Woran erkennen Sie, ob Sie eine innovative Firma vor sich haben?

Peter Hinssen: Ich beobachte, ob das jeweilige Management weiss, was es tut. Wichtig sind eine ausgezeichnete Führungsstärke, eine gute Unternehmenskultur und auch der Risikoappetit. Dazu gehört auch eine Neugier für alles, was sich ständig verändert. Man fühlt als Besucher in solchen Unternehmen sofort diese Neugier, das Beherrschen des Metiers und auch das Verständnis für Technologie.

Gibt es auch gegenteilige Erfahrungen?

Natürlich trifft man auch auf Firmen, bei denen die Spitzenkräfte das sagen, was die Analysten hören möchten. Aber man spürt den Unterschied.

Woran erkennen Sie, ob eine Firma eine vielversprechende Digitalisierungsstrategie hat?

In den vergangenen Jahren ist die Digitalisierung der «neue Normalzustand» geworden. Damit verändert sich einiges: Man nutzt digitale Hilfsmittel in einer solchen normalen Welt nicht mehr, diese Mittel sind so normal geworden, dass man sie gar nicht mehr erwähnt. Das Gleiche gilt für die Strategie: Firmen brauchen keine Digitalisierungsstrategie mehr. Sie brauchen generell eine Strategie.

Können Sie das ausführen?

Wenn man den Blick zu stark auf die Digitalisierung richtet, übersieht man viele weitere Veränderungen. Es ergibt sich dadurch eine Kette von «neuen Normalzuständen». Darauf müssen sich die Unternehmen vorbereiten.

Haben Sie dazu einen konkreten Tipp für das Vorgehen?

Konkret sage ich immer, Manager sollten 70 Prozent der zeitlichen Ressourcen für das laufende Geschäft aufwenden, 20 Prozent für das Geschäft von morgen und zehn für das Geschäft von übermorgen. In Varianten wird das Vorgehen auch von grossen Beratungsfirmen empfohlen. Aus einem solch relativ starren Raster ergibt sich dann auch ein anderer, besserer Planungsmechanismus.

Woran erkennen Sie einen sehr guten Top-Executive?

In den vergangenen zehn Jahren haben die Gründer von Startups viel Aufmerksamkeit bekommen. Diese bauen Firmen von Null an auf. Das ist natürlich kein einfaches Unterfangen. Aber es ist eine ganz andere Aufgabe, eine bestehende Firma so umzustellen, dass sie für die Zukunft gerüstet ist. Hierfür braucht es andere Kaliber, es müssen sehr gute Executives sein.

Zurück zur Frage. Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich habe die Entwicklung bei Walmart eng verfolgt. Der gegenwärtige CEO ist 52 Jahre alt, er zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er das Retailgeschäft extrem gut versteht. Der hat auch ein sehr gutes Gefühl für das Geschäft. Zudem ist er sehr neugierig in Bezug auf zukünftige Entwicklungen und neue Technologien. Und er ist der erste an der Walmart-Spitze, der über globale Erfahrung verfügt. Er kennt die Entwicklungen in Asien, und von dort weiss er, dass man sich ständig neu erfinden muss, wenn man langfristig erfolgreich sein will. Es braucht viel berufliche Erfahrung und persönliche Reife, um einen solchen Job erfolgreich zu machen.

Jüngere Startup-Gründer können das nicht?

Auch wenn man ein Startup aufbaut und leitet, um die dreissig Jahre alt ist – das ist alles bemerkenswert. Aber man schlägt sich hier nicht mit weiteren sehr wichtigen Themen herum, die eine grosse Rolle spielen. Dazu gehören Veränderungen bei der Firmenkultur, Leadership, Umbau von Firmen und Geschäftsmodellen. Dafür braucht es deutlich mehr als das, was typische jüngere Manager mitbringen. Wobei: Natürlich gibt es auch sehr gute jüngere Spitzenkräfte.

Wo sehen Sie den Schwachpunkt?

Es ist nötig, die Entwicklung von Executives zu überdenken. Der MBA, den viele haben, war eine gute Ausbildung für die Anforderungen des letzten Jahrhunderts. Was es heute braucht, ist eine Entscheidungsfindung bei unvollständiger Informationslage und in Zeiten sehr rascher Veränderungen. Aber in den Business Schools unterrichtet man noch zu viele «Old Skills».

