehmend an Relevanz verlieren. KI und ein gutes Kundendatenmanagement werden diesen Prozess beschleunigen. Entscheidend ist dabei, die Kunden im gesamten Ökosystem abzuholen.

AS: Die Universalbanken haben früh mit der Standardisierung begonnen und Kunden verschiedenen Risikokategorien zugeordnet. Viele Kunden wünschen sich heute jedoch spezifische Lösungen, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Hier kommt das Thema Datenmanagement ins Spiel. Es bietet die Chance, die Vermögensverwaltung zu individualisieren. 

Ein guter Assetmanager ist also heute Datenmanager, KI-Experte und vor allem empathisch?

AS: Zunächst muss klar definiert werden, was unter Assetmanagement verstanden wird. Geht es um Vermögensverwaltung für private Kunden oder um das institutionelle Assetmanagement? Hier bestehen grosse Unterschiede, und auch die Auswirkungen von KI werden sich völlig unterschiedlich darstellen. Im Geschäft mit privaten Kunden wird beispielsweise relevant, ob der Anteil der «Self-directed-Kunden» zunehmen wird, weil die persönliche Beratung durch KI-Beratung ergänzt oder teilweise ersetzt wird. Bei privaten Kunden sind Einkommens- und Vermögensfragen oft eng mit rechtlichen und persönlichen Fragestellungen der Kunden und ihrer Familien verbunden. Vor allem, wenn hohe Einkommen oder grosse Vermögen mit im Spiel sind, steigt die Komplexität, aber auch das Bedürfnis nach einer vertrauensvollen, diskreten und professionellen Beratung. 

KG: Die umfassende Betreuung der Kunden in all ihrer Komplexität wird in der Vermögensverwaltung immer zentraler. Gleichzeitig erlebt die Branche ein Aufbrechen der Wertschöpfungskette, was zu mehr Professionalisierung und Spezialisierung führt. Das verlangt nach neuen Fähigkeiten, aber nicht zwingend danach, selbst Datenmanager oder KI-Experte zu sein. Wichtiger ist, dass Berater das Gesamtangebot überblicken und ihre Kunden im gesamten Ökosystem abholen können. Das bedingt aber auch, dass man den Kunden richtig ansprechen kann. Und da sehen wir besonders auch in der Kommunikation mit Blick auf die Hyperpersonalisierung noch mehr Potenzial.

Dann brauchen die hiesigen Berater keine Angst zu haben, dass KI ihnen den Job wegnimmt?

AS: KI wird im Anlagebereich von der Beratung bis zur Abwicklung alle Prozesse verändern. Kundenberater müssen sich deshalb intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzen. Für Kunden sind Tools wie Chat GPT quasi Google auf dem nächsten Level. Sie finden schnell sehr spezifische Antworten auf ihre Fragen – damit müssen Berater umgehen können. Anderseits kann KI die Kundenberatung bei der effizienteren Prozessabwicklung sowie bei der Generierung von Beratungs-Leads und Verkaufschancen unterstützen. Riesige Datenmengen standen im Finanzwesen schon immer zur Verfügung, und datenbasierte Kundenbetreuung war bereits möglich. Generative KI hebt dies nun auf ein völlig neues Level. Viele Banken müssen hier aber noch ihre Hausaufgaben machen. Die Gefahr besteht jedoch darin, technologiegetriebene statt kundenzentrierter Lösungen zu entwickeln, die an den Bedürfnissen der Kunden vorbeigehen.

KG: Der menschliche Faktor wird sicher nicht verschwinden, aber die Rolle der Kundenberater verändert sich. Zugleich schreitet die Professionalisierung und Spezialisierung in der Vermögensberatung weiter voran, dies wird von KI weiter unterstützt. Kollaboratives Arbeiten gewinnt damit ebenso an Bedeutung wie der Umgang mit einer zunehmend fragmentierten Wertschöpfungskette. Eine gute Datenbasis ist dabei sicherlich überall sehr wichtig. Denn wie bei jeder datenbasierten Analyse gilt der Grundsatz: Eine schlechte Datenqualität führt mit oder ohne KI zu schlechten Ergebnissen (garbage in, garbage out).

