Meiner Meinung nach ist das der schönste Ort auf der Welt», heisst es in einem Social-Media-Kommentar zu Sisikon UR, direkt am Vierwaldstättersee gelegen. Die meisten Menschen stoppen hier allerdings nicht, sondern fahren auf der Axenstrasse durch die Vierhundert-Menschen-Gemeinde durch.

«Für uns ist der Verkehr eine grosse Belastung», sagt der Gemeindepräsident Sisikons, Timotheus Abegg. «Vor allem im Sommer ist die Situation sehr angespannt.» Bereits eine Panne genüge, und schon staue sich der Verkehr. «Und dann kann man das Dorf fast nicht mehr verlassen.» Besonders der Schwerverkehr, der in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat, trägt zur Belastung bei. «Erschwerend kommt der Langsamverkehr hinzu», so Abegg weiter – für Velos ist der Axenstrassen-Abschnitt zwischen Brunnen SZ und Sisikon gesperrt und nur mit einem Auto-Shuttle mit Anhänger passierbar.

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Der Verkehr hat aber nicht nur Nachteile für das Dorf gebracht. «Gerade die Posts auf Social Media haben eine grosse Wirkung, und sie laden zum Verweilen ein», beobachtet Abegg. Die Besucherinnen und Besucher stoppen auf dem Campingplatz, bei einem der Restaurants oder an der sehenswerten Quaianlage am See.

Die lokale Wirtschaft muss sich bereits jetzt Gedanken machen, wie es weitergeht, wenn die Umfahrung, die derzeit in Bau ist, 2033 eröffnet werden wird. Drohen dann geschlossene Gastronomieeinrichtungen? «Das Restaurantsterben hat bei uns schon vor vielen Jahren begonnen», schildert der Gemeindepräsident die Situation, «im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung muss einfach das Konzept stimmen – dann kommen die Besucherinnen und Besucher künftig gerne nach Sisikon.»

Durchmischte Einwohnerschaft ist das Ziel

Und auch mit der Raumplanung hat man für die Zeit nach 2033 begonnen. «Erste Umzonungen im Hinblick auf die kommende Umfahrung wurden bereits vorgenommen», sagt Abegg. Ein grösseres Projekt auf dem Mattenfeld in der Nähe des Bootshafens verspricht, fünfzig bis achtzig neue Einwohnerinnen und Einwohner zu bringen. «Wir möchten weder ein Feriendorf noch ein Ort für pensionierte Menschen werden», so Abegg weiter. «Wir streben eine gut durchmischte Einwohnerschaft an, mit Familien und Kindern.»

Von den 55 000 Staustunden, welche das Bundesamt für Strassen (Astra) vergangenes Jahr auf den schweizerischen Autobahnen registrierte, entfallen 12 000 Stunden – das entspricht 500 Tagen – auf die A2. «Das Problem für unseren Kanton sind die Spitzentage wie Ostern, Pfingsten und die Wochenenden über das Sommerhalbjahr», sagt Simon Stadler, Mitte-Nationalrat des Kantons Uri. «Die Menschen in den von Ausweichverkehr betroffenen Gemeinden kommen kaum noch nach Hause oder zur Arbeit.» Spielraum sieht Stadler auf der Kantonsstrasse wenig – die Nationalstrassen sind Bundessache, die Kantonsstrassen lassen sich nicht einfach schliessen, auch wenn der Verkehr an Spitzentagen auf diese ausweicht. «Man muss beim Bund ansetzen», so Stadler. Baulich sieht Stadler kaum Optionen im Kanton Uri. «Denn wir haben nicht nur am Gotthard, sondern auch an der Axenstrasse sowie am Seelisberg Probleme, und wenn man Richtung Norden geht, sind die weiteren Problemstellen bei Zofingen, Olten oder Oensingen ebenfalls bekannt.» Es sei deshalb schwierig, etwas am Gesamtsystem zu verändern. Vielleicht müsse man grundsätzlich umdenken – und den Kanton Uri nicht mehr lediglich zur Durchfahrt, sondern als Destination konzipieren. «Wir sehen Influencer, die beispielsweise in Aesch im Schächental einen kurzen Halt einlegen, Bilder machen – und dann rasch wieder weg sind, auf dem Weg zur nächsten Des-tination», beobachtet der Nationalrat. «Warum so rasch durchfahren – und nicht einfach bleiben, wo es am schönsten ist – bei uns im Kanton Uri?»

Wachstum ohne Grenzen

Möglicherweise müssten hierfür einige Grundannahmen hinterfragt werden, sagt Hans-Ulrich Schiedt, der an der Universität Bern zur Schweizer Wirtschafts- und Sozialgeschichte forscht. «Dazu gehört die Vorstellung der Schweiz und des Kantons Uri, eine europäische Verkehrsdrehscheibe zu sein und entsprechende Verkehrswege zu bauen, um nicht umfahren zu werden – dabei gibt es weiter westlich von der Schweiz und östlich Verkehrswege mit höherem Volumen», sagt Schiedt. «Vielleicht bräuchte es eine Art Paradigmenwechsel – weg von der raschen Durchfahrt, hin zu Genuss und Verweilen.»

Denn sämtliche Prognosen, die man in der Vergangenheit über die Entwicklung des zukünftigen Verkehrs gemacht hatte, erwiesen sich als unzutreffend. «Und immer wieder war man von der Idee einer Plafonierung des Verkehrs ausgegangen: Vor dem zweiten Weltkrieg dachte man, bei 125 000 Autos werde der Zuwachs aufhören – die Zahlen sind dann immer wieder nach oben korrigiert worden und eine Plafonierung ergab sich nie», so Schiedt. Heute ist man bei über sechs Millionen Fahrzeugen in der Schweiz.