Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Dafür braucht es einen Ausbau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien, weshalb das Parlament in der Herbstsession 2023 den sogenannten Mantelerlass verabschiedet hat. Gegen dieses Bundesgesetz, das eine Revision des Energie- und Stromversorgungsgesetzes umfasst, wurde im Januar ein Referendum eingereicht. Damit wird das Volk über die Energiewende abstimmen.

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Österreich liegt vor der Schweiz

Doch wie weit ist die Energiewende bereits fortgeschritten? Und wie steht die Schweiz im Vergleich zu den Nachbarländern? Dazu Patrick Hofstetter, Energie- und Klimaexperte des WWF Schweiz: «Noch immer beträgt der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoenergieverbrauch nur rund ein Viertel. Das ist deutlich zu wenig. Der Rest sind primär importierte fossile Energieträger und Uran.» Die gute Nachricht: Seit 2010 nimmt die Produktion erneuerbarer Energien kontinuierlich zu und der absolute Energieverbrauch sinkt trotz Bevölkerungswachstum. «Wie die Energiewende geht, ist also bekannt. Nur an der konsequenten Umsetzung hapert es noch», sagt Hofstetter. Im Vergleich mit den Nachbarländern steht die Schweiz allerdings nicht schlecht da: Lediglich Österreich liegt aktuell mit einem erneuerbaren Energieanteil von 36,4 Prozent (2021) deutlich vor der Eidgenossenschaft.

In Deutschland beträgt der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoenergieverbrauch 19,2 Prozent; der EU-Durchschnitt liegt bei 21,8 Prozent. Wie Hofstetter erklärt, will die Europäische Union den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 jedoch auf 42,4 Prozent steigern und hat dafür entsprechende Rahmenbedingungen gesetzt. «Eine solche Zielsetzung gibt es in der Schweiz nicht. Zudem haben viele EU-Länder eine effektive Effizienzregulierung, welche die Energieversorger in die Pflicht nimmt, weshalb der Energieverbrauch in der EU noch rascher sinkt als hierzulande», erklärt der Experte.

25,7 Prozent des gesamten Energiebedarfs in der Schweiz stammt aus erneuerbaren Energien (2022).

 

Um die Energiewende in der Schweiz zu vollziehen, müssen diverse Hürden aus dem Weg geräumt werden. «Bei der Stromproduktion liegt das grösste verbleibende Potenzial beim Ausbau der Solarenergie auf bestehender Infrastruktur, was kleinteilige Lösungen erforderlich macht», sagt Hofstetter. Zudem gelte es, mehr als eine Million fossiler Heizsysteme auszutauschen, und fünf Millionen Autobesitzer müssten auf fossilfreie Alternativen wechseln. All dies erfordere nicht nur Fachwissen, sondern auch eine hohe Motivation in der Bevölkerung. «Mehr Fachkräfte wären nützlich, aber die grössten Hemmnisse sind mentaler und nicht technischer Natur», betont Hofstetter. Das bestehende System basiere auf guten Bedingungen für fossile und nukleare Energie. Nun brauche es gute Bedingungen für die erneuerbaren Energien und den Ausstieg aus den Fossilenergieanwendungen. Das Stromgesetz gehe hier in die richtige Richtung.

 

Klimafreundliche Alternativen

Die grosse Energiepolitik wird auf nationaler und kantonaler Ebene bestimmt. Laut WWF Schweiz können aber die Gemeinden als gute Vorbilder vorangehen: «Ihnen kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, die Bevölkerung von den nötigen Massnahmen zu überzeugen», sagt Hofstetter. Zudem sollten Hausbesitzerinnen und Unternehmen Alternativen zu klimaschädlichem Verhalten wählen können. Dazu gehörten Nah- und Fernwärmeverbünde, eine gute Energieplanung sowie der öffentliche Nahverkehr und Velostrecken.

In der Schweiz gibt es zahlreiche Gemeinden, die aktiv auf eine Energiewende hinarbeiten – darunter das Knonauer Amt im Kanton Zürich (siehe Interview unten). Wie Hofstetter erklärt, hat der Trägerverein Energiestadt 99 Gemeinden mit Gold ausgezeichnet – allerdings gebe es keine Gemeinde, die in allen Belangen vorbildlich sei. Grosse Städte wie Zürich, Bern, Basel oder Lausanne hätten sich zwar ambitiöse Ziele gesetzt, seien jedoch in der Umsetzung oft weniger weit als ländliche Gemeinden, die beispielsweise beim Heizen mit erneuerbaren Energien oder dem Einsatz von Photovoltaik vorangingen.

