Bei Wirtschaftsskandalen geraten oft auch die Abschlussprüferinnen und -prüfer in die Schlagzeilen. Man wirft ihnen vor, sie hätten deliktische Handlungen früher aufdecken sollen. Schadet das dem Image der Wirtschaftsprüferbranche?

Solche Schlagzeilen sind unschön und gehen nicht spurlos an der Branche vorbei. Aber seien wir ehrlich: Wirtschaftsskandale entstehen nicht generell, weil der Prüfer oder die Prüferin versagt hat. Dahinter verbergen sich oft kriminelle Energie, ein Versagen des Managements oder andere Umstände. Zwischen dem, was die Öffentlichkeit von der Abschlussprüfung erwartet, und dem gesetzlichen Auftrag und Handeln des Abschlussprüfers besteht eine Erwartungslücke. Sowohl diese als auch die Verantwortung der verschiedenen Akteure gilt es, transparent zu machen.

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Schrecken die laufend komplexeren Fragestellungen im Auditing junge Leute vom Berufseinstieg ab?

Im Gegenteil, gerade dieses spannende Aufgabenfeld scheint den Beruf speziell attraktiv zu machen: Wir stellen steigende Zahlen bei den Anmeldungen zum Lehrgang des diplomierten Wirtschaftsprüfers fest.

Alle Branchen sind derzeit mit dem Fachkräftemangel konfrontiert. Wie hart trifft es die Wirtschaftsprüferinnen, Steuerexperten und Treuhandspezialistinnen?

Die Unternehmen sind unterschiedlich vom Fachkräftemangel betroffen. Und wie viele andere Branchen sehen wir uns beispielsweise mit der Herausforderung konfrontiert, dass in den nächsten Jahren die geburtenstarken Generationen aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden.

Wie stellen Sie eine genügend hohe Rekrutierung für die verschiedenen Lehrgänge sicher?

Dem Berufsimage unserer Branche schenken wir grosses Augenmerk. Dazu gehören Informationen zu den Karrierechancen für potenzielle Einsteigerinnen und Einsteiger. Und unsere neu lancierten Lehrgänge sind flexibel und modular aufgebaut.

Expertsuisse engagiert sich im Verbund mit anderen Dienstleistungsbranchen schon seit Jahren für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten bei ihren Fachkräften. Sind die erreichten Fortschritte jetzt auch eine Chance zur Gewinnung von Berufsnachwuchs?

Das hilft sicher. Es wird sich zeigen, wie sich die neue Verordnung zum Arbeitsgesetz in den Bereichen Beratung, Wirtschaftsprüfung und Treuhand in der Praxis auswirkt. Wir sind überzeugt, dass qualifizierte und autonom arbeitende Wissensarbeiter diese Flexibilität zu schätzen wissen.

In der Ausbildung sind weibliche und männliche Studierende gemäss Expertsuisse gleichmässig verteilt. Trotzdem ist der Frauenanteil auf Kader- und Partnerstufe noch relativ niedrig. Wird sich das bald ändern?

Eine frühere Studie zeigt positive Entwicklungen bei der Zahl der weiblichen Führungskräfte. Aber selbstverständlich gibt es hier noch Luft nach oben. Damit in der Wirtschaftsprüfungsbranche mehr Frauen in Führungsfunktionen gelangen, müssen auch die politischen, gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Dafür braucht es Engagement von vielen Seiten – und Vorbilder.

Was macht eigentlich den Einstieg in die Wirtschaftsprüferbranche besonders attraktiv?

Interessante und komplexe Fragestellungen und eine damit verbundene steile Lernkurve. Und ganz wichtig: Der tiefe Einblick in das praktische Funktionieren der Wirtschaftswelt. Das fördert das konzeptionelle und analytische Denken, und junge Fachkräfte lernen, mit Arbeitsbelastung und Verantwortung umzugehen.

In der Öffentlichkeit wird vermehrt erwartet, dass die Abschlussprüferinnen und Abschlussprüfer ein Fehlverhalten ähnlich wie Forensiker aufdecken können. Wird eine solche Expertise verstärkt auch in den Ausbildungslehrgängen vermittelt?

Im Unterschied zur Abschlussprüferin wird der Forensiker dorthin gerufen, wo bereits ein Anfangsverdacht besteht. Er sucht dann so lange, bis er die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen findet. Der Wirtschaftsprüfer oder die Wirtschaftsprüferin geht mit einer kritischen Grundhaltung an die Aufgabe heran; es ist aber nicht das Hauptziel, irreguläre Aktivitäten aufzudecken. Er oder  sie prüft effizient und risikoorientiert – auch das Kontrollsystem. Mit digitalen Tools und künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich die Risikoanalyse und der Prüfprozess immer effizienter gestalten. In den Lehrgängen werden die notwendigen IT-Kenntnisse für die Datenanalyse vermittelt und – ganz wichtig – die kritische Grundhaltung geschärft.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung verändert sich auch das Anforderungsprofil. Wird das klassische Accounting-Wissen laufend mehr zurückgedrängt durch neue Kenntnisse im Bereich IT und KI?

