Liegt bei Ihrer Funktion als Group Chief Information and Digital Officer die ganze Last der Innovation, der IT, der Transformation und Disruption auf Ihren Schultern?

Tatsächlich ist es eine neue Rolle, die mit meinem Antritt bei der ISS Group mit ihren 360 000 Angestellten vor zwei Jahren geschaffen wurde. Diese Funktion wurde geschaffen, weil es Teil der Strategie war und ist, in unserer Branche Technologieführerin zu sein. Es ist nicht entscheidend, ob es nun CIO, CTO oder CIDO heisst. Bei mir als CIDO kommen zur Technologie die digitalen Geschäftsmodelle dazu. Meine Aufgabenstellung lautet: Wie kann man mit Technologie gewinnen? Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, das ist natürlich eine Teamaufgabe. Und IT kann man nicht einfach in eine Abteilung verbannen.

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Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?

Ich habe mir gesagt: Wenn wir Technologieführer werden wollen, müssen wir die Strategie herunterbrechen. Man muss neue Fussstapfen setzen; wir brauchen «differenzierende Technologie», das heisst, wir insourcen sie, um nicht abhängig von externen Suppliern zu sein und mit eigener Software neue Geschäftsmodelle wie Software-as-a-Service aufzubauen. Bei den kritischen Komponenten wollen wir auch die Rechte haben. Deshalb wurden neue Teams gegründet. Der IT-Personalbestand wird deshalb bis Ende Jahr von 650 Personen auf rund 1000 wachsen. Und wir haben heute ein ganzes Set von Applikationen, die live gegangen sind.

Beispielsweise?

Das sind etwa zentrale IoT-Plattformen in der Cloud. Wir werden bis Ende Jahr zehn Ländergesellschaften mit ihren Rechenzentren in die Cloud transferiert haben. Dann sind es verschiedene Frontend-Applikationen. Wir haben 2023 «Must-wins» für Software definiert. Dazu gehören auch 100 000 Lizenzen beziehungsweise User für unsere Workplace-App.

 

Macht Ihnen das Spass?

Ja, es ist tatsächlich eine Freude, das alles zu machen, zumal unser CEO Jacob Aarup-Andersen sehr technologieaffin ist. Und zwischen mir und dem COO – so empfinde ich das – passt kein Blatt Papier. Und genau so muss es sein. Ausserdem gilt bei ISS immer Teamplay.

 

Aber wenn etwas nicht funktioniert, sind Sie bald auch als Sündenbock gewählt …

Das ist theoretisch so, und es wäre auch furchtbar einfach. Aber ich bin bereits seit 30 Jahren in diesen Feldern unterwegs, davon 17 Jahre bei Mercedes und fünf Jahre bei der Deutschen Bank in London und Frankfurt. Und danach fünfeinhalb Jahre bei Schenker. Es ging dabei immer auch um Transformation.

Also viel Erfahrung.

Ja, und das nicht nur bezüglich Technologie, sondern vor allem auch in Bezug auf die Frage, wie man eine Strategie organisiert und die Menschen gewinnen kann.

 

Bis jetzt sind bei ISS in der obersten Etage alle zufrieden während Ihrer bisherigen zwei Jahre?

Ja, es sieht so aus, das Feedback signalisiert das. Aber es wäre vermutlich auch schwieriger gewesen, wenn ich schon IT-Chef gewesen wäre, und es hätte geheissen, man wolle sich jetzt digitalisieren. Das wäre mehr ein Legacy-Rennen als Disruption.

 

Ein interessanter Aspekt bei der Digitalisierung und Transformation ist Predictive Maintenance, also «vorausschauende Wartung», bei der eingegriffen wird, bevor Schäden und Betriebsausfälle entstehen. Beispielsweise Luftfilter, bei denen man volle Filtereinsätze ersetzt, statt einfach mit immer mehr Energie Luft durch die verstopften Poren zu blasen.

Hier stellt sich schon am Anfang die Frage: Wie kontrollieren Sie die Compliance, also dass die Wartung gemacht wurde, und wie weisen Sie das nach? Klimaanlagen etwa sind komplexe Systeme, und ISS hat weltweit solche Anlagen in Betrieb. Und ISS musste die Frage beantworten, wie man die Klimaanlagen im Asset Management, also der digitalen Erfassung von Geräten und Materialien in Gebäuden, hinterlegt. Besteht die Anlage beispielsweise aus dreissig Komponenten, dann gehen nicht alle gleichzeitig kaputt; aber man weiss aus den globalen Daten der Vergangenheit, welches Element den Schwachpunkt darstellt und als nächstes eine Störung verursachen wird. Tausche ich dieses Element rechtzeitig aus, hält die Klimaanlage vielleicht zehn Jahre länger.

 

Was ist die Voraussetzung dafür?

Dieses Wissen über den Zustand der Anlagen bekommen wir nur, wenn alle diese erhobenen Daten standardisiert hinterlegt sind. Und so weiss man dann, dass etwa dieser Typ Zulaufpumpe vermutlich nach einer bestimmten Anzahl Stunden ausfallen wird. Und dann sparen Sie CO2 und Energie, und Sie sparen für die Kundinnen und Kunden Geld. Die Wirkung von Predictive Maintenance wird in vielen Branchen unterschätzt. Ich habe das selbst gesehen bei meinen Tätigkeiten im Banking, in der Logistik, in der Automation, und hier bei ISS im Service. Auch hier wieder meine Botschaft: Als Marktführer komme ich nicht umhin, auch technologisch führend zu sein. Dann muss ich Technologie und Software «können» und nicht nur Vertrieb und dergleichen.

