Die Schweiz hat sich mit der Unterzeichnung der Agenda 2030 vor sieben Jahren verpflichtet, die 17 von der UNO verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele fristgemäss umzusetzen. Welche politischen Gremien sind dabei besonders gefordert?

Die mit der Agenda 2030 verknüpfte Sustainable Leadership betrifft die gesamte Bundesverwaltung. Zwölf Bundesämter, alle Departemente sowie die Bundeskanzlei sind im sogenannten Direktionskomitee Agenda 2030 vertreten. Dieses wird von Daniel Dubas und mir geleitet. Es ist das strategische Steuerungs- und Koordinationsorgan für die Umsetzung der Agenda 2030 auf Bundesebene. Das Direktionskomitee wird durch eine Begleitgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft ergänzt. Unsere Hauptaufgabe ist es, innenpolitisch eine kohärente Zusammenarbeit mit Kantonen und Gemeinden und die Koordination mit nicht staatlichen Akteuren sicherzustellen und die Agenda 2030 als wichtiges Instrument für unsere Aussenpolitik einzusetzen.

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Der Bundesrat hat signalisiert, dass er gewillt ist, bei der Umsetzung der UNO-Nachhaltigkeitsziele eine Führungsrolle zu übernehmen. Wie erfolgreich ist die Schweiz als internationales Vorbild?

Der Länderbericht 2022, den wir kürzlich vor der UNO präsentiert haben, ist dort auf gutes Echo gestossen. Wir haben seit dem letzten Bericht vor vier Jahren Fortschritte erzielt. Bezüglich der Bekämpfung von Armut und Hunger oder der Förderung von Gesundheit und Wohlergehen gehört die Schweiz sogar zur Spitze. Als erstes Land hat die Schweiz zudem die Erarbeitung des Länderberichts komplett digitalisiert, was sowohl bei anderen Ländern als auch bei der UNO auf grosses Interesse stösst.

Hinsichtlich der Umsetzung hat der Bundesrat inhaltliche Schwerpunkte definiert. Welche?

Es gibt drei Schwerpunkte: erstens die nachhaltige Gestaltung der Produktion und des Konsums, die bei uns nach wie vor auf einem zu hohen Ressourcenverbrauch pro Kopf beruht. Dabei fallen 70 Prozent der Auswirkungen auf die Umwelt nicht etwa im Inland, sondern im Ausland an. Beim zweiten Schwerpunkt «Klima, Energie und Biodiversität» haben wir bei der Dekarbonisierung zwar Fortschritte gemacht. Doch wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, muss die Transformation der Energieversorgung weiter beschleunigt werden. Ebenfalls noch nicht am Ziel sind wir beim dritten Schwerpunkt «Chancengleichheit und sozialer Zusammenhalt». Zum Beispiel verdienten Frauen im Jahr 2020 in der Schweiz durchschnittlich immer noch 14 Prozent weniger als Männer. Und Menschen mit Migrationshintergrund haben bei uns ein deutlich höheres Armutsrisiko. Eine erfolgreiche Umsetzung der Schwerpunktziele ist allerdings in den vergangenen Monaten nicht einfacher geworden, wenn ich an das sicherheitspolitische Umfeld, die Verknappung lebenswichtiger Güter und die weltweiten Lieferengpässe denke.

«70 Prozent der Umweltauswirkungen fallen im Ausland an.»

 

Apropos Lieferengpässe. Für den Fall einer akuten Energieverknappung könnte der Bundesrat bald schon Notfallpläne aus der Schublade ziehen. Diese Notfallpläne dürften wohl kaum den Ansprüchen einer Sustainable Leadership gerecht werden?

