Sie haben einen grossen Auftrag vom New Yorker U-Bahn-Betreiber erhalten, der Metropolitan Transportation Authority (MTA). Um was geht es?

Das Ziel der Mobility-App, die wir für New York entwickeln, ist die Integration unterschiedlicher Verkehrsmittel, von der U-Bahn über das Taxi bis zum Verleihfahrrad. Wir bieten die schnellsten Reisevorschläge von Tür zu Tür und lenken über die App die Pendlerströme zur Vermeidung oder Umgehung von Störungen und Staus, zur Verhinderung von gefährlichen Menschenansammlungen in U-Bahn-Stationen sowie zur Reduktion von CO₂-Emissionen.

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Wie werden Emissionen reduziert?

Unsere App analysiert das tägliche Mobilitätsverhalten der Nutzerinnen und Nutzer. Handelt es sich beispielsweise um eine regelmässige Autofahrerin oder einen Autofahrer, können wir mit Belohnungen versuchen, das Mobilitätsverhalten zu beeinflussen: beispielsweise nutzen wir günstige Parkmöglichkeiten und Fahrscheine als Anreiz, das Auto am Rande der Stadt stehen zu lassen und mit dem ÖV in die Innenstadt zu reisen. Die Idee ist eigentlich, dass mir die App wie ein digitaler Assistent ständig hilft. Er kennt meine Gewohnheiten, er weiss, wohin ich gehe, und plant für mich im Voraus. Durch die Integration von Wetterdaten animiert er mich, einen Regenschirm mitzunehmen, oder wenn ich schon unterwegs bin, zeigt mir die App, wo es den nächsten Regenschirm gibt.

Was ist noch besonders an der App?

Eine Integration dieser vielen Live-Daten ist sehr komplex. Wir schauen uns ja die Gesamtmobilität über alle Verkehrsmittel hinweg an: privater Individualverkehr, ÖV, Taxibetriebe. Das geht so weit, dass wir die Live-Daten von Aufzügen und Rolltreppen in Manhattan integrieren. Wenn dort in einer U-Bahn-Station der Lift ausfällt und Personen mit Gehschwächen unterwegs sind, dann informiert unser System den entsprechenden Fahrgast. Und in Zukunft werden wir dann auch selbstfahrende Fahrzeuge integrieren.

 

Inwiefern?

Das Problem ist ja immer die letzte Meile. In den meisten europäischen Städten ist die letzte Meile durch den ÖV relativ gut abgedeckt. Aber in peripheren und ländlichen Gebieten ist das viel schwieriger, zudem wurde das ÖV-Angebot in der Corona-Zeit oft stark ausgedünnt. Deshalb können autonome Fahrzeuge, welche den ÖV in diesen Regionen ergänzen, sehr interessant werden. Ich gehe davon aus, dass es in zwei bis drei Jahren möglich wird, über unsere App selbstfahrende Fahrzeuge zu bestellen, die sie dann von der Busstation bis vor die Haustür bringen.

«Unsere Datenqualität ist um Welten besser als bei Google Maps.»

Wie sehr kann man die Verkehrsströme beeinflussen?

Es ist eines der wichtigsten Ziele, das Verhaltensmuster der Menschen aktiv zu beeinflussen, Verkehrsströme umzuleiten, um CO₂ einzusparen und andere Emissionen, wie beispielsweise Lärm zu reduzieren. Wir arbeiten teilweise mit grünen Fonds zusammen, welche ein klimafreundliches Verhalten finanziell unterstützen. Beispielsweise werden Menschen welche am Montag und Freitag wieder den ÖV nutzen, für ihr Verhalten belohnt. Durch das Homeoffice bleiben viele Menschen am Montag und Freitag zuhause, der Verkehr konzentriert sich auf Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Viele Verkehrsbetriebe wollen das wieder entzerren und mit Incentives die Menschen auch Montag und Freitag wieder in den Verkehr bringen.

 

Welche Technologie steckt dahinter?

Das Ganze funktioniert nur mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in Verbindung mit Psychologie. In diesem Bereich haben wir fünf Patente angemeldet. Im Prinzip wird es so sein, dass unsere Systeme ständig mehr über das Verhalten der individuellen Nutzerinnen und Nutzer lernen und dann im Voraus schon besser wissen, wie die Person sich verhalten wird, als er oder sie selbst. Denn unsere Systeme sehen ja sehr viel. Nicht nur das Verkehrsverhalten, auch wie oft sie ins Yogazentrum geht oder er zum Fussballplatz.

 

Big Brother is watching you.

Das System sieht es, aber wir nicht. Datenschutz ist eines unserer wichtigsten Verkaufsargumente. In dieser Perfektion, wie wir es machen, kann das niemand anbieten. Mobilitätsdaten sind grundsätzlich sehr heikel und müssten extrem geschützt werden. Das tun wir.

