Die Bauindustrie verursacht grosse Mengen an CO₂. Was tut die Branche dagegen?

Im Gebäudesektor konnten die Treibhausgasemissionen seit 1990 deutlich vermindert werden: Pro Quadratmeter Gebäudefläche um 60 Prozent, in absoluten Zahlen um 30 Prozent. Keine Branche hat in den letzten Jahren mehr getan für die CO₂-Reduktion als die Baubranche. Es wurde enorm viel geleistet – und es wurden viel stärkere Fortschritte gemacht als etwa im Industriesektor mit minus 21 Prozent oder im Verkehrsbereich mit minus 7 Prozent.

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Aber es geht noch mehr.

Es kann, aber ja, muss noch mehr getan werden. Denn im Gebäudepark steckt weiterhin das grösste Potenzial für mehr Energieeffizienz und weniger CO₂-Ausstoss. Nur wenn wir es schaffen, durch Sanierung der bestehenden Bausubstanz oder durch neue klimaneutrale und verdichtete Ersatzneubauten den Fussabdruck zu minimieren, erreichen wir die ambitionierten Klimaziele bis 2050. Es braucht eine deutliche Beschleunigung dieses Transformationsprozesses.

 

Wer genau muss den Prozess beschleunigen?

In der Verantwortung stehen vor allem die Immobilienbesitzer und damit die Bauherren. Der erste Schritt für eine Sanierung oder ein Ersatzneubau muss von ihnen kommen. Es braucht nicht zusätzliche Regulierungen, sondern mehr unternehmerischen Innovations- und Handlungsspielraum. Vieles haben wir zudem als Bauwirtschaft selbst in der Hand, erfolgt doch ein Drittel der Regulierungen branchenintern.

Der Baumeister

Name: Gian-Luca Lardi
Funktion: Zentralpräsident des  Schweizerischen Baumeisterverbands SBV
Familie: verheiratet, zwei Töchter
Wohnort: Rovio TI
Karriere: Nach seiner langjährigen  Tätigkeit als CEO der CSC Bauunternehmung ist er heute unternehmerisch tätig als unabhängiger Verwaltungsrat sowie Unternehmensberater

Der Bausektor produziert mehr als 80 Prozent des Schweizer Abfallaufkommens. Weshalb wird die Kreislaufwirtschaft nicht stärker vorangetrieben?

Der Begriff «Abfall» sollte meines Erachtens in diesem Zusammenhang nicht verwendet werden. Er verleitet dazu, die Statistiken mit dem Kehrichtvolumen zu verwechseln, das entsorgt wird. Die Zahlen sind vielmehr ein Indiz dafür, wie viele Tonnen Aushub- und Ausbruchmaterial als wertvolle Ressource anfällt, die in weiten Teilen verwertet werden kann. Die Bauunternehmer bieten zahlreiche Lösungen an, wie Aushub- und Ausbruchmaterial als qualitativ hochstehendes Recyclingmaterial bei einem Bauprojekt eingesetzt werden kann. Doch die Materialwahl bei Bauprojekten treffen die Bauherren, Architektinnen und Planer und nicht die Bauunternehmerinnen und Bauunternehmer. Wir müssen noch stärker kommunizieren, wie wichtig und nachhaltig die maximale Wiederverwendung von geeignetem Aushub- und Ausbruchmaterial ist und dass dadurch die Baukosten nicht steigen.

 

Welches Potenzial sehen Sie in der Kreislaufwirtschaft?

Die bereits heute hohe Recyclingquote wird durch den Einsatz neuer Technologien wie robotergesteuerte Sortieranlagen in den kommenden Jahren weiter gesteigert werden können. Das lineare Wirtschaftsmodell mit dem damit verbundenen hohen Ressourcen- und Materialverbrauch ist langfristig nicht zukunftsfähig. Mit lebenszyklusoptimierten Bauten können Ressourcen und Materialien über mehrere Objekt-Lebenszyklen generell ohne Einbussen an Qualität oder Funktionalität im Kreislauf gehalten oder wiederverwertet werden. Die Bauwirtschaft hat diesbezüglich schon viele innovative Lösungsansätze erarbeitet und wird diese weiterentwickeln. Die Kreislaufwirtschaft umfasst das Schliessen aller Kreisläufe – auch auf der stofflichen und biologischen Seite. Wiederverwendete, rezyklierte oder nachwachsende Baustoffe sollen überall dort eingesetzt werden, wo dies den technischen Anforderungen genügt und sich ressourcenschonend auswirkt. Dieses Handlungsprinzip wird bereits bei der Zieldefinition der Bauherrschaft und in der anschliessenden Ausschreibung mitgedacht. Das bedingt ein frühes Einbinden der ausführenden Unternehmen.

 

Wie hoch ist der durchschnittliche Anteil von rezykliertem Material in Neubauten heute?

