Beim Thema Kreislaufwirtschaft geht es längst nicht mehr nur um Mülltrennung und Recycling. Unternehmen, die ihre Produktionsprozesse grundlegend neu ausrichten und sich von linearen Modellen verabschieden, könnten in den kommenden Jahren zu den wirtschaftlichen Gewinnern zählen. Aber wie kann Kreislaufwirtschaft für Anlegerinnen und Anleger messbar gemacht werden?
Corrado Gaudenzi, Head of Long Term Sustainable Strategies, Eurizon
Erste Angebote erobern den Markt
Auf dem Markt existierten bislang keine standardisierten Bewertungsinstrumente, mit denen sich Unternehmen hinsichtlich ihrer zirkulären Transformation objektiv vergleichen liessen. Doch nun sind erste Angebote auf dem Markt. So wurde in Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern, darunter auch die Ellen MacArthur Foundation, beispielsweise ein Circularity-Score entwickelt. Grundlage sind öffentlich verfügbare Informationen aus Nachhaltigkeits- und Geschäftsberichten – kleinteilig gesammelt, manuell ausgewertet und systematisch gewichtet.
Rund 500 Unternehmen weltweit fliessen in diese Analyse ein. Das Verfahren ist aufwendig und dauert pro Zyklus mehrere Monate. Doch gerade darin liegt ein enormer Vorteil: Die Tiefe und Individualität der Auswertung ermöglicht Einblicke, die standardisierte ESG-Scores derzeit nicht liefern können. Das Modell basiert nicht auf Selbstauskünften oder Labeln, sondern auf konkreten Massnahmen entlang der Wertschöpfungskette. Bewertet wird unter anderem, ob Unternehmen Rücknahmeprogramme etabliert haben, Produkte als Service statt als Einmalgüter anbieten oder recycelte Materialien systematisch einsetzen.
Die Datenlage fordert heraus
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Unternehmen, die sich innerhalb ihrer Branchen durch strukturelle Transformation hervortun. Nicht das Etikett «Nachhaltig» steht im Mittelpunkt, sondern die operative Umsetzung. Auffällig ist: Die überzeugendsten Akteure finden sich nicht zwangsläufig in den typischen Umweltbranchen. Zwar ist der Industriesektor überdurchschnittlich vertreten – ebenso wie die Materialwirtschaft oder zyklische Konsumgüter –, doch auch in der Informationstechnologie oder im Gesundheitswesen gibt es relevante Ansätze. Dagegen fällt das Engagement in den Bereichen Energie, Finanzen und Kommunikation deutlich geringer aus.
Die Datenlage bleibt eine Herausforderung. Der Circularity-Score basiert zu grossen Teilen auf jährlich aktualisierten Informationen, was auch den Anpassungsrhythmus der Analysen bestimmt. In der Regel erfolgt eine Neubewertung quartalsweise. Neben der zirkulären Bewertung fliessen auch klassische Finanzkennzahlen in die Bewertung ein – etwa die Höhe des freien Cashflows oder das Verhältnis von Verschuldung und Liquidität. Ziel ist, Unternehmen mit übermässigem finanziellem Risiko konsequent auszuschliessen.
Das Geschäftsmodell muss überzeugen
In Branchen wie Industrie, Materialien, Basiskonsumgüter und zyklische Konsumgüter finden sich die Pioniere der zirkulären Transformation – Unternehmen, die etwa durch innovative Produktionsprozesse, Recyclingstrategien oder Produktdesigns mit verlängertem Lebenszyklus hervorstechen. Auch in den Bereichen Informationstechnologie und Gesundheitswesen gibt es zunehmend Geschäftsmodelle, die die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sinnvoll in ihren Betrieb integrieren.
Auf der anderen Seite ist eine Untergewichtung in bestimmten Bereichen ebenso strategisch wie konsequent. Dazu gehören Investments in Energie, Finanzen, Kommunikation und – mit Einschränkungen – Versorger. In diesen Segmenten fehlt es derzeit an substanziellen zirkulären Ansätzen. Die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle spielen schlicht keine zentrale Rolle für eine nachhaltige Ressourcennutzung oder eine Transformation hin zu geschlossenen Stoffkreisläufen. Anlegerinnen und Anleger sollten nicht in klassische Capacity-Building-Themen wie Abfallwirtschaft oder grüne Energie investieren, sondern sich vielmehr auf aktive Gestalter im Zentrum der Transformation konzentrieren. Was eine solche Herangehensweise besonders macht, ist der starke Fokus auf die Qualität einzelner Unternehmen – unabhängig von ihrer Sektorzugehörigkeit.
Wider die Abhängigkeit von Rohstoffmärkten
Das Ziel sollte also sein, Unternehmen zu identifizieren, die nicht nur ökologisch überzeugen, sondern auch ökonomisch von ihrer Vorreiterrolle profitieren. Wer auf langlebige Produkte, geschlossene Stoffkreisläufe und kundenorientierte Servicemodelle setzt, reduziert Abhängigkeiten von Rohstoffmärkten, senkt Entsorgungskosten und bindet Kundinnen und Kunden langfristig. All das führt zu stabileren Einnahmen und verbessert mittelfristig auch die fundamentalen Unternehmenskennzahlen – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil in einer Zeit zunehmender Ressourcenknappheit.