Muss das Fenster oder das Lavabo unbedingt neu sein? Nein, sagen sich immer mehr Bauherren und Architekten und sehen sich auf einschlägigen Websites nach passenden Bauteilen um. Oftmals muss man schnell sein, denn Bodenfliesen oder WC-Schüsseln sind gefragt. Aus dem zweiten Leben für Bauteile ist ein Nischengeschäft entstanden. Die Bauteilbörse Basel bietet im Online-Shop Useagain.ch Raritäten und Alltägliches an.

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Etwa einen nostalgisch aussehenden Badmischer und die dazu passende freistehende Badewanne mit Löwenfüssen, Tondachziegel, Dachspitzen aus Kupfer, Türen, Türgriffe, Dunstabzugshauben oder Dekomaterial. Die Börse mit ihrem Ladengeschäft in Münchenstein ist zudem eine Vermittlungsplattform für Anbieter und Suchende von Bauteilen.

 

Verkauf am Bau

Die Online-Plattform Salza.ch führt ebenfalls Anbieterinnen und Käufer von gebrauchten Bauteilen zusammen. Sie bieten Teile von Bauten an, die noch nicht abgebrochen worden sind. «Wir verkaufen am Bau in Echtzeit, um die Kosten zu reduzieren», erklärt Architekt und Salza-Gründer Olivier de Perrot. So werden nur die Teile demontiert, die vor dem Abbruchtermin einen Käufer gefunden haben. Dank dieser «On demand»-Verkaufspolitik geht es ohne kostenintensive Zwischenlagerung. Über die Hälfte der angebotenen Artikel sind Sanitär- und Küchenkomponenten, aber auch weitaus grössere Teile wie ein neun Meter langer Holzleimträger konnten schon vermittelt werden. Oder eine ganze Fussgängerbrücke. Bauteile wie diese gäbe es eine ganze Menge, denn jedes Jahr werden hierzulande mehr als 3000 Bauten abgerissen. Aus dem Um- und Rückbau von Bauwerken fallen in der Schweiz laut einer Studie des Bundesamtes für Umwelt von 2020 pro Jahr über 17 Millionen Tonnen Bauabfälle wie Beton oder Ziegel an. Zwar werden davon gemäss Bundesamt für Statistik rund 70 Prozent wiederverwertet, der Rest landet auf Deponien. Doch wiederverwendet, also in andere Objekte eingebaut, wird dabei nur ein unmerklicher Teil.

Das ist eine relativ neue Wohlstandserscheinung. Während Jahrhunderten und in der Schweiz bis ungefähr 1930 war es ganz normal, Bauelemente von abgebrochenen Bauten nochmals zu brauchen. Es sei zentral, zwischen Wiederverwenden («Re-Use») und Wiederverwerten («Recycling») zu unterscheiden, sagt Marvin King, Architekt und Projektleiter am Institut für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern. Beim Recycling gehe es lediglich um die Rückführung des Abbruchmaterials in den Ressourcenkreislauf. Mit dem Wiederverwenden von Bauteilen könnte man hingegen auch viel graue Energie einsparen. Die meisten Dachziegel würden zum Beispiel nochmals fünfzig Jahre halten. Aber: Man müsste sie einzeln herunternehmen, prüfen, abbürsten und akkurat zwischenlagern. «Das kostet drei- bis viermal so viel. In der Baupraxis ist es einfacher, sie zu entsorgen und neue Ziegel zu bestellen», sagt King.

In den Beneluxländern gibt es teilweise auf normalen Baumärkten gebrauchte Türklinken zu kaufen. «Das ist ein kultureller Unterschied; in der Schweiz ist alles viel cleaner», hält er fest. Als Mitglied der Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen und Erneuern der Hochschule Luzern weiss King aber auch, dass der grösste Hebel der Verzicht wäre und dass das grünste Gebäude jenes ist, das man nicht baut. Wiederverwendete Bauteile sind ein Anfang, aber: «Mit der Holzsockelleiste, die wir wiederverwenden, kann man nicht die Welt retten.» Trotzdem sind seiner Ansicht nach Leuchtturmprojekte wie etwa die Halle 118 in Winterthur relevant.

Vorher Fassade, jetzt Gehbelag

Dort hat das Zürcher Baubüro In Situ in Kooperation mit der ZHAW eine bestehende Lagerhalle im Jahr 2021 um drei Etagen aufgestockt. Es wurden möglichst viele wiederverwendete Bauteile eingebaut, beispielsweise die Stahlträger, die Aussentreppe oder die Gehbeläge aus Granit, die ursprünglich Fassadenplatten waren. So verringerte sich der ökologische Fussabdruck des Baus um 60 Prozent gegenüber einem vergleichbaren konventionellen Neubau. Eine solche Bauweise erfordert eine bedeutend andere Planung, denn sie beginnt mit der Materialsammlung und verändert sich im Laufe der Suche stetig. Was hier bei diesem Vorzeigeobjekt von einem Büro mit spezialisierten «Bauteiljägerinnen» durchexerziert wurde, lässt sich wohl nicht einfach eins zu eins auf alle herkömmlichen Projekte übertragen. Aber es kann als Inspiration dienen.

«Juristisch gesehen sind wiederverwertete Bauteile zuvor Abfall», erklärt King. Auch erschwere das Thema der Gewährleistung die ganze Angelegenheit zusätzlich. Dennoch sieht er für die Wiederverwendung von Bauteilen eine Zukunft. Erstens, weil es ein grosses Umdenken gerade bei der jungen Generation gibt, was die Themen Wiederverwendung von Materialien angeht. Zweitens, weil Bauteile mit einem früheren Leben seiner Ansicht nach eine soziale Komponente haben: «Eine kunstvoll geschreinerte Tür oder hochwertige Keramikfliesen sorgen für mehr Behaglichkeit und Wohnqualität bei den Bewohnern.» Darüber würden sie sich jeden Tag erfreuen – Faktoren, die in diesem Bereich nicht zu unterschätzen sind.