War für Sie immer schon klar, dass Sie mit Wein arbeiten wollten?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe ja nach einem Wirtschaftsstudium zunächst sechs Jahre in der Werbung gearbeitet.

 

Wann entstand Ihr Interesse an Wein?

Mit Champagner konnte ich früher gar nichts anfangen, ich habe denselben Fehler wie alle gemacht und eine Flasche Champagner nur geöffnet, um etwas zu feiern. Mit 17 Jahren begann ich, Weisswein zu schätzen. Richtig erwachte mein Interesse jedoch erst einige Jahre später in Paris, als ein kleiner Weinladen in meiner Strasse erste Degustationen anbot. Mich faszinierte damals, wie unterschiedlich zwei Weine aus demselben Dorf schmecken konnten – obwohl sie denselben Boden teilten. Ich wollte verstehen, wie Entscheidungen im Weinbau diese Unterschiede hervorrufen.

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Zur Person

Julie Cavil ist seit Januar 2020 Kellermeisterin (Chef de Caves) Krug Champagner. Sie ist die erste Frau in dieser Position in der Geschichte des Hauses.

 

Das Unternehmen

Maison Krug Das Maison wurde 1843 in Reims von Joseph Krug gegründet. Sein Traum war es, jedes Jahr den besten Champagner zu kreieren, den er bieten konnte, unabhängig von den jährlichen Klimaschwankungen. Insbesondere durch den Aufbau einer umfangreichen Bibliothek von Reserveweinen aus vielen verschiedenen Jahrgängen konnte Joseph Krug seinen Traum verwirklichen. Sechs Generationen der Familie Krug haben diesen Traum weitergeführt.

 

Und dann haben Sie Ihren Job gekündigt und haben Weinanbau studiert?

 

Ja, ich zog in die Champagne und studierte Önologie. So fing alles an.

 

Seit 2006 arbeiten Sie bei Krug. Wie haben Sie das Unternehmen zu Beginn erlebt?

Ich hatte mich damals für das Önologie-Team beworben. Das war ein sehr anspruchsvoller Prozess. Bei meinem neunten (!) Bewerbungsgespräch traf ich auf Rémi Krug selbst, aus der fünften Generation der Familie. Nach dem Gespräch stellte er eine Flasche Krug Grand Cuvée und zwei Gläser auf den Tisch. Ich dachte, sehr schön, jetzt wird gefeiert. Aber er sagte: «Julie, lass mich über diese Flasche träumen.»

 

Was meinte er damit?

Dass wir uns darüber austauschen, wie Krug Champagner zukünftig sein sollte, unsere Visionen auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Das war ein tolles Gespräch. Aber getrunken haben wir die Flasche dann natürlich auch.

 

Sie wurden später zur Direktorin der Produktion befördert und übernahmen die Rolle der Kellermeisterin. Welche Veränderungen beobachten Sie im Weinanbau?

Der Klimawandel ist unsere grösste Herausforderung geworden. Wir haben bei der Weinlese beispielsweise nur noch ein sehr kleines Zeitfenster für den perfekten Erntezeitpunkt. Sobald wir keine pflanzlichen Noten mehr schmecken und in die Frische einer Zitrusfrucht beissen – kurz bevor die Beeren zu gelben Sommerfrüchten werden –, dann wissen wir: Jetzt, innerhalb von 24 Stunden, muss gelesen werden. Dieser präzise Moment ist unser Luxus bei Krug.

 

Wie kontrollieren Sie all diese Parzellen während der Ernte?

Wir sind ein Team aus drei Personen und degustieren 100 Prozent der Parzellen, von Nord bis Süd, Ost bis West der Champagne. Jeder legt Tausende von Kilometern in dieser Zeit zurück. Wir halten alle Beobachtungen in einer Webanwendung fest – mit Bildern, Anmerkungen und Empfehlungen zum optimalen Erntezeitpunkt.

