Der Südwesten von England: Bei schönem Wetter plätschern die Wellen ans Ufer, wie man das von grossen schweizerischen Seen kennt. Dann ist auch die Uferpromenade zugestellt mit Autos von Ausflüglerinnen. Ganz anders sieht es bei Sturm aus: Meterhohe Brecher rollen dann auf das Ufer zu, verstärkt durch den grossen Tidenhub in der Region. Die Meeresbrandung hätte hier leichtes Spiel ohne die aufwendigen Schutzmassnahmen. «Hier kommt das Uferschutzsystem unserer Geobrugg-Sparte ins Spiel», sagt Stephan Wartmann, CEO der Brugg-Gruppe. «An solchen Orten dämpft das Erosionsschutzsystem die Macht der Wellen, und diese Lösung lässt sich an vielen Küsten der Erde einsetzen.» Denn es steigen nicht nur die Meeresspiegel, sondern die Stürme und die Wellen werden auch immer kräftiger beziehungsweise höher. «Und das ist ein Beispiel dafür, wie wir Innovationen einführen», so Wartmann. «Denn nachdem wir das jetzt über mehrere Jahre erfolgreich entwickelt, lokal getestet und umgesetzt hatten, konnten wir kürzlich noch weitere Verträge mit Kunden in Japan und in Chile unterzeichnen.»

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Mit Design Thinking zur Gondelbahn

Die Geobrugg-Sparte hatte zuvor ähnliche Netze für Schutzanlagen in Bergregionen entwickelt. Dort sollen sie teilweise fast unsichtbar begrünt sein. Ursprünglicher Ausgangspunkt auch hier: die Kabel und Seile der Brugg-Gruppe. «Man verbindet uns heute noch meistens mit den grossen Kabelrollen», so Wartmann, «obwohl wir das Geschäft mit den Hochspannungskabeln bereits 2019 verkauft haben.» Mit Kabeln und Seilen arbeitet man dennoch weiter, beispielsweise für die Aufzugslösungen in der Lifting-Sparte. Auch hier dominieren Innovationen. «Anstelle der konventionellen Seile arbeiten wir mit Riemen, die viel weniger Wartung benötigen und bessere Traktionseigenschaften haben», so Wartmann. Brugger Aufzugstechnologie ist auch im Burj Khalifa in Dubai verbaut – im höchsten Gebäude der Welt. Weitere Kabellösungen gibt es in der E-Connect-Sparte. Hier entwickelt und baut man die Spezialkabel, die für die E-Mobilität und für die Windkraftanlagen unverzichtbar sind. Auch bei Seilbahnen finden sich die Stahlseile der Gruppe. «In Lateinamerika und in Asien gibt es bereits Hunderte solcher Bahnen im öffentlichen Nahverkehr – in der Schweiz gäbe es ebenfalls Potenzial dafür, aber es gibt trotz dem geringen Platzbedarf auch Widerstand, denn wer will schon, dass eine Gondel vor dem eigenen Zimmer vorbeifährt.»

Widerstände gibt es manchmal auch intern, denn Wartmann entwickelt das Unternehmen konsequent weiter. «Wir haben sehr viele gute interne Ideen und wir sind bei den grossen Megatrends voll dabei.» Dazu gehören die Energiewende, die Nachhaltigkeit in allen drei wesentlichen Dimensionen und das Infrastrukturthema, das mit der weitergehenden Urbanisierung zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. «Und wir reagieren darauf, indem wir sehr viel in die Mitarbeitenden investieren.» Leadership- und Managementthemen, neue Formen der agilen Zusammenarbeit und Design Thinking gehören dazu. «Gerade Design Thinking ist überaus wichtig geworden», so Wartmann. Denn damit lassen sich, zusammen mit den Kunden, von denen teilweise sehr gute Ideen kommen, Lösungen entwickeln. Die ganze Gruppe zählt knapp 2200 Mitarbeitende, steuert auf rund 680 Millionen Franken Umsatz zu und ist auf allen Kontinenten präsent. «Wir möchten jeweils die Nummer eins oder zwei in unseren Nischen weltweit sein», fasst Wartmann die Ambitionen zusammen. «Und wenn wir es nicht mehr sind, dann fragen wir uns, wie wir wieder da hinkommen.»

 

Schutz von oben und unten

Zum Beispiel in Bereichen, in denen man in der Brugg-Rittmeyer-Sparte viel mit Sensoren und inzwischen zunehmend auch mit künstlicher Intelligenz (KI) arbeitet. «Allein durch die Verbesserung und smarte Optimierung von Anlagen im Bereich der Wasseraufbereitung und von Kläranlagen lassen sich rasch Energieeinsparungen von bis zu 40 Prozent erzielen», sagt Wartmann. In einigen Ländern wie Israel oder Kroatien verschwindet die Hälfte des teuer geförderten Wassers im undichten Leitungsnetz und kommt gar nicht bei den Endverbraucherinnen an, beispielsweise in der Landwirtschaft. Auch hier gibt es innovative Lösungen, wie etwa rotierbare Solarzellen, die an Seilbaukonstruktionen in einigen Metern Höhe über einem Feld befestigt sind. Für Traktoren reicht das, sie können problemlos darunter durchfahren und die Böden bearbeiten. «Zuerst befürchteten die Bauern, dass die Pflanzen zu wenig Wasser und Licht abbekommen», so Wartmann. «Aber jetzt zeigte sich in den heissen Sommermonaten, dass durch die Abdeckung der Solarpanels sogar der Wasserverbrauch gesenkt werden konnte.»

Die laufende Strategieperiode läuft noch bis 2025. Nachhaltige Innovationen und profitables Wachstum sollen weiterhin dominieren. «Bei einer internationalen Kadertagung, die wir kürzlich durchführten, zeigte sich, dass ein Drittel der Mitarbeitenden bereits mit KI aktiv ist», schildert Wartmann die Perspektiven. «Zwei Drittel sind zwar interessiert, aber noch etwas distanziert.» Interne Arbeitsgruppen sollen jetzt Perspektiven für die weiteren Entwicklungen vorbereiten. «Wir befassen uns intensiv mit neuen Technologien, auch als Early Mover», so Wartmann. «Wir wissen am Anfang nicht immer genau, wohin die Reise hingeht, aber wir entwickeln uns weiter, in kleinen Schritten – und meistens zusammen mit ausgewählten Kundengruppen, damit wir immer sofort die Rückmeldung vom Markt bei der Produktentwicklung einfliessen lassen können.»