Tische mit Apéroplatten stehen verteilt im Raum, in der Mitte thront eine grosse Bühne, eine Sitzordnung ist nicht vorgegeben. Das Ziel ist klar: An diesem Anlass steht der Dialog im Zentrum. Das Thema: Europas Zukunft zu Gast in Luzern.

Bereits im Programmheft schreibt der Direktor des Forums, Dominik Isler: «Wir leben in Zeiten, die unsere Grundüberzeugungen darüber infrage stellen, wie wir unsere Welt, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft wahrnehmen.» In seiner Eröffnungsrede plädiert er dafür, dass die Schweiz aufwacht und gemeinsam mit Europa einer stark fragmentierten Welt begegnet. «Wir glauben, dass Europa der beste, vielleicht der einzige Ort ist, an dem man heute leben, gedeihen und Geschäfte machen kann. Europa vereint eine einzigartige Kombination aus liberaler Demokratie, Freiheit, Marktkapitalismus und sozialer Wohlfahrt.»

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Genau diese Elemente gelte es auch weiterhin beizubehalten – denn die Konkurrenz schlafe nicht. Abhängigkeiten von China, aber auch das schnelle Fortschreiten von künstlicher Intelligenz und Technologie stellten neue Herausforderungen. Und dafür biete das Annual Meeting des Lucerne Dialogues eine Plattform, denn «nur ein vertrauensvoller Dialog ermöglicht eine erfolgreiche und wirkungsvolle Zusammenarbeit».

Ein bequemes Europa muss sich selber überwinden

Isler auf der Bühne folgt der Buchautor und Journalist der «Süddeutschen Zeitung», Tobias Haberl. Die Moderatorin Franca Lehfeldt hatte ihn bereits als «Wachrüttler» bezeichnet, als «neuronale Herausforderung», der die Anwesenden aus dem Konzept bringen werde.

Bereits mit seinem ersten Satz wird Haberl seiner Anmoderation gerecht – «Ich bin für Irritation zuständig» – und stürzt sich in sein Plädoyer: «Die freie westliche Welt ist ganz gut gemeint, aber gar nicht so gut gemacht.» Er bezeichnet sie als einen Ort ohne Zauber und Geheimnisse, aus dem sich jedes Temperament und Risiko verabschiedet hätte. Einer der Hauptgründe, die dazu führten: Social Media und das ständige Vernetztsein. Er fragt: «Wir sind ständig connected – aber wozu überhaupt?» Und antwortet gleich selbst: «Wir sind süchtig danach.»

Genau das sei aber das Ziel der grossen Tech-Konzerne. Je länger die Menschheit über den Bildschirm scrolle, desto mehr klingelten die Kassen im Silicon Valley. Unlängst sei der Mensch vom Kunden zum Produkt verkommen – das von Haberl gezeichnete Zukunftsszenario ist dystopisch: «Am Ende hat man eine Gesellschaft, die man nicht haben wollte: passiv, infantil, narzisstisch.»

Deshalb appellierte Haberl zum Schluss an das Individuum. Es sei jeder und jede selbst verantwortlich dafür, wie sehr soziale Medien konsumiert würden. Es gelte, die Frage zu stellen: Was ist der Nutzen davon und was der Preis? Gerade in einer Welt, in der ein ständiger Informationsfluss herrsche, dem man sich kaum entziehen kann, müsse man sich an der eigenen Nase nehmen und das eigene Verhalten und dessen Nutzen hinterfragen.

Europa soll aus dem Schatten der USA heraustreten

Auf Haberl folgte Helle Thorning-Schmidt. Dänemarks ehemalige Ministerpräsidentin referierte zum Thema, dass ein starkes Europa ein wettbewerbsfähiges und stolzes Europa ist. In schulischer Manier lobte sie Europa zu Beginn: «Das Gute an Europa ist: Wir treffen eine Entscheidung und machen vorwärts. Wir haben immer eine Lösung gefunden.»

Doch dann findet sie klare Worte: «Europa wurde langsam.» Die Probleme würden nicht kleiner, sondern nur grösser. Europa hätte aber noch keine Antwort auf die Probleme. Es scheitere an der Grundfrage, wo es sich in dieser Welt verortet. Thorning-Schmidt kennt die Antwort: «Wir müssen aus dem Schatten der USA heraustreten und unseren eigenen, europäischen Weg finden.»

Das passiere damit, dass Europa wieder konkurrenzfähiger werde. Es müsse einen gemeinsamen Markt schaffen, der funktioniert und sich weiterentwickelt. Gleichzeitig sollte Europa aber auch wieder als globaler Businesspartner ernst genommen werden. «Ich möchte mich in Afrika nicht nur als Helferin und Retterin engagieren, sondern auch als Geschäftspartnerin.»

Die dänische Politikerin hat den Inhalt von Meta im Griff

Ein Engagement von Helle Thorning-Schmidt trägt den sperrigen Namen Co-Vorsitzende des Meta’s Oversight Board. Dieses Board ist ein unabhängiges Gremium, das den Inhalt von Meta überprüft. Denn: «Mark Zuckerberg kann nicht um vier Uhr morgens wach sein und entscheiden, welche Posts stehen bleiben und welche entfernt werden sollen.» Genau dafür sind Thorning-Schmidt und ihre 21 Kollegen und Kolleginnen vom Board zuständig. Sie überprüfen regelmässig Inhalte von Meta und entscheiden, was gezeigt werden kann und was nicht. Das Board besteht seit vier Jahren, und noch heute hat es das finale Wort, wenn es um die Moderation der Inhalte geht. Thorning-Schmidt lobt Meta und findet klare Worte für X (vormals Twitter): «Meta ist erwachsen geworden. Es ist viel verantwortungsbewusster als X.»

Tina Fischer
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