Die sozialen Medien vernetzen die Welt. In Sekundenschnelle erhält man Informationen aus weit entfernten Ländern, sieht Bilder vom Geschehen und fühlt sich am Puls der Zeit. Doch die weltweite Vernetztheit birgt eine dunkle Kehrseite, die durch die Entwicklung von KI-Technologien weiter erstarkt: die Verbreitung von Falschmeldungen und Desinformation.

Kaum war Kamala Harris als mögliche Nachfolgerin für Bidens Präsidentschaftskandidatur genannt worden, häuften sich Falschmeldungen im Netz. So hiess es, dass sie die Bevölkerung reduzieren wolle, mit dem US-Sexualstraftäter Jeffrey Epstein für ein Foto posiert habe und nicht kandidieren dürfe wegen der Herkunft ihrer Eltern. Die Meldungen sind nachweislich alle falsch (siehe Box).

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Und doch erfahren die Artikel im Netz einen lauten Zuspruch. Sie werden zigfach geteilt und erreichen ein Millionenpublikum. Darunter finden sich viele, die die Meldungen nicht hinterfragen und deren Richtigkeit annehmen.

 

Verschiedene Varianten von Informationsstörungen

«Wir stehen an der Schwelle zum Zeitalter der Desinformation», fasst der britische Investigativjournalist Eliot Higgins die heutige Situation zusammen. Auf dem Spiel stünden die Untergrabung des öffentlichen Vertrauens in Institutionen, die Destabilisierung demokratischer Prozesse und das Potenzial, Gewalt zu schüren oder weit verbreiteten Schaden anzurichten.

Higgins ist der Gründer von Bellingcat, einem Recherchenetzwerk, das sich auf den Faktencheck sowie die Open-Source-Intelligence spezialisiert hat. Bekannt wurde er, als er 2012 den Einsatz von Streubomben und Fassbomben in Syrien aufdeckte und durch seine Analyse des Absturzes des Malaysia-Airlines-Fluges 17 über der Ostukraine.

Der Blogger und Journalist kennt sich aus mit Informationsstörungen. Er unterscheidet deren drei: «Misinformation», Desinformation und «Malinformation». «Misinformationen sind falsche Informationen, von denen die Menschen, die sie erstellen oder weitergeben, glauben, dass sie wahr sind», so Higgins. Desinformationen hingegen seien falsche Informationen, die Menschen erstellen und weitergeben, im Wissen, dass sie falsch sind. Die Malinformation entspricht einer wahren Information, die selektiv verwendet wird, um einen falschen Eindruck zu erwecken.

 

Beweggründe variieren

«Vor diesem Hintergrund können Fake News von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Motiven erstellt werden», sagt der Faktenchecker. Einerseits aus Profitgründen, wie es bei der Website Channel 3 News der Fall war. Sie ist für die Verbreitung der falschen Identität des Täters der Messerstecherei in Southport 2024 verantwortlich. Auf die Falschmeldung folgten zahlreiche ausländerfeindliche Krawalle in britischen Städten. Im Nachgang kam heraus, dass die Seite die Meldung ohne Verifizierung publik machte, die Veröffentlichung möglichst vieler Artikel und der daraus resultierende Profit standen im Vordergrund.

«Fake-News können aber auch von staatlich unterstützten Akteuren erstellt werden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen», zeigt Higgins die andere Seite auf. Dazu zählt er die Nachrichtenseite «USA Really». Sie wurde von der Internet Research Agency im Auftrag der russischen Regierung betrieben. Solche Seiten entsprechen der Desinformation und stellen laut Higgins eine ständige Bedrohung dar, da sie bewusst zur Täuschung und Manipulation eingesetzt werden – «häufig von mächtigen Akteuren, die über erhebliche Ressourcen verfügen».

 

Leute haben Mühe, mit Fake News umzugehen

Kommt hinzu, dass sich die Falschmeldungen erheblich verbessert haben und es schwieriger wurde, deren Inhalt zu überprüfen. Nicht überraschend zeigen denn auch Zahlen des Bundesamts für Statistik, dass Fake News stark zugenommen haben und viele überfordern. Bei der Befragung gab rund die Hälfte derer an, die Fake News angetroffen haben, diese nicht zu verifizieren. Die meisten täten es zwar deshalb nicht, weil sie darüber im Bilde seien, dass es sich um Fake News handelt. Aber noch immer 600’000 Leute geben an, dass ihnen die Kompetenz dazu fehlt und sie entsprechend nicht verifizieren könnten, was stimmt und was nicht. Immerhin: Weil Medien immer wieder auf Falschmeldungen hinweisen, hat dies das Bewusstsein bei Internetnutzern gestärkt.

