Volker Richert

Dass künstliche Intelligenz (KI) beziehungsweise maschinelles Lernen (ML) den Arbeitsalltag in allen möglichen Branchen umgestalten wird, ist ein heute gängiger Topos. Was das konkret bedeutet, bleibt aber oft auf der Strecke. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn man definiert, dass mithilfe von KI grosse Mengen von Daten erfasst und analysiert werden können. Denn zentral für die konkrete Anwendung solcher Systeme ist nicht zuletzt deren einfache Handhabbarkeit, die User Experience, die sich vom Einstellen der Systeme über den Umgang mit ihnen bis zu den gelieferten Ergebnissen erstreckt.

Welche Ziele sollen mit KI erreicht werden, welche Prozesse werden adressiert, welche Datenbestände und Schnittstellen sind dafür vonnöten? Es sind solche und ähnliche Fragen, die helfen, ein realistischeres Bild zu gewinnen, wie René Fitterer, CTO von SAP Schweiz, festhält. Denn allzu oft, streicht er heraus, bestehe noch ein Spannungsfeld zwischen dem total «overhyped» Thema KI, wonach etwa Millionen von Jobs überflüssig werden, und dem Nutzen von KI, der innerhalb vieler Unternehmen erst beschränkt erkannt worden ist.

Das Unternehmen

Swarovski bietet ein Produktportfolio, das sich durch Qualität, Handwerkskunst und Kreativität auszeichnet. Das Unternehmen wurde im Jahr 1895 in Österreich gegründet. Es entwickelt, produziert und vertreibt hochwertiges Kristall, echte Edelsteine, Swarovski Created Diamonds und Zirkonia, Schmuck und Accessoires sowie Lösungen für Interior Design und Beleuchtung.

Der Geschäftsbereich Kristall wird in der fünften Familiengeneration geführt und ist weltweit mit rund 3000 Stores in etwa 170 Ländern vertreten. Mehr als 29 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwirtschafteten 2018 einen Umsatz von rund 2,7 Milliarden Euro.

Zusammen mit den Unternehmen Swarovski Optik (optische Präzisionsinstrumente) und Tyrolit (Schleifwerkzeuge) bildet der Geschäftsbereich Kristall die Swarovski-Gruppe. 2018 erzielte die Gruppe mit mehr als 34‘500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Umsatz von rund 3,5 Milliarden Euro.

In kleinen Schritten vorgehen und Grenzen abstecken

Fitterer wie sein Kollege Sean Kask, der das Solution Management im Bereich SAP-ML auf EMEA-Ebene verantwortet, fordern die Unternehmen deshalb auf, dort zu starten, wo sie aktuell stehen. Konkrete Probleme, kleine fokussierte Fragestellungen seien zu definieren, überschaubare Prozesse auszuwählen und historische Daten zu nutzen.

Wie erfolgreich das sein kann, zeigen Prozesse aus dem Unternehmensalltag von Swarovski, wo man schon früh auf der Basis von SAP-Software auf KI-Tools gesetzt hat. Swarovski entwirft, produziert und vertreibt hochwertigstes Kristall, echte Edelsteine, synthetische Diamanten und Zirkonia, Schmuck und Accessoires sowie Lösungen für Interior-Design und -Beleuchtung (siehe Box). Weniger bekannt ist, dass sich der das Unternehmen neben Design und Kreativität auch der technischen Innovation verschrieben hat und auf KI schon seit Anfang 2013 setzt. Genutzt wird sie für eine Identifikation für eine grosse Anzahl von Produkten, um die Prozesse in unterschiedlichen Abteilungen vereinfachen zu können.

Die Voraussetzung für den KI-Rückgriff war eine erste Stichprobe von bestehenden Bilddaten zu verschiedenen Produkten aus unterschiedlichen Kategorien wie beispielsweise Ringe, Uhren, Halsketten und ein interner Produktkatalog aus SAP Hybris PM, erläutert Swarovski die Hintergründe für diesen frühen Entscheid. So sei man zu Metadaten gekommen, um das KI-Modell zu trainieren. Inzwischen setze man dafür einen Prototyp unter der Cloud-basierten SAP-Lösung «Fiori» ein und eine Artikelsuche im Unternehmens-Intranet, um weitere Bild- und Metadaten zum Trainieren des Modells zu erhalten. Beeinflusst worden sei die KI-Entscheidung nicht zuletzt dadurch, dass SAP bereits in dieser Anfangszeit Know-how sowie eine starke SAP-Cloud-Plattform liefern konnte.

Klare Zielsetzung nötig

Zugute gekommen sei Swarovski der grosse Datenbestand, der eine wichtige Voraussetzung ist, um erfolgreiche Data-Science-Projekte durchführen zu können. Dabei habe die Qualität der Bilddaten eine eher untergeordnete Rolle gespielt, sehr wohl aber die Anzahl der Fotos pro Artikel, die idealerweise verschiedene Perspektiven zeigen. Zudem könnten alternativ auch synthetische Daten verwendet werden, wobei das Ziel immer war und ist, die richtigen Daten für die formulierte Hypothese zu erhalten.