Die Wissensvermittlung im Audit und Accounting vermindert sich deswegen nicht. Darauf baut letztlich das «Professional Judgement» des Revisors oder der Revisorin auf. Das Kernwissen wird jedoch ergänzt durch zusätzliche Kenntnisse im Bereich IT und KI.

Wie unterstützt Expertsuisse seine Mitgliedsfirmen im digitalen Veränderungsprozess und bei Fragen zur KI?

Wir haben verschiedene Unterstützungsangebote aufgebaut. Auch unsere Fachkommissionen beschäftigen sich intensiv mit diesen Themen. Ebenso wird in der Weiterbildung ein Fokus auf Fragen zur Digitalisierung gelegt.

Stefanie Specker, CEO EXPERTsuisse AG
Quelle: ZVG

Die Expertin

Name: Stefanie Specker
Funktion: CEO Expertsuisse
Alter: 44
Familie: verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Diplomierte Maschineningenieurin

Das Unternehmen Expertsuisse, der Expertenverband für Wirtschaftsprüfung, Steuern und Treuhand vertritt 10 000 Einzelmitglieder und 800 Mitgliedunternehmen. Zu den Hauptaufgaben gehören die Berufsbildung, die Herausgabe der Schweizer Prüfungsstandards und die politische Interessenvertretung.

In der EU kennt man seit diesem Jahr die Prüfpflicht für das Non-financial-Reporting. Welche Auswirkungen hat das für die Schweiz?

Wir sind davon überzeugt, dass die objektive Prüfung nicht finanzieller Informationen die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Berichterstattung stärkt. In der Schweiz lässt sich bei den SMI-Firmen bereits eine steigende Nachfrage in diesem Bereich beobachten. Die Branche baut das Know-how auf, um solche Prüfungen künftig durchführen zu können. Offen bleibt die Frage, ob die Schweiz die EU-Regelung übernimmt. Momentan warten wir auf die Vernehmlassung in diesem Sommer, wir wünschen uns aber eine vernünftige Regulierung mit Augenmass.

Bei uns wird vermehrt auf Compliance und Corporate Governance geachtet. Was für Aufgaben fallen dabei der Wirtschaftsprüfungsbranche zu?

Der «Swiss Code of Best Practice» gilt in diesem Bereich seit Jahren als Richtschnur. Der Nachhaltigkeitsthematik wurde bei der Überarbeitung grosse Bedeutung beigemessen – Expertsuisse hat hier entscheidend mitgewirkt. Auch die Rolle des Prüfers und der Prüferin wurde gestärkt. Ausschlaggebend ist dabei neben der Unabhängigkeit des Revisors und der Revisorin ebenfalls die Kommunikation mit den relevanten Stakeholdern.

Beim Austausch zwischen dem Audit Committee des Verwaltungsrates und dem externen Prüfer oder der externen Prüferin besteht noch Verbesserungspotenzial.

Diese Informationsasymmetrie gilt es abzubauen. Der Wirtschaftsprüfer oder die Wirtschaftsprüferin kann einen wichtigen Beitrag für diesen Prozess leisten. Im «Swiss Code of Best Practice» wurde genau dieser Wissenstransfer gestärkt.

Um die Unabhängigkeit der Abschlussprüfung zu fördern, wird auf eine striktere Trennung zwischen Beratung und Prüfung gedrängt. In Grossbritannien wird das bei den «Big Four» nun umgesetzt. Beeinflusst das auch die Regulierung in der Schweiz?

Dieses Thema taucht immer wieder auf. Wir beobachten die internationale Entwicklung sehr genau. Als Branche halten wir uns strikt an die nationalen Vorgaben und übernehmen international abgestimmte Standards. Ob sich die in Grossbritannien praktizierte Trennung zwischen Beratung und Abschlussprüfung bewährt, wird sich zeigen. Eine qualitativ gute Revision muss sich auch auf das Fachwissen aus anderen Bereichen abstützen können.

Expertsuisse hat jüngst die Positionierung auf Themen wie Beratung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Governance/Leadership ausgeweitet. Wie gestaltet sich das in der Praxis?

Um zu erfahren, was die Branche und ihre Kundschaft bewegt, führen wir regelmässig Mitgliederbefragungen durch. Die Resultate daraus lassen wir in unser Weiterbildungsangebot einfliessen. Neu haben wir auch eine Fachkommission etabliert, die sich dem Thema Nachhaltigkeitsberatung annimmt.

Mit der wachsenden Regulierung hat in der Branche eine Konsolidierung bereits begonnen. Wird sich diese Konzentration in den nächsten Jahren fortsetzen?

Ausgelöst wurde dies vor allem von den gestiegenen Anforderungen in der Ausbildung, Qualitätssicherung und in der Dokumentation. Um kosteneffizient zu arbeiten, braucht es Fokussierung. Dazu kommen die fortschreitende Digitalisierung und oft notwendige Lösungen bei der Nachfolgeregelung. Das wird vermutlich zu einer weiteren Bündelung der Kräfte führen.