Von aussen lässt sich das «UMI Gendai» in Berlin leicht übersehen: Wo sich bis vor kurzer Zeit ein Videoverleih befand, ist ein trendiges Asian-Fusion-Cuisine-Restaurant eingezogen. Eine wichtige Lebensmittelquelle steht im Hinterhof: Dort stehen im Parterre des Nebengebäudes einige beleuchtete und klimatisierte Schränke. Salate und die grüne Deko für die Gerichte kommen von hier, erklärt der Geschäftsführer Luan. Neben der Frische spricht auch die sehr kurze Lieferkette eine wichtige Rolle. Die Gäste schätzen das Angebot – selbst in einer Gegend von Berlin, die nicht kaufkraftstark ist. 

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Spätere Übernahmeziele

«Die vertikale Landwirtschaft als Industriezweig versucht, vor allem logistische Probleme zu lösen», sagt Arsenije Grgur, Verwaltungsrat-Mitglied und CIO beim Vertial-Farming-Startup Greenstate mit Sitz in Winterthur. «Durch die lokale Produktion haben die Menschen die Möglichkeit, frische Lebensmittel nach dem Prinzip ‹vom Hof auf den Tisch› zu essen.» Darüber hinaus unterstütze die vertikale Landwirtschaft die CO₂-Reduktion durch geringere Transportkosten, den Verzicht auf Pestizide und den Verzicht auf gentechnisch veränderte Lebensmittel. Derzeit konzentrieren sich alle Vertical-Farming-Unternehmen aus Gründen der Produktionskosten und des operativen Cashflows auf Microgreens und schnell wachsende Produkte. «Aus diesem Grund haben wir bei Greenstate beschlossen, modulare und vertikale Landwirtschaft miteinander zu kombinieren, wobei viele landwirtschaftliche Produkte in einzelnen oder kombinierten modularen und vertikalen Einheiten angebaut werden können», sagt Grgur. Greenstate baut modulare vertikale Farmen, die in alte Fabriken, auf Dächer, in Hinterhöfe und in viele andere Orte passen. Um den Stromverbrauch in Grenzen zu halten, setzt man laut Grgur auf eine Kombination von Big Data und künstlicher Intelligenz. 

Zurzeit sei es für grosse Unternehmen nicht interessant, in die vertikale Landwirtschaft einzusteigen, da die Gewinnspannen sehr gering und die Produktionskosten hoch sind. «Sobald wir bestimmte kritische Punkte erreicht haben, die für grosse Unternehmen interessant sein könnten, um in den Markt einzutreten, werden sie dies durch uns mit verschiedenen Einstiegsstrategien tun», sagt Grgur. 

«Vielen Konsumentinnen und Konsumenten ist nicht bewusst, dass auch in einem Agrikulturland wie der Schweiz mehr als 50 Prozent der Lebensmittel im Bereich von Kräutern und Gemüse importiert werden», sagt Stefano Augstburger, Chairman und Chief Commercial Officer von Yasai in Zürich. «Da die Wettervolatilitäten immer extremer werden, vermindert Vertical Farming bei bestimmten Produktkategorien die Abhängigkeiten von Exportländern.» 

 

Geschlossene Systeme 

Ein weiterer Vorteil ist, dass man im geschlossenen System keine Pestizide einsetzen muss und mit einem sehr geringen Wasserverbrauch arbeiten kann, da das Wasser nicht im Boden versickert. «Da Vertical Farming eine Art industrielle Anlage ist und kapitalintensiv, rechnen sich – Stand heute – vor allem Produkte, die zu einem hohen Kilogrammpreis verkauft werden können.» Das sind laut Augstburger vor allem Pflanzen, die schnell wachsen, das heisst jene, die 10-bis 15-mal pro Jahr geerntet werden können. «Als ETH Spin-off sind wir im hochautomatisierten Bereich des Vertical Farming tätig», so Augstburger. «Wir konzentrieren uns eher auf Regionen mit wenig Platz, grosser Importquote und hohen Arbeitskosten.» Vertical Farming würde zukünftig in die Kreislaufwirtschaft von Smart Cities eingebunden und zu einem dezentralisierten, zirkulären Lebensmittelsystem beitragen.

Box

Bedarf in der Schweiz relativ gering

Marktpotenzial «Es gibt Startups, die das Thema Vertical Farming sehr gut angehen», sagt Ranka Junge, emeritierte Professorin der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit Forschungsschwerpunkt Ecological Engineering. Vertical Farming ist gemäss Junge ein Thema für Regionen, in denen die Feldkultivierung aus irgendeinem Grund nicht möglich oder erschwert ist. Allerdings ist selbst in den grössten Schweizer Städten der nächste Bio-Hof lediglich einige Minuten mit Verkehrsmitteln entfernt. Zudem stellt sich die Frage nach den Agrarprodukten, die man -anbauen will. Salate, Gurken, Peperoni – das kommt seit einigen Jahrzehnten von den Hors-sol-Kulturen aus den Niederlanden. «Vertical Farming ist im Grunde genommen das Gleiche», sagt Junge, «man stapelt die Anbauflächen in grossen Hallen und ergänzt das mit Infrastruktur und Technik.»

 

Recycling-Dünger Schliesslich stellen sich auch Fragen nach dem Licht- und Wärmebedarf. Der Energiebedarf der Anlagen könnte durch Verbindungen mit Abwärme-Produzenten oder Geothermie (wie beispielsweise in Island) gedeckt werden. «Es gibt auch bereits viel Forschung rund um das Thema künstliches Licht und die optimalen Spektren für das Pflanzenwachstum, dagegen ist die Forschung über die Handhabung der organischen oder Recycling-Dünger noch erst am Anfang», sagt Junge. Etliche Vertical-Farming-Firmen sind bereits gescheitert. «Es gibt sicher Platz für neue Modelle, aber viele sind nur sehr schwer realisierbar.»