Aktuell befinden sich die Berater also im Spannungsfeld von Automatisierung und Personalisierung? Was bedeuten Robo-Advisors in diesem Kontext?

AS: Self-Directed-Kunden sind typischerweise Männer, die sehr technologieaffin und oft bankenkritisch sind. Viele junge Bankkunden interessieren sich stark fürs Anlegen, vor allem im Kryptobereich. Diese neue Kundengeneration ist im Auge zu behalten und für sie müssen entsprechende Angebote entwickelt werden. Es wird sich zeigen, ob diese Generation mit zunehmendem Vermögen konservativer wird oder bei anspruchsvollen Finanzthemen doch auf die persönliche Beratung von Spezialisten zurückgreift. In der Schweiz wird im Anlagebereich das meiste Geld immer noch mit der traditionellen Vermögensverwaltung für vermögende Kunden verdient. Aber auch dort verfolgt die nächste Generation nicht nur Buy-and-Hold-Strategien und erwartet Anlagelösungen im Kryptobereich sowie attraktive, digitalisierte Serviceprozesse. 

KG: Ebenfalls wichtig ist, mit welchen Beträgen die Self-Directed-Kunden handeln. Oft sind es kleinere bis mittlere Beträge. Aber gerade bei grösseren Summen möchte man eine Ansprechperson haben, die die Gesamtsituation und insbesondere die Risiken verständlich erklären und einschätzen kann. Der menschliche Faktor wird daher in der Vermögensverwaltung zentral bleiben und vielleicht sogar noch wichtiger werden. 

AS: Hinzu kommt, dass besonders bei der Beratung von Retailkunden, die nicht im Fokus für eine persönliche Beratung stehen, mit KI ein grosses Potenzial besteht, diese Kundengruppe beim Erreichen ihrer finanziellen Ziele zu unterstützen. So lassen sich heute beispielsweise im Bereich Vorsorgeanlegen ganz unkompliziert Risikofaktoren und persönliche Handlungsoptionen aufzeigen – zu geringen Kosten und mit niedrigen Eintrittshürden.

Aber die Schweiz hinkt hier hinterher – gerade wenn es darum geht, Regularien zu schaffen, die den Einsatz neuer Techniken ermöglichen.

AS: Bei der Nutzung von KI-Modellen sind Finanzdienstleister aus regulatorischen Gründen, insbesondere wegen berechtigter Datenschutzvorgaben, stärker eingeschränkt als andere Branchen. Dies führt dazu, dass für den KI-Einsatz sehr spezifische Rahmenbedingungen gelten. Deshalb ist es uns als Hochschule wichtig, unseren Studierenden im Bereich Banking and Finance sowohl in der Lehre als auch in der Weiterbildung KI-Experimentierfelder und umfassendes Know-how anzubieten. So ermöglichen wir Transfermöglichkeiten für Produkt- und Prozessentwicklungs-Ideen von einem offenen KI-Umfeld in ein stärker reguliertes, geschlossenes KI-Umfeld.

KG: Es ist nicht ungewöhnlich, dass Regularien Innovationen hinterherhinken. Gleichzeitig ist die Branche beim Datenschutz stark sensibilisiert und geht daher zu Recht vorsichtig mit neuen Technologien wie KI um. In der Privatnutzung setzen viele in der Branche bereits verfügbare KI-Tools ein, was sinnvoll ist, aber nicht ohne Risiken bleibt. Entsprechend muss auch die Branche reagieren, und das geschieht bereits. KI-Modelle kommen zunehmend zum Einsatz, jeweils an die Bedürfnisse der einzelnen Institute angepasst. Für einen wirksamen KI-Einsatz braucht es auf jeden Fall eine saubere Datenbasis sowie die Möglichkeit, Modelle zu trainieren und daraus zu lernen.