Die meisten Recyclingmaterialien werden als Material im Strassenbau eingesetzt. Doch auch bei Gebäuden nimmt die Weiterverwendung von Rohstoffen und Baumaterialien zu. In den USA, in Belgien oder der Schweiz werden bis zu 15 Prozent der Betonmengen als Recyclingbeton verbaut, was im weltgleichen Vergleich Rekordwerte sind und insbesondere in Deutschland immer wieder bewundert wird. Hier liegt grosses Potenzial, um die graue Energie von neuen Gebäuden deutlich zu senken.

«In der Verantwortung stehen besonders die Immobilienbesitzer.»

Weshalb ist diese Zahl nicht höher?

Es gibt Vorzeigebaustellen wie die Tunnelbaustellen der Eisenbahn-Alpentransversalen oder der zweiten Gotthard-Strassenröhre. Dabei wird der Tunnelausbruch aufgearbeitet und als Baustoff für die Betonherstellung verwendet. Dies ist direkt auf der Baustelle möglich. So werden natürliche Ressourcen geschont, Transporte reduziert und Deponien entlastet. Im Sinne der Nachhaltigkeit appellieren wir insbesondere an die öffentlichen Bauherren, dass sie sich an solchen Vorzeigebeispielen orientieren und im Bauwesen vermehrt Recyclingmaterial verwenden, damit in Zukunft auch vermehrt private Bauherren ihrem Beispiel folgen. Produkte der Kreislaufwirtschaft sind von hoher Qualität und sollten gefördert eingesetzt werden.

 

Welche Materialien eignen sich besonders für die Wiederverwertung?

In der Vergangenheit wurden oft verschiedene Baumaterialien miteinander vermischt und verklebt, so etwa mineralische Baustoffe mit Kunststoff oder Holz. Die vermischten Materialien können nicht mehr getrennt und rezykliert werden. Bei diesem Punkt findet nun ein Umdenken statt. Baumaterialien werden mehr und mehr möglichst rein verbaut und damit kreislauffähig gemacht. Entscheidend ist hier, dass Planerinnen und Bauherren gemeinsam mit den ausführenden Unternehmen durchdachte Lösungen wählen und so der Nachhaltigkeit gebührend Rechnung tragen. Bei sorgfältiger Planung entstehen dadurch keine Mehrkosten.

 

Gibt es ausser der Wiederverwendung von Materialien sonst noch Möglichkeiten zur Kreislaufwirtschaft?

Ein interessanter Ansatz ist ein innovativer Beton, bei dem Kohlendioxid aus der Atmosphäre irreversibel im Baustoff gespeichert wird. CO₂ wird bei Biogasanlagen herausgefiltert, verflüssigt und an den Produktionsstandort des Betonherstellers transportiert. In eigens dafür konzipierten Anlagen wird das bei Rückbauten gewonnene Betongranulat mit dem CO₂ angereichert. Das so behandelte Granulat wird als Kiesersatz bei der Herstellung von Recyclingbeton verwendet, wodurch das CO₂ permanent gebunden bleibt. So ist es möglich, rund 10 Kilogramm CO₂ pro Kubikmeter Beton zu speichern, das sonst in die Atmosphäre gelangen würde.

Gibt es weitere Beispiele?

Es gibt Bauunternehmungen, welche sich in ihrem Leitbild der Nachhaltigkeit verpflichten. Andere investieren in umweltfreundliche Technologien wie Hybridbagger und scheuen trotz des Preisdrucks in der Branche die Mehrinvestitionen nicht. Andere setzen auf ein umfangreiches Recycling, wobei eine Roboteranlage die Rolle des Recyclingexperten übernommen hat. Wieder andere sparen mittels technischer Innovationen CO₂ ein. Es gibt Baustellen, auf denen dank innovativer Lösungen 20 Prozent CO₂-Emissionen eingespart werden können. Das hat uns niemand vorgeschrieben, die Baumeister agieren eben sehr bewusst, auch bei Herausforderungen im Umweltbereich.

 

Wo besteht noch Nachholbedarf?

Bei den Kies- und Bauschuttdeponien. Aktuell hören wir aus allen Regionen der Schweiz, dass entsprechende Deponien fehlen. Dadurch befinden wir uns in einer Negativspirale. Durch das Fehlen lokaler Deponien werden Deponieabfälle momentan in andere Regionen gefahren. Das ist aber für die Unternehmen weder ökologisch noch wirtschaftlich nachhaltig. Gleichzeitig sorgt das dafür, dass überregionale Deponien überbeansprucht werden und sich das Problem weiter verschärft. Grenznahe Unternehmen liefern zudem vereinzelt schon heute Aushubmaterial ins Ausland. Durch das aktuelle Planungs- und Auflageverfahren ist es heutzutage zudem fast unmöglich, eine Bewilligung für eine eigene Deponie zu erhalten. Die Kantone müssen sich ihrer Verantwortung bewusst werden und Deponien in ihren Richtplänen einplanen. Gleichzeitig muss das Bewilligungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden.