Stadtplanung im Wandel der Zeit: Wo sehen Sie hier die grössten Herausforderungen und Veränderungen?
Konkret bezogen auf die Region Basel muss klar gesagt werden, dass die grösste Herausforderung im Rahmen der Wohnraumproduktion zu sehen ist. Die Stadt wächst. Es gibt mehr und mehr Arbeitsplätze, aber es fehlt an genügend Wohnraum für die wachsende Bevölkerung. Gründe dafür sind das komplexe Regelwerk, die zunehmenden Bauvorschriften sowie langwierige Planungsverfahren. Das führt dazu, dass in Basel ein Riesenpotenzial von Entwicklungsarealen vorhanden ist, das jedoch zu wenig genutzt wird. Andere Themen wie der rigorose Wohnungsschutz führen parallel dazu, dass weniger in Wohnraum investiert und renoviert wird. Insgesamt wird in Basel schlichtweg zu wenig neuer Wohnraum geschaffen.
Matthias Henny ist CIO der Baloise. Er ist seit über 25 Jahren im Umfeld Investment und Finance für Versicherungen tätig und ist designierter CFO von Helvetia Baloise.
Wenn Sie sagen «rigoroser Wohnungsschutz», was bedeutet das?
Notwendige Renovationen können praktisch nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt auf die Mieten umgewälzt werden. Das heisst, dass es sich aus Investorensicht gar nicht lohnt, zu renovieren. Wir als institutionelle Investoren benötigen Renditen von rund 2 bis 4 Prozent, um daraus Versicherungsleistungen wie Renten bezahlen zu können. Früher haben wir mit Renovationen etwa 3 Prozent erzielen können, heute sind es noch rund 1 Prozent. Das führt dazu, dass in Basel-Stadt nur noch das Allernötigste gemacht wird und eigentliche Erneuerungen von Wohnraum, die sogar die Mieter wünschen würden, gar nicht mehr durchgeführt werden.
Aber das hat auf Dauer sicher Konsequenzen? Nichts mehr an einem Gebäude zu machen, hat ja Auswirkungen auf die Bausubstanz …
Das ist so! Man kann relativ lange so verfahren und nur das Nötigste umsetzen. Leidtragender ist aber schlussendlich vor allem der Mieter. Als Paradebeispiel können Sie Genf sehen. Die Stadt hat vor vierzig Jahren eine rigorose Wohnpolitik eingeführt. Dort ist heute der Zustand des Wohnungsbestands relativ schlecht, weil wenig investiert wurde. Zusätzlich sind die Neubauten rar. Nun sind die Mieten für neue Wohnungen extrem hoch. Denn wenn man Investoren vergrault, führt das langfristig dazu, dass Wohnraum rar wird und die Mieten steigen.
Wie hat sich der Wohnraumschutz auf das Immobilienportfolio der Baloise ausgewirkt?
Er hat dazu geführt, dass wir im Kanton Basel-Stadt nur das Nötigste tun. Institutionelle Investoren, die wie wir in der ganzen Schweiz tätig sind, können sich anpassen, indem sie anderswo investieren. In Basel halten sich alle Investoren sehr zurück, was sehr schade ist.
Das Problem ist demnach bekannt, und man geht offen damit um. Doch was tut man aktiv dagegen?
Vor etwa einem Jahr haben wir uns als Baloise prominent positioniert zu diesem Thema. Auch die Politik versucht, Lösungen aufzuzeigen. Es gab fünf Vorstösse im Grossen Rat in Basel, um das Ganze anzupassen. Es muss dringend gehandelt werden, damit wieder investiert werden kann, das ist allen bewusst. Aber es wurden noch keine konkreten Lösungen präsentiert, die das Problem wirklich beseitigen.
Die Lösung muss ja von verschiedenen Parteien unterstützt werden. Es reicht nicht, wenn Sie sich als Einzelunternehmen positionieren und die Politik nicht mitmacht.
Das ist so. Es braucht eine breite Unterstützung. Es liegt im Interesse aller politischen Parteien, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass in Basel wieder investiert wird und Wohnraum geschaffen werden kann.
Interessant ist, dass im Gegenzug viele neue Industriequartiere in Basel entstehen und dort investiert wird. Das beisst sich eigentlich ein bisschen. Wenn man neue Unternehmen in die Stadt holen möchte, den Leuten aber keinen Wohnraum bietet. Wie konnte es zu diesem Ungleichgewicht kommen?