Hofstetter bemängelt, dass Energierichtpläne, die vollständig auf erneuerbare Energien und damit Klimaneutralität abzielen, heute die Ausnahme sind: «Planlos sind Ziele kaum erreichbar.»

 

Welche Hebel am meisten bringen

Welche Massnahmen hält der Energie-Experte zur Erreichung der Klimaneutralität für besonders wirksam? «Ein wichtiger Hebel wäre die Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz in Unternehmen», sagt Hofstetter. Weniger Material und Energie zu verbrauchen habe einen grossen Effekt, lasse sich verhältnismässig leicht umsetzen und spare Geld. In einer Vollkostenrechnung seien E-Fahrzeuge, Wärmepumpen, gute Fenster sowie gedämmte Dächer und Keller meist die günstigste Option.

«Auch der Verzicht auf Flugreisen ist ein sehr effizienter Beitrag zur Energiewende, da Fliegen sehr energieintensiv ist.» Für Hausbesitzer komme die Verbesserung der Dämmung, Ersatz des fossilen Heizsystems, die Nutzung des Gebäudes für die solare Stromerzeugung und das Bereitstellen von Elektroladestationen dazu.

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien liege das grösste Potenzial in Solaranlagen auf bestehender Infrastruktur – am Ende komme es aber auf einen ausgewogenen Mix an. Auch Windenergie könne in geeigneten Gebieten einen Beitrag leisten.

Wie auch andere Umweltorganisationen macht sich der WWF Schweiz für den Energie-Mantelerlass stark. «Das Stromgesetz braucht in der Volksabstimmung ein solides Ja. Dies hilft nicht nur, die Versorgungssicherheit deutlich zu stärken und die Rahmenbedingungen für eine Energiewende überhaupt erst zu schaffen. Es sendet auch ein starkes Signal nach Bern: Der teure Ablasshandel der Schweizer Klimapolitik mit umstrittenen CO₂-Kompensationen im Ausland ist ein Irrweg. Mit diesem Geld sollte stattdessen die Schweizer Energieinfrastruktur zukunftsfähig gemacht werden», erklärt Hofstetter.

«Wenn wir so weitermachen, können wir das Ziel sogar übertreffen»

Johannes Bartels ist Geschäftsführer Standortförderung Knonauer Amt. Er erklärt, welche Schwerpunkte beim Thema Energie in der Region gesetzt werden.

 

Welche Ziele haben Sie für das Knonauer Amt?

2010 setzte sich die Region das Ziel, bis 2050 80 Prozent des Strom- und Wärme-Energiebedarfs in der Region erneuerbar zu produzieren. Damals lagen wir da bei etwa 14 Prozent. Diesen Anteil haben wir mehr als verdoppelt und liegen heute bei gut 33 Prozent. Wenn wir so weitermachen, könnten wir das Ziel sogar übertreffen.

Welche Massnahmen wurden bisher umgesetzt?

Zu viele, um sie hier aufzuzählen. Aber als Rückgrat haben wir eine Reihe von Beratungsangeboten für Hauseigentümer und Unternehmen entwickelt, um durch Gebäudedämmung, Heizungsersatz und Solarenergie einerseits die Energieeffizienz zu steigern und andererseits fossile Energien zu ersetzen. Dies führt zu Sanierungen und Modernisierungen, was auch das regionale Gewerbe freut. Unter dem Strich stammt heute über ein Drittel des Strom- und Wärmebedarfs aus erneuerbaren Energien der Region, vor allem dank Holz- und Solarenergie sowie Wärmepumpen.

«Bis 2050 wollen wir 80 Prozent des Strom und Wärme-Energiebedarfs in der Region erneuerbar produzieren.» 

 

Was ist noch geplant?

Wir haben ein regionales Elektromobilitätskonzept erstellt, das nun noch umzusetzen ist. Damit wollen wir die viel energieeffizientere Elektromobilität voranbringen. Mit unserem Leuchtturmprojekt «A4-Kraftwerk» planen wir eine Autobahnüberdeckung mit Solarzellen auf bis zu vier Teilstücken; insgesamt auf rund 2,5 Kilometern. Das würde jährlich 31 Millionen Kilowattstunden Strom bringen, etwa ein Achtel des heutigen Strombedarfs unserer Region.