 

Wie arbeiten Sie mit den rund hundert Traubenlieferanten zusammen?

Unsere Verträge basieren nicht nur auf der gelieferten Menge, sondern auch auf der Fläche – pro Hektar. So motivieren wir unsere Partner, lieber weniger, dafür aber qualitativ hochwertiger zu produzieren. Sie werden auch nach Qualitätsstufen eingeteilt, wobei wir alle auf die höchste unserer drei Qualitätsstufen hin begleiten wollen.

 

Besteht starker Wettbewerb zwischen den Maisons, um gute Winzer zu gewinnen?

Weniger, als man denkt. Bei Krug ist eine echte Gemeinschaft entstanden. Die Winzer fühlen sich gesehen und geschätzt – weil jede Parzelle einzeln vinifiziert wird und sie später die Resultate ihrer Entscheidungen verkosten können.

 

Wie würden Sie jemandem Krug beschreiben, der noch nie ein Glas davon probiert hat?

Dazu muss ich ein wenig zurückgehen. Als ich vor vielen Jahren in die Champagne kam, dachte ich, es gibt zwei Kategorien Champagner: Eine sehr körperliche Kategorie mit viel Substanz und eine andere, viel subtilere elegante Kategorie. Krug vereint beide Kategorien und damit scheinbare Widersprüche: Fülle und Subtilität, Reife und Frische, das ist Krug. Und: Jede neue Edition der Grand Cuvée ist eine geografische Reise durch die Champagne und eine Zeitreise über 11 bis 14 Erntejahre. Ein Glas Krug ist eine Hommage an die Vielfalt unserer Böden und unseres Handwerks.

 

Wie lange dauert es, bis eine neue Edition in den Verkauf kommt?

Wir benötigen rund 20 bis 25 Jahre, um eine einzige Edition zu erschaffen – vom ältesten bis zum jüngsten verwendeten Wein gerechnet. Zum Beispiel enthält die 172. Edition Weine von 1998 bis 2016.

 

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Es gibt keinen Standardtag. Ich habe eine grosse Sammlung an Schuhen im Auto – Sicherheitsschuhe für den Weinkeller, Stiefel für den Weinberg, hohe Schuhe für Verkostungen mit Journalisten, flache Schuhe für Budgetgespräche in Paris. (lacht)

 

Gab es grössere Veränderungen in Ihrer Arbeit dieses Jahr?

Ja, nach dem Umzug auf unser neues Weingut Joseph im letzten Jahr haben wir alle unsere Prozesse von Grund auf neu konzipiert – ohne dabei jemals unsere Philosophie zu vernachlässigen. Es lief hervorragend, das Team zeigte eine beeindruckende Haltung. Viele meinten sogar, sie seien nach der Lese weniger müde als sonst.

 

Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten – und was weniger?

Ich liebe die tägliche Zusammenarbeit mit unserem unglaublich talentierten Team, die Degustationen, den Austausch mit unseren Winzern. Auch die Aufgabe, das materielle und immaterielle Erbe von Krug zu bewahren und weiterzugeben. Weniger Freude bereitet mir das Reisen – ich bin gerne zu Hause in Reims.

 

Gibt es Champagner anderer Häuser, die Sie besonders schätzen?

Ich habe sehr schöne Erinnerungen an alte Jahrgänge von Charles Heidsieck. Aber generell bin ich sehr neugierig und probiere alles. Ich habe einen wunderbaren Weinkeller, aber er ist praktisch immer leer. 

 

Noch eine letzte Frage: Wie geniesst man am besten eine Flasche Krug?

Man braucht kein grosses Zeremoniell: Einfach frisch, aber nicht eiskalt trinken – etwa bei 10 Grad Celsius, und er erwärmt sich dann noch ein wenig. Idealerweise in einem tulpenförmigen Glas. Eine zu kleine Flûte würde viele feine Aromen verschliessen – das wäre, wie in die Oper zu gehen und sich die Ohren zuzuhalten.