Stefan Muff
Quelle: ZVG

Der Visionär

Name: Stefan Muff
Funktion: Gründer und Eigentümer von Axon Vibe
Karriere: Stefan Muff entwickelte mit seiner ersten Firma Endoxon digitale Kartenlösungen und verkaufte diese 2006 an Google als Kerntechnologie für Google Maps. Seitdem bündelt er verfügbares Wissen, Technologie und Fachspezialisten zur Entwicklung von hochkomplexen, digitalen Eco-Systemen. Eines davon ist Axon Vibe.

 

Das Unternehmen Axon Vibe betreibt eine KI-gesteuerte Mobilitäts- und Belohnungsplattform zur Förderung von nachhaltigem Reisen, um Netto-null-Ziele zu erreichen. Axon Vibe arbeitet mit renommierten ÖV-Unternehmen wie MTA New York, DB und East Japan Railways zusammen. Das Luzerner Unternehmen wurde 2014 gegründet und beschäftigt ein Team aus über einhundert Software-Ingenieuren, Datenwissenschaftern, Standort-analyse-Experten, Psychologen und Kommunikationsspezialisten für Themen von der Standortanalyse bis zur Verhaltensänderung.

Was das FBI schon bei Ihnen, die haben sicherlich grosses Interesse an Ihren Daten.

Wir haben es so gebaut, dass wir die Daten noch nicht einmal zur Verfügung stellen könnten, so geschützt ist es. Aber ich bin mir sicher, dass sie ein eigenes System mit ähnlichen Möglichkeiten haben.

 

Wann geht die App in New York live?

Zurzeit wird das System mit den Mitarbeitenden der MTA getestet, in Kürze kommt eine Beta-Version für die normalen Konsumentinnen und Konsumenten und im Herbst ist dann der offizielle Launch.

 

Wie funktionieren die Incentives?

Beispielsweise habe wir in Tokio für JR East ein Loyalty-Scheme aufgebaut. Wir haben verschiedene, psychologisch aufgebaute Kampagnen ausprobiert und uns für Verspätungen entschuldigt oder für schlechtes Wetter. Die JR East App bietet dann einen Coupon für kostenlosen Kaffee an und schickt Meldungen wie: «Sorry für das kalte Wetter, trinke was Heisses» oder «Du hast zehn Stunden gearbeitet, belohne Dich mit einem Gratis-Tee auf der Rückfahrt». Mit der Gratis-Vermietung von Bahnhof-Workspaces will JR East zudem den Spitzenandrang zur Rushhour brechen und die Reisenden auf einen späteren Zug verlagern. Von all denjenigen, die regelmässig gependelt sind, konnten wir zu Stosszeiten 45 Prozent mindestens einmal und 30 Prozent nachhaltig umlenken. Dadurch konnten wir den Andrang zu Spitzenzeiten um gut 20 Prozent reduzieren.

Gibt es Unterschiede zwischen Japan und Europa?

Absolut. Interessant ist, dass die Verkehrsbetriebe in Japan nicht mit der Verkehrsdienstleistung ihr Geld verdienen, sondern mit den Immobilien, Shops und Unterhaltungsangeboten in den Bahnhöfen. Und Gutscheine kommen dort besonders gut an. In einem Test waren 50.000 Gutscheine innerhalb von wenigen Tagen eingelöst. Praktisch alle.

 

Viele Menschen sind bereits sehr zufrieden mit Google Maps.

Unsere Lösung geht in eine ähnliche Richtung, aber es gibt grundsätzliche Unterschiede. Zuerst: Unser Angebot richtet sich an die Verkehrsbetriebe. Wir haben ein Datenschutzkonzept, das Google nicht in dieser ausgeprägten Form anbieten kann. Zudem erhalten wir von den Verkehrsbetrieben viel detailliertere Daten: die Live-Positionen von Fahrzeugen, die Sicherheitsdaten und die Störungsmeldungen beispielsweise; sogar die Belegungsdaten der einzelnen Waggons. Unsere Datenqualität ist um Welten besser.

 

Die Menschen zum Umschwenken zu bewegen, ist derzeit schwierig.

Unsere Qualität ist zwingend. Wenn Sie am Montag überlegen, am nächsten Freitagnachmittag von Luzern ins Tessin zu fahren, dann kann Ihnen Google den Fahrplan liefern, aber nichts über Stauverhalten, Wetterverhältnisse, Gewohnheiten von anderen Verkehrsteilnehmern. All diese Einflussfaktoren verarbeiten wir in unseren Systemen und können vorab eine Prognose mit Empfehlungen liefern.

Wo laufen Ihre Apps bereits?