Doch noch immer besteht eine Herausforderung, wie Daniel Süss, Professor für Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), gegenüber SRF sagte: «Das Problem besteht darin, dass immer mehr Menschen ihre News aus Social Media beziehen und dann denken, ich weiss alles, was ich brauche, und sich nicht mehr mit publizistischen Medien informieren.»

Ein Aspekt, den auch Eliot Higgins beobachtet. Er verfolgt deshalb das Mantra: «Ausbildung, nicht Regulation.» Higgins plädiert dafür, bereits ab der Sekundarstufe einen Schwerpunkt auf Medienkompetenz sowie die Fähigkeit zum kritischen Denken zu legen. Online und offline braucht es ein Umfeld, um konstruktiv zu diskutieren und einen zivilen Diskurs zu führen. Etwas, das angesichts des aggressiven Tons in den sozialen Medien unterzugehen droht.

 

Desinformation birgt Risiken für Unternehmen

Schwieriger ist es, wenn Erwachsene einer Fehlinformation Glauben schenken. Sie vom Gegenteil zu überzeugen, benötigt Fingerspitzengefühl: «Anstatt sie aggressiv zu konfrontieren, sollte man offene Gespräche führen, glaubwürdige Beweise vorlegen und sie ermutigen, mehrere Informationsquellen zu prüfen», so Higgins.

Er überträgt dabei auch eine gewisse Verantwortung an Führungskräfte. Denn die zunehmende Verbreitung von Desinformation berge auch erhebliche Risiken für Unternehmen. «Desinformationen können den Ruf eines Unternehmens schädigen, zu finanziellen Verlusten führen und das Vertrauen der Verbraucher untergraben», erläutert Eliot Higgins. Falsche Gerüchte oder böswillig verbreitete Fehlinformationen über die Produkte, Dienstleistungen oder die Führung eines Unternehmens können innert kurzer Zeit Aktienkurse, die Kundentreue und das allgemeine Markenimage beeinträchtigen.

Führungskräfte sind deshalb angehalten, im Unternehmen eine Kultur des kritischen Denkens und der offenen Kommunikation zu fördern. «Sie sollten ihre Mitarbeitenden dazu ermutigen, Informationen zu überprüfen, bevor sie diese weitergeben, Ressourcen für die Medienkompetenz bereitstellen und ein Umfeld schaffen, in dem sich die Mitarbeitenden wohlfühlen, wenn sie falsche Informationen diskutieren und entlarven.» Durch diese proaktiven Schritte können Manager ihr Unternehmen, aber auch ihre Mitarbeitenden, vor den negativen Auswirkungen von Desinformation schützen und sicherstellen, dass ihre Teams gut informiert und widerstandsfähig bleiben.

Diese Fake News kursieren über Kamala Harris

Seit Kamala Harris dem US-Wahlkampf beitrat, stieg die Anzahl der über sie publizierten Fake News sprunghaft an. Das sind nur einige der Falschmeldungen, die sich fanden:

«Kamala Harris darf wegen der Herkunft ihrer Eltern nicht kandidieren »
Die Aussage ist falsch, denn woher die Eltern stammen, spielt für das Präsidentenamt keine Rolle. Es gibt nur drei Voraussetzungen, die Kandidierende erfüllen müssen: Sie müssen gebürtige US-Bürger sein, mindestens 35 Jahre alt und mindestens seit 14 Jahren in den USA leben. Harris wurde in den Vereinigten Staaten geboren und erhielt deshalb die Staatsbürgerschaft, sie wuchs in den USA auf und ist heute 59 Jahre alt.

«Kamala Harris will die amerikanische Bevölkerung reduzieren»
Die Falschmeldung entstand aus einem Versprecher der Kandidatin. In einer Rede zum Thema Umweltverschmutzung – auf Englisch «Pollution» – sagte sie das Wort «Population». Im offiziellen Transkript des weissen Hauses ist dieser Versprecher jedoch korrigiert, aus dem Kontext ist ebenfalls klar, dass es um die Umwelt sowie deren Schutz und nicht um die US-amerikanische Bevölkerung geht.

«Kamala Harris und Jeffrey Epstein haben für ein Bild posiert»
Das Bild ist eine Manipulation – eine von vielen über Kamala Harris. Dabei zeigt das Original Harris mit ihrem Ehemann Douglas Emhoff im Jahr 2015 in Los Angeles. Emhoffs Kopf wurde durch den von Epstein ersetzt, das Porträtfoto von Epstein stammt nachweislich aus einem Polizeifoto von 2006. Epstein hatte 2019 in seiner Zelle Suizid begangen.

Cover Lucerne Dialogue Magazine 2024
Quelle: Ringier Medien Schweiz

Dieser Artikel erschien am 10. Oktober 2024 im Lucerne Dialogue Magazine, der Zeitschrift der Dialogplattform Lucerne Dialogue.