Immerhin gibt es eine Reihe von neuen Methoden.

Hier kann man viel von den Unicorns lernen. Für grosse Unternehmen gibt es vor allem einen vielversprechenden Weg: Viel beweglicher werden. Ein Manifest zur Agilität innerhalb eines Unternehmens zu formulieren macht viel Sinn. Aber dann muss die Entwicklung weitergehen. Denn wenn weitere Elemente des Managements nicht angepasst werden, funktioniert das in der Praxis nicht.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Beispiel sind die jährlichen Budget-Zyklen. Sie stehen raschen Veränderungen oft im Weg. In Zeiten, die sich so rasch verändern, funktionieren die starren jährlichen Budgets nicht mehr. Es geht dabei nicht nur um die Geschwindigkeit bei Anpassungen, sondern auch um die richtige Grösse der einzelnen Positionen. Es gibt Firmen, die mit neuen Ansätzen experimentieren. Allerdings versuchen das einige mit den sieben Schritten, die sie dem «Harvard Business Review» entnommen haben. In der Praxis funktioniert das nicht.

Wie verhält es sich mit jungen Talenten?

Viele Firmen haben eine Stange Geld in die Hand genommen, um den Erwartungen der Kunden besser zu entsprechen. Die Personalabteilungen arbeiten heute aber oft noch mit den Methoden und Tools aus dem vergangenen Jahrhundert. In diesem Bereich hat sich kaum etwas verändert. Denn der Kampf um die Talente wird immer schneller und immer härter geführt. Es gibt eine grosse Lücke zwischen den Personalabteilungen und den anderen Abteilungen im Unternehmen.

Was sind die kommenden grossen Entwicklungen?

Jetzt kommt eine Dekade der «Phoenixe». So nenne ich die grossen Unternehmen, die sich umstellen. Sie holen rasch auf und kämpfen sich zurück. Man darf nicht vergessen, dass viele Märkte und Bereiche der Wirtschaft noch gar nicht disruptiert sind. Diese Bereiche und Märkte sind noch in der Hand von traditionell geführten und organisierten Firmen. Es ist jetzt die spannende Zeit der Phoenixe!

Was erwarten Sie von Startups?

Die Startups, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, haben sich vorwiegend auf die einfachen Themen und Gebiete konzentriert. Diese tief hängenden Früchte sind abgeerntet. Die kommenden Startups werden sich den ganz schwierigen Themen widmen. Es sind Bereiche, die viel kapitalintensiver sind. Dazu gehört beispielsweise der ganze Healthcare-Sektor. Auch in der Bauindustrie steht man erst ganz am Anfang. Erste Firmen errichten Gebäude mit viel weniger Aufwand. Es sind die neuen, kapitalintensiven Startups, die jetzt kommen.

Was ist auf der Seite der Endkonsumenten zu erwarten?

Da erwarte ich einen gewissen Backlash. Menschen möchten teilweise zurück zu den ursprünglichen Erfahrungen. Die Digitalisierung, der «neue Normalzustand», den ich am Anfang unseres Gesprächs erwähnt hatte, ist tatsächlich völlig «normal» geworden. Deshalb suchen viele Menschen nach Sinn, nach einem Purpose. Konkret wird sich das in neuen Produkten und Dienstleistungen zeigen, die über die bisherigen Kundenerwartungen hinausgehen. Es soll aber trotzdem alles weiterhin so einfach sein wie mit dem Smartphone.

Der Forderer

Name:       Peter Hinssen

Alter:         50

Studium:  Elektronikingenieur, Universität von Gent

Berufliche Stationen:

  • 1995: Gründung des Netzwerkunternehmens e-Com, wurde 1998 von Alcatel übernommen
  • 1999: Gründung der Technologiefirma EurAPS, danach Tätigkeit für McKinsey
  •  2000: Gründung von Streamcase, 2003 von Belgacom übernommen
  • 2005: Gründung des Beratungsunternehmens Across, CEO bis heute
  • seit 2012: Als Buchautor und Gründer für Startups in Europa und in den USA tätig

Peter Hinssen lebt mit seiner Familie auf einem Bauernhof in der Gemeinde Zwalm in Belgien.

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