Markus-Sontheimer
Quelle: ZVG

Der Realist

Name: Markus Sontheimer

Funktion: Chief Information & Digital Officer und Mitglied der Konzernleitung der ISS-Gruppe, Kopenhagen

Geboren: 11. Mai 1968

Familie: verheiratet, drei Kinder

Wohnort: Stuttgart

Ausbildung: Dipl.-Wirt.-Ing. (FH), Hochschule Esslingen

Plädieren Sie dafür, dass man alles selbst entwickeln sollte? Das wäre so gar nicht dem Zeitgeist entsprechend.

Nein, man muss nicht immer alles selber machen. So würden wir beispielsweise kein eigenes HR-oder Finanzsystem bauen. Dafür gibt es bereits gute Plattformen. Nun ist es so, dass wir weltweit jedes Jahr mehr als 100 000 Leute einstellen. Es ist für uns also ein kritischer Prozess. Daher erweitern wir die standardisierte Software um Komponenten, die unsere geschäftskritischen Prozesse optimieren – damit wir am Ende die richtigen Leute einstellen.

 

Was «bauen» Sie bei ISS selbst?

Vor allem alles rund um unser zentrales Facility-Management-System – und das im Rahmen einer Multi-Cloud-Strategie, vor allem aus Sicherheitsgründen. Zwei Beispiele: Wenn wir Facility-IoT in Gebäuden anschauen, verbauen die Hersteller von Anlagen immer mehr Sensoren, die uns wichtige Daten liefern und die wir in eigenen Applikationen auswerten. Und wir programmieren Apps wie etwa «Building on a Page» für die organisatorische Sicht auf Gebäude: Wie ist der Zustand der elektrischen Anlagen? Wie happy sind die Angestellten? Wie viel Essen wird entsorgt? Wie viel Energie wird verbraucht? Wie sind die Wartungszustände? Das ergibt intelligente, effiziente Prozesse. So wie wir beispielsweise aus den Daten heraus wissen, wo überhaupt gearbeitet wurde in den Büros, und wir also nicht jeden Abend sämtliche Teppichflächen zu saugen brauchen.

«Wir machen keine Projekte, die länger als zwölf Monate dauern.»

Mussten Sie viele Silos aufbrechen?

Ja. Silos gibt es fast überall. Früher gab es das Bonmot, der Begriff «Abteilungsleiter» komme von «ab-teilen». Historisch wurden IT-Strukturen entlang der Unternehmensorganisation aufgestellt. Das entspricht aber nicht der Art, wie moderne digitale Geschäftsmodelle aufgebaut werden. Bei ISS mit einer Million Essen weltweit pro Tag verbinden wir diesen Teil mit dem «Workplace» – sprich mit Wartung und Reinigung, wo bezahlt wird und so weiter – zu einem von ISS erstellten Food-Stack. Denn oft gibt es Querverbindungen: Wir wollen Essen vorbestellen und irgendwo abholen oder in bestimmte Büros oder Sitzungszimmer liefern lassen und bezahlen, und das alles in einer App mit einem einheitlichen Gesicht. Hier kann man keine Silos zulassen.

 

Wie lange dauern IT-Projekte bei ISS?

In unserer Guideline für Projektmanagement steht: Wir machen keine Projekte, die länger als zwölf Monate dauern. Man kann beispielsweise kein Dreijahres-ERP-Projekt auf drei Jahre planen, zeitgerecht liefern –und schon gar nicht in der nötigen Qualität. Das haben Generationen von CIO probiert – es funktioniert einfach nicht. Das Ziel wechselt, die Inputs wechseln, das Personal, die Führungskräfte; das kann man nicht stabil halten. Heute baut man kleinere Komponenten, startet mit einem «Minimum Viable Product» zusammen mit den Usern, und sie lernen von deren Feedback. Das Projekt wächst dann iterativ. Denn wir wollen nicht einen Fehler machen, der viele IT-Projekte den Erfolg kostet: Es wird oft zu wenig in Changemanagement und ins Training der Leute investiert. Heute bauen wir Applikationen zusammen mit den Leuten, die sie brauchen. Ein einfaches Beispiel: Eine coole App nutzt nichts, wenn die Buttons zur Bedienung zu klein sind und die Anwenderinnen und Anwender in der Kälte sie mit Handschuhen nicht bedienen können.

 

Was ist das Schwierigste in Ihrem Job?

Das Changemanagement. Was ich in dreissig Jahren IT gelernt habe, ist, dass man keine Tanker bauen sollte, sondern mehrere Schnellboote. Und das mit mehreren Leuten in einzelnen Ländern und nicht überall gleichzeitig. Mit diesem puzzleartigen Vorgehen falle ich nicht mit einem Tanker plötzlich überall ein. Zumal sich der Mensch langsamer ändert als die IT. Das grosse Beharrungsvermögen ist daher meine grösste Sorge; es ist nicht der Code. Wichtig ist, die Anwendungen bei den eigenen Angestellten und der Kundschaft zum erfolgreichen Tool werden zu lassen. Ausserdem muss man das Thema Datenschutz beziehungsweise Cybersecurity beherrschen. Das alles hat viel mit Kultur und Trainings zu tun und ist eine herausfordernde Führungsaufgabe. Und es braucht Zeit. Und genügend Fachkräfte.