Konkret konnte auf einen vorhandenen Grundstock an qualitativ hochwertigen Bilddaten zurückgegriffen werden. Mit Hilfe von SAP wurden die Daten aufbereitet und geglättet sowie synthetische Datensets erzeugt, um verschiedene Blickwinkel und Hintergründe zu simulieren. Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass eine hohe Bildqualität weder beim Training noch bei dem Modelleinsatz zwangsläufig zu besseren Ergebnissen führte. Die Lösung war vielmehr ein konsequentes Testen mit statistisch relevanten Mengen und das Auswerten der Ergebnisse. Als weitere Voraussetzungen nennt Swarovski auch die nötige Infrastruktur für die Modellentwicklung und ein Applikationsbetrieb.

Auch bei Swarovski wird hervorgehoben, dass ein KI-Modell potenziell für verschiedene Anwendungen eingesetzt werden kann, dennoch sei aber eine klare Zielsetzung bei der Entwicklung wichtig: «Nur so kann das Modell auf die Fragestellung hin optimiert werden und entschieden werden, welche die besten Trainingsdaten sind. Zudem sollte auch die Funktionsweise der Applikation, die das Modell nutzt, genau definiert sein. Zwingend notwendig für ein derartiges Projekt sei ausserdem, dass die Hypothese in dem SAP-Projekt von Beginn an klar skizziert war. Denn konnte der Zeithorizont absteckt und die notwendigen Ressourcen geplant werden können.

Per Klick zum Resultat

Zentral für die Umsetzung der automatisierten Mustererkennung in den jeweiligen Prozessen seien neben der akkuraten Definition des Zieles die zur Verfügung stehenden Trainingsdaten gewesen, erläutert man bei Swarovski. Wichtig seien in diesem Fall die Bilddaten mit den dazugehörigen Metadaten unter anderem aus Artikelnummer, Produktkategorie und -subkategorie gewesen.

Ein wichtiger Aspekt war auch die Auswahl des richtigen KI-Modells und der dazu passenden Architektur, die in diesem Fall eine Bildsegmentierung und Merkmalserkennung beinhaltete. Nach einer Testphase wurde der Algorithmus mit den besten Ergebnissen integriert. Inzwischen sei die Front-End-Implementierung für SAP-Fiori sowie die Bildsuche im Swarovski-Intranet erfolgt.

Die Überprüfung der via KI gelieferten Resultate wurde im produktiven Betrieb von internen Testanwendern vorgenommen. Dieses laufende Testen der KI-Modelle sei insofern essenziell, heisst es bei Swarovski, weil sich so eine realistische Erwartungshaltung der Trefferquote generieren lasse und die Produkterkennung gezielt optimiert werden könne.

Vor dem KI-Einsatz wurden die Bilddaten der Produkte in sogenannte «Feature Vectors» umgewandelt. So konnten diese als Referenz für das jeweilige Produkt, verknüpft mit der passenden Artikelnummer, verwendet werden. Wenn also ein User ein Produktfoto, dass er zum Beispiel mit dem Smartphone aufgenommen hat, ins System lädt, hat das SAP-KI gelernt, es auch in einen «Feature Vector» umzuwandeln. Der wird dann mit bestehenden Vektordaten verglichen, um einen Ähnlichkeitswert zu erhalten. Je höher dieser Wert ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Produkte übereinstimmen.

Der Erfolg des KI-Rückgriffs spricht für sich. Denn angesichts der hohen Anzahl der Artikel im Produktportfolio gestaltete sich die Suche nach einem bestimmten Produkt oder einem Bild davon – notabene ohne passende Artikelnummer – früher langwierig. «Inzwischen», so das aktuelle Fazit bei Swarovski, «ist das Ergebnis oft nur ein paar Klicks entfernt und spart Mitarbeitern aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen viel Zeit.»

Maschinelles Lernen in Unternehmen 

Die Technologie des maschinellen Lernens lehrt Computern die Ausführung von Aufgaben durch Lernen aus Daten, anstatt für die Aufgaben programmiert zu werden.

Maschinelles Lernen nutzt ausgefeilte Algorithmen, um aus enormen Big-Data-Mengen zu „lernen‟. Je grösser die Datenmenge, auf die die Algorithmen zugreifen können, desto mehr lernen sie. Beispiele für den Einsatz maschinellen Lernens sind im täglichen Leben überalls spürbar. Man denke an personalisierte Empfehlungen von Produkten bei Amazon, die Gesichtserkennung bei Facebook oder die Vorschläge für die schnellste Route bei Google Maps. 

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