Deglobalisierung, neue Lieferanten, neue Lieferwege, neue Nachhaltigkeitsvorgaben, eine veränderte Risikowahrnehmung und ein sich daraus ergebendes neues Riskmanagement – das Procurement wird laut den Analysten von Morgan Stanley zukünftig zunehmend stärker zu einem attraktiven Anwendungsgebiet der generativen künstlichen Intelligenz (generative KI). Denn viele Faktoren hängen untereinander zusammen, und ein Plus an Nachhaltigkeit kann mit einem Minus an Lieferketten-Sicherheit einhergehen. Eine kleine Umfrage unter schweizerischen Einkaufsspezialisten zeigt, wo man die Potenziale sieht.

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Virtuelle Assistenten kommunizieren

Patrick Itel, Leiter Prozess- und Einkaufsmanagement bei der Competec-Gruppe, verweist auf die kommenden Herausforderungen bei Datenschutzfragen, bei der Weiterbildung beziehungsweise Schulungen sowie den Anpassungen bei den Prozessen, wenn generative KI eingeführt wird.

Darüber hinaus rechnet Itel mit einigen Veränderungen: Zunächst einmal bei der Automatisierung von Routineaufgaben: Robotic Process Automation (RPA) könne eingesetzt werden, um viele der wiederholenden und zeitaufwendigen Aufgaben im Einkaufsprozess zu automatisieren. Das umfasst beispielsweise die Überprüfung von Lieferantenrechnungen, die Verarbeitung von Bestellungen und die Aktualisierung von Lagerbeständen. Dadurch könnten Einkaufende mehr Zeit für strategische Aufgaben und die Zusammenarbeit mit Lieferanten aufwenden. Dann kommt eine Beschleunigung der Datenauswertung: «Generative KI lässt sich nutzen, um grosse Mengen an Daten schnell zu analysieren und relevante Informationen für den Einkaufsprozess zu extrahieren», sagt Itel. «Dies kann die Effizienz steigern und die Fähigkeit Einkaufender verbessern, fundierte Entscheidungen zu treffen.»

Weiter ergibt sich eine Verbesserung der Kommunikation mit Lieferanten: Generative KI kann als virtuelle Assistenz fungieren, um die Kommunikation mit Lieferanten zu erleichtern. «Sie kann Anfragen bearbeiten, häufig gestellte Fragen beantworten und sogar Verhandlungen führen», sagt Itel. «Dies kann die Effizienz steigern und die Beziehungen zu Lieferanten stärken.» Zudem gibt es eine Unterstützung bei strategischen Entscheidungen: «Durch die Automatisierung von Datenanalysen und die Bereitstellung von relevanten Informationen kann generative KI Einkäuferinnen und Einkäufer bei der Identifizierung von Trends und Chancen unterstützen», so Itel. «Dies kann dazu beitragen, bessere strategische Entscheidungen zu treffen und auch die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.»

Und da ist noch die Schulung und Weiterbildung: «Einkaufende müssen sich kontinuierlich weiterbilden, um mit den neuesten Technologien und Trends im Einkaufsmanagement Schritt zu halten», sagt Itel. «Generative KI kann als Wissensquelle und Schulungstool dienen, um Einkäuferinnen und Einkäufern bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten und ihres Wissens zu helfen.»

 

Suboptimale Lösungen bringen wenig

«Seit einigen Jahren setzen wir auch KI-Lösungen für diverse Anwendungszwecke ein», sagt Stefan Schaffner, Leiter Beschaffung bei der Schweizerischen Post. «Wie in allen Bereichen, in denen die Arbeiten vornehmlich am PC vorgenommen werden, wird sich auch im Procurement vieles beschleunigen.» Mit integrativeren Systemen wie Microsoft 365 Copilot würden diese Möglichkeiten signifikanter werden. «Eine besondere Herausforderung für das Procurement liegt in den Beschaffungsaufträgen, die im Umfeld von intelligenten Softwarelösungen auf uns zukommen dürften», so Schaffner. «Zwar handelt es sich bei den Lösungsarchitekturen mit grossen Sprachmodellen um die wohl komplexesten Systeme der Menschheitsgeschichte, aber die Verwendung ist kinderleicht und genauso das Verkaufen von Tools dazu.»

Ganz leicht könne man sich aber auch falsch entscheiden und auf suboptimale Lösungen und Anbieter setzen. «Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten», sagt Schaffner weiter. «Wenn auf dem Gebiet internes Know-how und Expertise vorhanden sind, wie etwa in der IT der Post, sollte man sie einbinden. Genauso entscheidend wie die Wahl der für das Unternehmen geeigneten Lösungsarchitekturen ist das Finden geeigneter Integrationsmöglichkeiten.»

«Bei Digitec Galaxus prüfen wir laufend, in welchen Bereichen künstliche Intelligenz einen Mehrwert für unsere Kundinnen und Kunden und/oder uns als Unternehmen bringen kann», sagt Sprecher Tobias Heller. «KI» sei in erster Linie ein Marketingbegriff. «Es ist nicht klar definiert, was künstliche Intelligenz ist», so Heller. «Was heute als KI bezeichnet wird, hat mit menschlicher Intelligenz nichts zu tun. Die Architektur zwischen einem biologischen Gehirn und einem heutigen «Computergehirn» – oder wie man es nennen will – ist sehr unterschiedlich.» Dennoch nutzt man auch hier schon KI. «In der Lagerbewirtschaftung setzen wir zum Beispiel auf ein intelligentes Bestellsystem, das automatisch erkennt, welche Produkte stark und welche schwach nachgefragt werden. Die Beschaffung passt sich automatisch der Nachfrage an, und dadurch gibt es in unseren Lagern beinahe keine unverkauften Neuwaren beziehungsweise Lagerleichen.»