Kurzfristig, wenn zum Beispiel in Betrieben von Gas wieder auf Öl umgestellt werden müsste, bedeutet das natürlich Zielkonflikte in Bezug auf die höheren CO₂-Emissionen. Es wäre ökologisch zweifellos ein Rückschritt, der aber zugunsten sozialer und wirtschaftlicher Ziele wie Sicherung von Arbeitsplätzen und Versorgungssicherheit in Kauf genommen werden muss. Mittelfristig könnten jedoch gerade die Erfahrungen aus diesem Notfallszenario den Ausbau von erneuerbaren Energien weiter beschleunigen und Verhaltensänderungen in Bezug auf Energiesparen und Energieeffizienz erwirken. Langfristig gewinnen wir aus der Notsituation die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Entwicklung auch mit den Risiken von Kriegen, Konflikten und autokratischen politischen Systemen fertig werden muss.

Im Aktionsplan 2021–23, der sich an der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 (SNE 2030) des Bundes orientiert, ist viel von Dialog, Abklärung, Verbesserung der Datenlage, Monitoring, Überwachung von Strategien und so weiter die Rede. Das tönt nicht gerade handlungsorientiert …

Der Bundesrat hat in manchen Bereichen bereits klare Signale gesetzt und Prozesse beschleunigt. Ich erinnere – um ein Beispiel zu erwähnen – an den Aktionsplan zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung. Für den nächsten Aktionsplan wünsche ich mir aber, dass noch mehr Ideen und Vorschläge der Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft in konkrete Massnahmen einfliessen werden.

Die EU ist in gewissen Bereichen, etwa bei der Kreislaufwirtschaft, schon wesentlich weiter als die Schweizer Politik. Wo sollte und könnte unsere Politik den Hebel ansetzen?

Die Kreislaufwirtschaft ist heute schon ein Schwerpunkt der SNE des Bundes. Man sollte aber im nächsten Aktionsplan noch klarer aufzeigen, wie innovative Produktionsverfahren, kreislauffähige Geschäftsmodelle, Ökodesign, Reparieren und Wiederverwenden und so weiter besser gefördert werden können. Die Schweiz hat in diesen Bereichen zweifellos ein grosses Potenzial.

Wie optimistisch sind Sie, dass die bisherige politische Strategie, die sehr stark auf Lenkungsabgaben, Anreize, Freiwilligkeit und Ähnliches setzt, wirklich zielführend ist? Wie wahrscheinlich ist es, dass wir früher oder später um drastischere Massnahmen doch nicht herumkommen?

Ich denke schon, dass wir auch über die Anpassung gesetzlicher Rahmenbedingungen nachdenken müssen – Stichwort CO₂-Gesetz zum Beispiel. Grundsätzlich bin ich aber überzeugt, dass in unserer Gesellschaft das Prinzip der Freiwilligkeit und Voraussicht, kombiniert mit unserer Innovationskraft, besser und schneller ans Ziel führt als Zwang oder Sanktionen.

«Die Schweiz hat zweifellos ein grosses Potenzial.»

 

Freiwilligkeit setzt auf allmähliche Verhaltensänderungen, für die wir angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels nicht mehr viel Zeit haben …

Ich bin optimistisch, dass wir in unserer demokratischen Gesellschaft die notwendigen Transformationen rechtzeitig in Gang setzen können und werden. Bessere und verfügbare Daten erlauben in Zukunft rascheres Handeln. So können wir wirksame Massnahmen schneller und besser identifizieren und bei unwirksamen Massnahmen rechtzeitig korrigieren. Die Digitalisierung bietet hier grosse Chancen. Die stärkere Nutzung von Daten ermöglicht mehr Agilität – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Sustainable Leadership.

Der Vermittler

Name: Markus Reubi 
Funktion: Delegierten des Bundesrates für die Agenda 2030 und stellvertretender Leiter der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit beim EDA-Staatssekretariat in Bern 
Alter: 49 
Familie: verheiratet, drei Kinder 
Karriere: Der Jurist und Manager MBA war mehr als 15 Jahre im diplomatischen Dienst tätig, zuletzt (2018 bis 2022) als Minister und stellvertretender Missionschef der Schweizer Botschaft in Tokio (Japan)