Genau, die Zahl der Arbeitsplätze wächst, und gleichzeitig sollte auch Wohnraum bereitgestellt werden, damit die Leute in der Nähe ihres Arbeitsortes wohnen können und Quartiere gemischt sind mit Büros und Wohnungen. Eine grosse Chance sind Entwicklungsareale. Basel hat grosse Industrieflächen, die früher von der Industrie genutzt wurden und jetzt umgenutzt werden könnten. Das Paradebeispiel ist das Klybeck-Areal. Dort könnten rund 7500 Arbeitsplätze und Wohnraum für 8500 Menschen geschaffen werden. Hier sind wir als Baloise ebenfalls beteiligt. Wir rechnen damit, dass im Jahr 2028 die Rechtskraft des Bebauungsplans eintritt. Anfang der 2030er-Jahre könnte demnach dort neuer Wohnraum bezogen werden.
Bis dahin suchen sich die Menschen Wohnraum im angrenzenden Ausland?
Ja, das Einzugsgebiet umfasst Deutschland und Frankreich, das ist kein Geheimnis. Aber Basel kann einiges tun, um neuen Wohnraum zu schaffen. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Es gibt keine andere Stadt in der Schweiz, die so wenig in Wohnraum investiert hat in den letzten Jahren wie Basel. Es gibt dazu sogar Studien, unter anderem vom Forschungsinstitut Sotomo, die das bestätigen.
Wir sprachen die Gründe bereits an, aber wie konnte es so weit kommen? Das war ja absehbar.
Es gibt verschiedene Faktoren. Einerseits hat die Komplexität zugenommen, vor allem im Regelwerk. Die Bauverfahren sind kompliziert und müssen vereinfacht und beschleunigt werden. Dann gibt es viel mehr Einsprachen, die die bestehenden Prozesse verzögern und verteuern. Seit 2013 gibt es ein neues Raumplanungsgesetz, das besagt, dass man nicht mehr in die Breite wachsen kann, sondern in die Höhe. Es braucht Verdichtung. Nur gefällt das nicht allen, besonders nicht, wenn es in der eigenen Nachbarschaft passiert. Und schlussendlich müssen auch Vorschriften wie diejenigen für Lärm angepasst werden, damit sie die Dichte ermöglichen.
Was bedeutet das konkret?
Nehmen Sie ein Bauprojekt, das neben einer stark frequentierten Strasse entsteht. Aktuell gelten die Lärmvorschriften für die gesamte Wohnung und würden das Bauprojekt nicht möglich machen. Aber in diesem Fall – bei einer Anpassung der Vorschriften bezogen auf die Räumlichkeiten – können Sie Bad und Küche in Richtung Strasse ausrichten und Wohn- wie Schlafräume in die andere. Das sind kleine Anpassungen mit grosser Wirkung.
Wenn wir von Anpassung sprechen: Stadtplanung bedeutet ja auch, Wohnungen für alle Generationen bereitzustellen. Wie gut ist Basel da aufgestellt – auch in Bezug auf bezahlbare Mieten?
Wenn ich unser Immobilienportfolio in Basel-Stadt anschaue, haben wir relativ günstige Wohnungen. Durchschnittlich zahlt man bei uns 233 Schweizer Franken pro Quadratmeter pro Jahr. Das liegt im unteren Drittel. Und das steht sinnbildlich für den Kurs, den die Baloise fährt. Wir bieten Wohnungen für den breiten Mittelstand an und wollen mehr Wohnraum schaffen. Schweizweit sind rund 70 Prozent in unserem Immobilienportfolio Wohnliegenschaften.
Und die befinden sich alle komplett in Ihrem Besitz?
Genau. Wir sind die Eigentümer dieser Liegenschaften und konzentrieren uns auf Wohnliegenschaften im Bereich von 10 bis 100 Millionen Schweizer Franken in zentraler Lage. Periphere Gebiete bedienen wir eher nicht. Wir verfügen über ein breites Entwicklungsportfolio, das jeweils neuen Wohnraum schafft. Letztes Jahr konnten wir zusammen mit Partnern beispielsweise direkt beim Bahnhof Bussigny das Projekt «Côté Gare» mit 465 Wohnungen einweihen.
Welche sind aktuell im Bau?
Da gibt es viele kleinere Projekte. Erwähnenswert, weil grösser, ist aber sicher das Projekt Westspitz Dietikon. Hier sollen rund dreihundert Wohnungen für verschiedene Lebensphasen, Haushaltsgrössen und Budgets entstehen. Bis ein Fünftel werden zudem Gewerbeflächen sein. Westspitz Dietikon ist ein gutes Beispiel, wie Verdichtung sich im urbanen Raum umsetzen lässt. Gleiches gilt für unser Projekt in Dübendorf. Hier haben wir vor rund fünf Jahren das Giessen-Areal erworben. Auf dem 35’000 Quadratmeter grossen Grundstück entsteht das Quartier «Am Ring» mit bis zu fünfhundert Wohnungen und Gewerbeflächen.