Im Zuge der Kapriolen der Märkte ab Anfang April nach den Zoll-Ankündigungen der USA geriet auch kurzfristig der Goldpreis unter Druck: Laut einem Bericht von Reuters mussten Investoren ihre Bestände reduzieren, weil sie dringend kurzfristige Liquidität benötigten. Gold funktioniert in «normalen» Zeiten mit niedrigen Zinsen bei Marktturbulenzen als «sicherer Hafen». Aber derzeit sind es keine «normalen» Zeiten – und die bisherigen Anhaltspunkte und Erkenntnisse, wie der Goldpreis zustandekommt und der Markt funktioniert, müssen deshalb überprüft werden.
Gold, das keine Erträge abwirft, wird meistens in Abhängigkeiten zu weiteren Assets bewertet. Eine wichtige Rolle spielt der US-Dollar: Normalerweise fällt der Goldpreis, wenn der Dollar steigt – und umgekehrt. Aber vergangenes Jahr gab es zwei Phasen, während denen sowohl der Dollar als auch der Goldpreis stiegen. Und seit November 2024 «flippt dieser Zusammenhang mal auf die eine Seite, mal auf die andere», wie das die Analysten von BNP Paribas formulieren.
Abschied von normalen Zeiten
Hinzu kommen weitere Besonderheiten: Mit den steigenden Kursen bei US-Aktien stieg 2024 vielerorts auch die Nachfrage nach Gold, weil Investoren damit ihre Portfolios diversifizieren und die proportional zu gross gewordenen Aktienbestände ausgleichen wollten. In normalen Zeiten gibt es hier eine stabile negative Korrelation – steigen die Aktien, fällt der Goldpreis (und umgekehrt). Auch hier gilt: Normale Zeiten haben wir derzeit nicht.
Und auch mit dem dritten Referenzpunkt, den US-Staatsanleihen, wackelt die vormals stabile Beziehung: Beide Assets gelten als «sichere Häfen», bei beiden steigen die Preise in turbulenten Zeiten. Aber bei den US-Staatsanleihen gab es nach dem 8. April ebenfalls Verwerfungen. Im ansonsten liquidesten und sichersten Markt der Welt versiegte plötzlich die Liquidität, als Investoren ihre hochgehebelten «Basis Trades» (Kauf von Staatsanleihen und gleichzeitiger Verkauf der Futures auf diese Anleihen) aufzulösen begannen. Gemäss den Analysten von Jefferies fungieren hier zehn Hedgefonds als Market-Maker – und unzählige weitere als Kunden. Banken sind hier seit der Finanzkrise «wegreguliert» worden – und so verschwand die Liquidität genau dann, als Investoren ihre Staatsanleihen-Trades aufzulösen begannen.
Pünktliche Steuerzahler, hohe Staatsverschuldung
Auch wenn man am Markt rasch «die Chinesen» als Grund ausgemacht hatte – die tatsächliche Ursache liegt laut Analysten ganz woanders: Im Vorfeld des Steuertermins in den USA – Stichtag ist der 15. April – wollten sich (zu) viele Investoren gleichzeitig von ihren US-Staatsanleihen trennen. Gleichzeitig fand eine Aktion des US-Finanzministeriums statt. Obligationen im Volumen von 36 Milliarden Dollar wurden problemlos verkauft – aber das absorbierte Liquidität, die dann im Sekundärhandel fehlte.
Der «China-Faktor» spielt dennoch eine Rolle. Sowohl die chinesische Zentralbank als auch die chinesischen Anlegerinnen und Anleger kaufen derzeit weiter physisches Gold. Die Zentralbank wird damit gleichzeitig Dollar-Reserven los. Gemäss World Gold Council kaufte man seit Oktober 2024 rund 25 Tonnen Gold. Den privaten Anlegerinnen und Anlegern aus China bereitet die Schwäche der eigenen Währung, der eigenen Wirtschaft und des eigenen Immobilienmarktes weiterhin grosse Sorgen. Sie halten ihr Geld zusammen und kaufen das, was ihnen als sicher erscheint.