New York ist in Bezug auf die Funktionen der App das umfangreichste Projekt. Weltweit haben wir einzelne Funktionen, die in New York zum Einsatz kommen, bereits umgesetzt: In England haben wir eine Reihe von Projekten, beispielsweise ist unsere Sojo-App sehr beliebt. Die App findet immer den günstigsten Tarif und die schnellste Verbindung. In Deutschland nutzt seit letztem Jahr die Deutsche Bahn unsere App Tickin, mit der man einfach ein- und auscheckt und dann immer den günstigsten Tarif erhält. Und Japan hatte ich ja schon erwähnt.

 

Wo sitzen Ihre Softwareentwicklerinnen und -entwickler?

Kernbereich der Konzeption ist hier in Luzern, zudem haben wir ein grosses Softwareentwicklungsteam in England und in Vietnam sitzt das Haupt-Entwicklungsteam in unserer Tochterfirma.

 

Sind Sie profitabel?

Wir sind immer noch in der Investitionsphase, allerdings haben wir auch ein besonderes Geschäftsmodell. Wir stellen zunächst unser System relativ günstig zur Verfügung und partizipieren dann an den Umsätzen der zusätzlichen Verkäufe und Gutscheine. Ziel sind beispielsweise rund 12 Dollar Umsatzbeteiligung pro Person pro Jahr in New York.

Wenn ein Verkehrsunternehmen auf Sie zukommt und seine App mit ihren Funktionen erweitern will, wie lange dauert es dann, bis es live ist?

Wir haben letzte Woche ein Vertrag abgeschlossen mit einem ausländischen Verkehrsunternehmen, das rund 1,5 Millionen Nutzer hat. Dort wird die Integration einer Reihe von Anwendungen, insbesondere die Incentivierungen, von uns in die bestehende App lediglich vier bis fünf Wochen dauern.

 

Ihre härtesten Wettberber?

Im Prinzip die IT-Abteilungen der Verkehrsbetriebe. Die wollen nämlich am liebsten alles selbst bauen, auch wenn sie nicht alle Kompetenzen für besondere Anwendungen haben. Hier hat uns die Pandemie etwas geholfen. Denn als der ÖV weltweit mit einem rückgängigen Geschäft zu kämpfen hatte, musste gespart werden und das hat auch viele IT-Abteilungen getroffen. Jetzt ist man offener, auf externe Unternehmen wie uns zuzugehen.

 

Weitere Ideen für die Zukunft?

Was sehr interessant wäre: wenn wir es schaffen, dass wir Menschen, die sich besonders nachhaltig verhalten, mit Geld belohnen könnten. Beispielsweise weil sie den öffentlichen Verkehr oder das Fahrrad verwenden und das Auto stehenlassen. Sie sollten Zertifikate erhalten, die sie dann auch verkaufen können. Wenn wir ein grosses Unternehmen fänden, das so etwas finanziert – das wäre ein sehr schönes Projekt.

 

Sie hatten vor Jahren mit der SBB ein ähnliches Projekt wie in New York, das aber 2019 gestoppt wurde.

Die Idee der SBB-App mit dem damaligen CEO Andreas Meyer war ein Tür-zu-Tür-Konzept, sehr ähnlich dem, das wir nun in New York realisieren, auch wenn es in der Zwischenzeit durch die Klimadebatte, die Pandemie und Homeoffice viel komplizierter geworden ist. Mit dem Managementwechsel bei der SBB kam dann eine Strategieänderung. Es wurde gesagt, das Wichtigste für die SBB sei die Stadt-zu-Stadt-Verbindung. Das sei die Kernkompetenz.

Wie machen es andere Bahnbetreiber?

Die meisten konzentrieren sich auf eine Tür-zu-Tür Anwendung, so wie es mit Andreas Meyer geplant war, mit der Integration aller möglichen Verkehrsmittel.

 

Haben Sie überhaupt noch Projekte in der Schweiz?

Ja, ein neues Projekt gibt es. Ein grosser regionaler ÖV-Betreiber wird mit uns ein Projekt starten.

 

Sind Sie enttäuscht, dass nicht mehr Schweizer Verkehrsbetriebe Ihre Anwendungen nutzen?

99 Prozent der Verkehrsinvestitionen gehen in die Infrastruktur, zum grossen Teil, um die Spitzenbelastungen im Verkehr abzudecken. Es wäre doch viel intelligenter, Geld in Systeme zu stecken, die uns helfen, die Verkehrsströme so zu steuern, dass es gar nicht erst zu den Spitzen kommt. Das würde uns Milliarden an Baukosten sparen und übrigens auch viel CO2, das durch die Bautätigkeit freigesetzt wird.

 

Sie arbeiten seit rund sechs Jahren an den beschriebenen Mobilitätslösungen. Wenn Sie noch einmal starten würden, was würden Sie anders machen?

Ich wollte immer direkt vom Start weg die perfekte eierlegende Wollmilchsau. Wahrscheinlich würde ich das nächste Mal eher Schritt für Schritt gehen. Anwendungen, die aufeinander aufbauen. Das wäre sicher günstiger gewesen, aber das Endprodukt wäre dasselbe.