Nun kommt doch das Referendum über den Mantelerlass. Könnten die Gegner des Gesetzes damit Erfolg haben?

Das Gesetz ist ein gut austarierter Kompromiss, und die politische Unterstützung ist gross. Aber über der Ziellinie sind wir noch nicht. Ein Nein wäre extrem bedauerlich und würde die Schweiz um Jahre zurückwerfen. Dabei drängt die Zeit jetzt schon.

 

Warum ist der Mantelerlass so wichtig?

Er ist ein wichtiger Schritt. Er setzt wichtige Impulse für den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien und trägt damit zur Versorgungssicherheit bei. Er enthält höhere Ausbauziele, marktnähere Fördermittel für mehr Winterstrom und Verfahrenserleichterungen. Der Mantelerlass ist jedoch nur eine notwendige, nicht eine hinreichende Massnahme.

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Zur Person

Name: Christoph Brand

Funktion: CEO von Axpo

Ausbildung: Ökonom


Das Unternehmen: Der Energiekonzern Axpo ist zu 100 Prozent im Besitz der öffentlichen Hand und beschäftigt rund 6000 Mitarbeitende. Das Unternehmen produziert, verteilt und vertreibt Strom und ist im internationalen Energiehandel sowie im Geschäft für Energiedienstleistungen tätig. Rund 30 Prozent der Stromproduktion stammt aus Wasserkraft. International ist die Axpo-Gruppe in rund 30 Ländern tätig.

Bis 2035 sollen laut Mantelerlass 35 TWh Strom aus erneuerbaren Energien stammen. Heute sind es nur 6 TWh. Ist diese Steigerung realistisch?

Es ist technisch machbar, wenn alle am gleichen Strang ziehen und alle bereit sind, Kompromisse einzugehen. Hauptvoraussetzung ist, dass die Bewilligungen überhaupt kommen und viel schneller erteilt werden. Die Politik arbeitet zurzeit an einer entsprechenden Vorlage, was wir sehr begrüssen. Sie muss aber wirken.

 

Sind Umwelt- und Tourismusverbände die grössten Bremsklötze?

Ich habe Verständnis dafür, dass sie sich für ihre Interessen einsetzen. Es geht aber um eine relativ kleine Fläche. Alpine Photovoltaik könnte 2050 etwa 11 Prozent des Stromverbrauchs decken, zu einem grossen Teil im Winter. Dafür müssten von den insgesamt rund 20 000 Quadratkilometern Alpenfläche ungefähr 100 Quadratkilometer genutzt werden, was 0,5 Prozent entspricht. Mein Verständnis hört dort auf, wo man mit sachlichen Argumenten nicht mehr durchdringt, sondern auf fundamentale Opposition oder Negierung von physikalischen oder ökonomischen Fakten stösst. Oder wenn kategorisch nur Einzelinteressen priorisiert werden, also beispielsweise unverbaute Landschaft auf Kosten der so zentralen Versorgungssicherheit.

 

Könnten wir von anderen Ländern lernen?

Von fast allen. Beispielsweise von Österreich, welches rund 12 Prozent des Stroms mittels Windkraft produziert. Davon sind wir in der Schweiz mit nicht mal 1 Prozent noch weit entfernt. Dabei wäre diese Energiequelle besonders wertvoll, weil zwei Drittel dieser Stromproduktion im Winter stattfindet – also dann, wenn der Strom knapp ist.

«Nur mit Solaranlagen auf Dächern wird es nicht funktionieren.»

Christoph Brand, CEO von Axpo

 

Sie hatten gerade einen Jahresgewinn von gut 3 Milliarden Franken, die Kassen sind voll. Was machen Sie mit dem Geld?

Die Mittel werden einerseits zum Schuldenabbau verwendet und stehen anderseits für Investitionen in allen Geschäftsbereichen von Axpo zur Verfügung, insbesondere auch für zusätzliche Produktionskapazität und den Ausbau der Netze in der Schweiz.

 

Und für den Ausbau der erneuerbaren Energien bleibt auch noch etwas übrig?

Wir haben 2022 eine grosse Solaroffensive gestartet und wollen auf Dächern von Häusern und Industriegebäuden sowie in den Alpen deutlich zubauen. Gerne auch auf grösseren Freiflächen im Mittelland, da gibt es aber noch regulatorische Hürden. Auch bei der Windkraft sind wir in der Axpo-Gruppe aktiv und haben mehrere konkrete Anlagen in der Innerschweiz in Planung. Zudem suchen wir in der ganzen Schweiz nach neuen Projekten. Im Bereich grüner Wasserstoff eröffnen wir bald unsere erste Produktionsanlage. Hingegen gibt es bei der Wasserkraft kaum mehr Ausbaupotenzial, mit Ausnahme weniger Projekte aus der Liste des runden Tisches zur Wasserkraft.

 

Die Axpo hat einen Anteil von rund 40 Prozent an der Stromversorgung im Winterhalbjahr. Aber Sie stehen vor einem Umbruch. Werden Sie diese Quote mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zukünftig halten können?

Bis 2035 werden Konzessionen für verschiedene Wasserkraftwerke im Umfang von 600 GWh/Jahr auslaufen, und zudem wird das Kernkraftwerk Beznau voraussichtlich nach sechzig Jahren Betrieb stillgelegt, womit der Winterstrom um weitere 3 TWh geringer sein wird. Um das zu kompensieren, wollen wir in der Schweiz stark in den Ausbau von Erneuerbaren mit viel Winterstrom investieren, auch wenn es dabei noch ein paar offene Fragen gibt, etwa um die Wirtschaftlichkeit von alpinen Solaranlagen. Längerfristig müssen wir jedoch davon ausgehen, dass wir in der Schweizer Stromproduktion künftig einen viel kleineren Anteil als die heutigen 40 Prozent halten werden. Die Produktion wird viel dezentraler. Diesen Verlust müssen wir kompensieren, um den Wert des Unternehmens, die Dividenden- und Investitionsfähigkeit zu erhalten. Das wird primär über unsere Aktivitäten im Ausland geschehen müssen, die schon heute einen grossen Teil unseres Gewinns beisteuern.

 

0,5 Prozent der Alpenfläche für alpine Photovoltaik reichen aus, um 2050 11 Prozent des Strombedarfs zu decken.

Sollte das Geld nicht besser in der Schweiz in neue Anlagen fliessen?

Neben dem Fokus auf die Schweiz ist natürlich auch der Ausbau der Erneuerbaren in ganz Europa zentral, an dem wir uns mit viel mehr Erfolg als in der Schweiz beteiligen können. Wir haben in den letzten zehn Jahren zwei Drittel der Investitionen in der Schweiz getätigt – in bestehende wie auch in neue Anlagen. Wir möchten gerne weiterhin viel in der Schweiz investieren, doch sind die Bedingungen im Ausland oftmals deutlich besser. Eine Windkraftanlage beispielsweise in Frankreich können wir innerhalb weniger Jahre realisieren, während es in der Schweiz Jahrzehnte dauert. Dabei gilt vereinfacht: Wenn Europa kein Energieproblem hat, hat auch die Schweiz keins. Damit helfen unsere Investitionen in europäische Infrastruktur auch der Schweizer Versorgung, denn es ist ein europäisches Netz. Ohne Stromimporte würde es nicht gehen, das wäre ökonomisch unsinnig.

 

Welche Chancen sehen Sie für neue Kernkraftwerke?

Aus der betriebswirtschaftlichen Sicht einer Investorin wie Axpo wären die finanziellen, regulatorischen und politischen Risiken zu hoch. Neue Kernkraftwerke der bestehenden Generation entstehen weltweit nur dort, wo der Staat entweder direkt selbst baut oder wo die Anlagen staatlich gefördert beziehungsweise die Risiken vom Staat übernommen werden. Die sehr hohen Investitionen in neue Kernkraftwerke sind nur bei langfristig hohen und stabilen Strompreisen rentabel. Davon kann auch unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen nicht ausgegangen werden. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive mag die Kostenbeurteilung anders ausfallen, etwa wenn Landverbrauch oder Netzkostenausbau mitgerechnet werden.

 

Sollte die Politik das Thema Kernkraftwerke noch einmal aufgreifen? 

Bei Axpo sind wir technologieoffen. In Anbetracht des weitverbreiteten Widerstands gegen sichtbare Wind- und Solaranlagen ist es wohl sinnvoll, eine Diskussion über neue Kernkraftwerke zu führen. Die Schweiz muss sich entscheiden, welchen Weg sie gehen will. Wenn das Ziel einer klimaneutralen und gesicherten Stromversorgung bis 2050 bei vertretbaren Stromimporten weiterhin gelten soll – aber möglichst keine Anlage sichtbar sein darf –, so bleibt aus heutiger technologischer Optik lediglich die Option neuer Kernkraftwerke. Nur mit Solaranlagen auf Dächern wird es nämlich nicht funktionieren – das zeigen die Zahlen ganz klar, beispielsweise in unserem Online-Strommodellierungstool «Power Switcher». Bei der Diskussion über neue Kernkraftwerke darf man sich aber nichts vormachen: Bis neue Werke am Netz sind, werden ohne weiteres zwanzig Jahre vergehen. Während dieser Zeit müssen die Erneuerbaren weiter ausgebaut werden.

 

Zum Abschluss noch eine Frage zum aktuellen globalen Krisenherd: Beeinflusst der Krieg in Gaza und die Behinderung der Transportrouten durch den Suezkanal Ihr Geschäft?

Glücklicherweise stellt die Behinderung der Schifffahrt durch den Suezkanal für die Lieferungen von LNG nach Europa kein grosses Problem dar. Der Grossteil der Schiffe mit Ziel Europa kommt aus den USA und ist daher nicht betroffen. Lieferungen aus Katar oder aus den Vereinigten Arabischen Emiraten können alternativ auf die Route um das Horn von Afrika ausweichen. Dadurch verlängert sich zwar der Weg, doch das Gas kommt weiterhin bei den Verbrauchern und Verbraucherinnen in Europa an. Zudem sind die Gasspeicher zurzeit im Vergleich mit historischen Füllständen zu dieser Jahreszeit gut gefüllt. Entsprechend hat der Konflikt bisher nicht zu einem nachhaltigen Preisanstieg geführt. Das grösste Risiko ist eine Eskalation und regionale Ausweitung des Konflikts. Wenn dadurch zum Beispiel die Strasse von Hormus blockiert würde, wären Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate vom Weltmarkt abgeschnitten, und damit würden bis zu 20 Prozent des globalen LNG-Angebots am Weltmarkt fehlen.