Auch weitere Zentralbanken kaufen derzeit Gold, heisst es von den Analysten von J. Safra Sarasin: Weltweit sucht man Sicherheit angesichts der hohen geopolitischen, handelspolitischen und wirtschaftspolitischen Unsicherheiten. Auch die steigenden Staatsausgaben spielen eine Rolle. Es mehren sich bei Investoren und Analysten leise Zweifel, ob und zu welchen Konditionen sich die riesigen Investitionsprogramme von Staaten refinanzieren lassen. Das funktioniert nur mit attraktiven Zinsen – und weil durch die nach und nach neu sortierten Lieferketten auch die Inflationsraten auf erhöhtem Niveau bleiben werden, ist das Gold auch unter dieser Perspektive eine sichere Sache.
Noch Raum nach oben
Viele Analysten haben ihre Goldpreisprognosen in den vergangenen Monaten laufend nach oben korrigiert. Dafür gibt es mehrere Argumente: Zunächst liegen die Gold-Bestände der ETFs, die typischerweise von kühl kalkulierenden Investoren aus dem Globalen Norden gehalten werden, derzeit noch unter ihren Spitzenwerten aus dem Jahr 2022. Vor allem asiatische Investoren sind hier unterinvestiert. Auch viele europäische und schweizerische Anlegerinnen und Anleger kaufen weiterhin Gold – die entsprechenden Seminare an der Finanz-Anlegermesse in Zürich Anfang April waren sehr gut besucht. Und solange die Unsicherheiten über die Handelskriege, die Weltwirtschaft, die Konjunktur und die Zinsen weiter bestehen, bleibt Gold für viele Anlegerinnen und Anleger attraktiv.
Die Unsicherheit hat gemäss der Prognose von MKS Pamp, einem Genfer Goldhändler, sogar einen Preis. «Wir haben 200 Dollar als Trump-Chaos-Prämie in unser Preismodell integriert.»
Thorsten Hens ist Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Zürich.
Der Goldpreis steigt immer weiter an – seit Anfang des Jahres um 21,5 Prozent auf über 3000 Dollar pro Feinunze. Was sind die Hauptfaktoren, die diese Hausse antreiben, und wie nachhaltig sind diese?
Unsere Gold-Studie hat gezeigt, dass Gold als Schutz vor Krisen gekauft wird. Seit Jahresbeginn haben die Krisen leider zugenommen. Zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza ist nun noch der Handelskrieg der USA hinzugekommen. Ich hoffe, dass diese Krisen bald gelöst werden – realistisch ist diese Hoffnung aber nicht, sodass Gold weiterhin gefragt sein wird.
Im Januar lieferte die Schweiz 192,93 Tonnen Gold in die USA – 85 Prozent der gesamten Schweizer Goldexporte. Was steckte hinter den massiven Goldtransfers?
Die Schweiz ist einer der grössten Handelsplätze für Gold – also importiert und exportiert sie viel Gold. Anfang Jahr kauften die Amerikaner viel Gold, weil sie befürchteten, dass sie hohe Zölle darauf zahlen müssen.
Die US-Regierung hat Anfang April bekannt gegeben, dass Edelmetalle wie Gold von diesen Zöllen ausgenommen werden. Nach dieser Ankündigung hat der massive Fluss von Edelmetallen in die USA abrupt aufgehört. Wie sieht es mit der Deckung europäischer Gold-ETFs aus?
Es gibt ETFs, die physisch gedeckt sind, und solche, die durch Gold-Futures gedeckt sind. Wer schon physische ETFs besitzt, wird auch weiterhin direkten Anspruch auf Gold haben, da dies im Fondsprospekt festgehalten ist.
Die Liefermenge nach China, wo das Schweizer Gold jahrelang sehr beliebt war, ist kollabiert. Wie ist das einzuordnen?
China bezieht sein Gold nun eher aus anderen Ländern, mit denen es enge Handelsbeziehungen hat – zum Beispiel mit Russland!
Wie beeinflussen die Handelsspannungen zwischen den USA und China, insbesondere die von Donald Trump initiierten Zölle, die Rolle von Gold als sicherer Hafen für Investoren?
Diese Spannungen befeuern die Nachfrage nach Gold. Aber in den USA weiss man ja nie. Es gab dort auch schon mal vierzig Jahre lang ein Goldverbot, und so könnte sich die Nachfrage aus den USA plötzlich wieder ändern.
Interview: Jasmine Alig