Welches sind nach Ihrer Ansicht derzeit die drei wichtigsten Massnahmen, die unternommen werden müssen, damit der Güterverkehr auf der Bahn einen grösseren Beitrag an die Ver- und Entsorgung in der Schweiz liefern kann?

Eine wichtige Massnahme ist die Modernisierung der Kupplungssysteme; Europa ist der letzte Kontinent, der ohne automatisches Kupplungssystem arbeitet. Die Güterwaggons werden heute zeitaufwendig und teuer von Hand zusammengestellt. Neben der Kupplung müssen die Wagen vor der Fahrt alle noch von Hand erfasst und die Bremsen getestet werden. Ein Umrüsten auf digitale automatische Kupplungen (DAK) ermöglicht es, Strom-, Daten- und Druckluftleitungen automatisch zu verbinden, was sehr viel Zeit spart und einen Einzelwagenladungsverkehr wesentlich vereinfachen würde. Hinzu kommt eine vollständige Kompatibilität der Kupplungen mit der EU, was den internationalen Verkehr vereinfacht. Zentral ist zweitens die Renaissance der Cargo-Bahnanschlüsse im urbanen Raum und in der Industrie. Damit der Schienengüterverkehr attraktiv ist, bedarf es eines Netzwerks an Schienen und Abnahmepunkten, das ausreichenden Zugang zum Schienennetz ermöglicht. Dritte Massnahme ist die Betrachtung des Gesamtsystems. Die Diskussionen im Güterverkehr verlaufen häufig isoliert von anderen Verkehrsträgern. Würde die Logistik als Gesamtsystem zwischen Versender und Empfänger gedacht und die Frage gestellt werden, wie ein Gut am kosten- und klimaeffizientesten vom Versender zum Empfänger gelangen kann, nähmen wir eine ganzheitliche Perspektive ein und liessen multimodale Lösungen zu, die den wesensgerechten Transport von Gütern berücksichtigen.

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Das grosse Problem von SBB Cargo ist der Wagenladungsverkehr (WLV); er ist auf kurzen und mittleren Distanzen nicht kostendeckend realisierbar. Eine Möglichkeit wäre dessen Subventionierung durch den Bund. Wie sehen Sie das?

Der Bundesrat wurde beauftragt, einen Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Schienengüterverkehrspolitik auszuarbeiten. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass die Risiken und volkswirtschaftlichen Nachteile einer Einstellung des Angebots insbesondere des Einzelwagenladeverkehrs durch SBB Cargo grösser sind als die finanzpolitischen Chancen einer Umstellung auf den Strassengüterverkehr. Eine Subvention durch den Bund, gekoppelt an eine Leistungsvereinbarung, finde ich eine durchaus vernünftige Variante. Die Subventionen müssten sich aus meiner Sicht vor allem an der Modernisierung orientieren, sodass sich mittel- bis langfristig Effizienzvorteile und somit reduzierte Kosten für SBB Cargo ergeben.

«Die Verantwortung des Systemverkehrs bei SBB Cargo ist legitim.»

Ein Problem ist vor allem die Versorgung peripherer Gebiete; sie sind auf der Strasse wirtschaftlicher zu bedienen. Wie kann hier die Schiene die Versorgung in Zukunft gewährleisten?

Wie in der Personenmobilität glaube ich auch in der Gütermobilität an eine multimodale Zukunft und einen wesensgerechten Transport der Güter zu ihrem Empfängerstandort. Wenn die weiten Strecken auf der Schiene zurückgelegt werden, können in der Nähe der Empfängerstandorte die Sendungen in Empfang genommen und wesensgerecht transportiert werden. Wir haben Beispiele in der Schweiz, wo dies sehr gut funktioniert. Eine wichtige Rolle in der Belieferung peripherer Gebiete könnte auch das Projekt Cargo Sous Terrain (CST) spielen.

Die Netzwerkerin

Name: Maike Scherrer
Funktion: Professorin und Schwerpunktleiterin nachhaltiges Supply Chain Management und Mobilität am Institut für Nachhaltige Entwicklung der ZHAW, School of Engineering
Familie: verheiratet, drei Kinder
Ausbildung: Doktorat und Habilitation an der Universität St. Gallen, Institut für Technologiemanagement

Die Verantwortung für den Systemverkehrs liegt bei SBB Cargo. Dies könne – moniert der Verband der verladenden Wirtschaft (VAP) – zu Wettbewerbsverzerrungen und zur Diskriminierung der übrigen Marktakteure führen. Er fordert deshalb eine wettbewerbsorientierte Marktorientierung. Lässt sich das wirklich realisieren?

Ich finde die Forderung nach wettbewerbsorientierter Marktorientierung in einem liberalen Land, wie es die Schweiz ist, nachvollziehbar. Fraglich ist für mich aber, wie diese Forderung umgesetzt werden könnte. Wenn betrachtet wird, wie viel Prozent der Güter über lange Distanzen bereits heute mit der Schiene transportiert werden, finde ich die Verantwortung des Systemverkehrs bei SBB Cargo legitim. Auch ist die Gewährleistung der Zuverlässigkeit in Bezug auf Lieferzeitpunkte aus meiner Sicht im Schienenverkehr höher als im Strassenverkehr, wo die Zuverlässigkeit insbesondere durch die hohen Staustunden auf dem Nationalstrassennetz leidet. Entsprechend zweifle ich bei unseren heutigen Infrastrukturbelastungen im Strassennetz und der erwarteten Steigerung des Verkehrsaufkommens bis 2050 an der Umsetzbarkeit des Systemverkehrs allein über andere Verkehrsträger.

 

Welche Bedeutung hat die Digitalisierung im bahnseitigen Güterverkehr?

Aus meiner Sicht spielt die Digitalisierung im bahnseitigen Güterverkehr eine bedeutende Rolle. Dank der Digitalisierung erhalten wir Transparenz über die transportierten Güter und über ihre lokale Position. Wir können dank der Digitalisierung das Netz stärker auslasten und zwischen Personen- und Güterverkehr optimieren; auch der Rollmaterialeinsatz und die Zugbildungen können effizienter gestaltet werden.