Sein Mentor war Carl June. Der Onkologe am Kinderspital von Philadelphia schrieb 2012 Medizingeschichte, als er der damals siebenjährigen, unheilbar an Leukämie erkrankten Emily Whitehead mit einer experimentellen Therapie das Leben rettete. Dabei wurden T-Zellen aus dem Blut des Mädchens entnommen und so modifiziert, dass sie in der Lage waren, den Krebs zu bekämpfen. Nun, mehr als zehn Jahre später, ist George Coukos Herr über das bedeutendste Zelltherapie-Programm Europas. Er ist Chef des Departments für Onkologie am Lausanner Unispital und Direktor des Ludwig Institute for Cancer Research, einer der rennomiertesten Adressen für Immunonkologie.

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Sie sind 2012 von Philadelphia in die Schweiz gekommen. Wie kam es dazu? Oft ist es andersrum bei Biotech. Die Leute gehen in die USA
George Coukos: Ich hatte in Lausanne die Möglichkeit, ein Weltklasse-Programm in der Onkologie auf die Beine zu stellen, mit einem Fokus in Zelltherapie. Das Waadtländer Universitätsspital CHUV und der Kanton Waadt hatten die Ambition, etwas wirklich Grosses zu schaffen, und Geld zu investieren. Denn die Investitionen sind beträchtlich. Dazu kam, dass die kritische Masse hier in Lausanne vorhanden ist. Das Umfeld stimmte, nicht nur mit dem CHUV, sondern auch mit dem Ludwig Institut, einer führenden Institution auf dem Gebiet der immunonkologischen Forschung, und der ETH Lausanne mit ihrer Expertise in Data Science und Mathematik. Wir haben hier sehr viele gut ausgebildete Leute. 

Ist das CHUV auf Sie zukommen?
Ja, denn ich hatte keine Absicht, die USA zu verlassen. Ich war sehr glücklich und sehr erfolgreich an der University of Pennsylvania, meine Familie fühlte sich wohl. Doch dann brachten sie mich in Lausanne dazu, darüber nachzudenken. 

Wie haben Sie sich hier eingelebt?
Sehr gut, ich liebe das Land und seine Kulturen. Die Lebensqualität ist ausgezeichnet. Ich kann hier klinische Forschung und Entwicklung auf höchstem Niveau betreiben. Gleichzeitig habe ich nur eine Viertelstunde, um zur Arbeit zu pendeln, und bin von zu Hause aus in zwei Minuten auf dem Lande beim Joggen oder beim Biken. So muss ich nicht alles ins Auto packen und eine Stunde fahren, bis ich im Grünen bin. Das ist grossartig.

Worum geht es bei der neuen Krebstherapie, an der Sie arbeiten?
In den meisten Tumoren finden sich Lymphozyten in grosser Konzentration. Die Lymphozyten sind so etwas wie die Soldaten des Immunsystems, die alles killen, was dem Körper gefährlich werden kann. Die Lymphozyten in den Tumoren aber sind zu schwach und haben eine zu geringe Reichweite, um den Krebs bekämpfen zu können. Wir modifizieren und vermehren diese ausserhalb des Körpers, so dass sie in der Lage sind, den Tumor zu bekämpfen. Dabei entwickeln wir aus Millionen von Zellen Milliarden von Zellen. Wir machen eine Art Immuntransplantatation, das heisst, wir entnehmen dem Körper einen Teil seines Immunsytems, stärken und vermehren es, und geben es ihm wieder zurück. Das Verfahren nennt sich NeoTIL, wobei «TIL» für Tumor Infiltrating Lymphocytes steht. Das ist die nächste Generation der TIL-Therapie. 

Worin besteht der Fortschritt?
Wir arbeiten mit hoch angereichertem Lymphozyten, die spezifisch Krebs erkennen und die Mutationen, die der Krebs macht. Es handelt sich um eine vollständig personalisierte Neuprogrammierung des Immunsystems. Zudem soll die Methode sehr sicher sein, weil die so modifizierten Lymphozyten nur die Tumorproteine erkennen und angreifen und nicht die Proteine, die sonst im Körper vorhanden sind. Das ist der Trick. Das alles zu entwickeln hat uns acht Jahre Arbeit gekostet. 

Zelltherapie-Pionier George Coukos: Von Philadelphia nach Lausanne

George Coukos: Zelltherapieforscher der ersten Stunde. 

Quelle: ZVG

Ist das CHUV der einzige Ort, an dem solchen Therapien entwickelt werden?
In den USA gibt es ein weiteres Zentrum an den National Institutes of Health, das ähnliche Ansätze verfolgt. Aber was wir machen, macht so niemand sonst. Es ist eine Weltpremiere, was sehr aufregend ist. Das ist das Tolle daran, hier in der Schweiz zu sein. Wir haben uns das vorgenommen und jetzt ist es gelungen.

Vor ein paar Wochen haben Sie den ersten Patienten behandelt. Wie geht es ihm?
Ich kann nicht in die Details gehen, das ist vertraulich. Aber es geht ihm gut. Im Juni haben wir eine Studie über Behandlungen mit TIL-Therapien der ersten Generation publiziert.46 Prozent der Patienten mit einem Melanom sprachen auf die Therapie an. Wir hoffen, dass wir mit unserem NeoTIL-Ansatz noch bessere Resultate erreichen.

Was ist der Unterschied zwischen CAR-T, der ersten Generation von Zelltherapien, die unter anderem Novartis unter dem Namen Kymriah vertreibt, und Ihrem Ansatz?
Bei der CAR-T-Therapie werden die Zellen mit einem künstlichen Rezeptor ausgestattet, damit sie den Tumor erkennen und bekämpfen können. Wir aber arbeiten mit natürlichen Zellen. Das ist sehr sicher. Zudem: CAR-T funktioniert sehr gut bei Leukämiepatienten, weil sich die Krebszellen im Blut einfacher identifizieren lassen. Das ist bei festen Tumoren wie zum Beispiel einem Lungenkarzinom anders. Eine CAR-T-Therapie würde hier sehr viel mehr Schaden anrichten. 

Und wie funktioniert Ihre Therapie konkret?
Wir isolieren Lymphozyten direkt aus dem Krebs, sei es durch eine Biopsie oder durch einen chirurgischen Eingriff. Dann werden die Zellen kultiviert und multipliziert und wieder in den Körper des Patienten zurückgegeben.

Und das passiert alles hier in Lausanne?
Ja. Das war Teil des Commitments des Kantons Waadt. Wir verfügen hier über die grösste universitäre Produktionsanlage für Zelltherapien Europas. Wir sind sehr stolz auf das, was wir erreicht haben. Nun hoffen wir, dass wir mit Universitätsspitälern, auch in der Deutschschweiz zusammenarbeiten können. 

Sie beweisen gerade, dass Zelltherapien im universitären Rahmen entwickelt und durchgeführt werden können. Gleichzeitig haben Pharmaunternehmen wie Novartis sehr viel in Produktionsanlagen für Zelltherapien investiert. Wie sehen Sie die Arbeitsteilung zwischen den Spitälern und den kommerziell orientierten Unternehmen bei den Zelltherapien
Es braucht beide Seiten. Es braucht die akademischen Einrichtungen für die frühe Entwicklung und es braucht die grossen Pharmaunternehmen für die grossen klinischen Studien, um die Therapien möglichst breit zugänglich zu machen. Auch wir werden einen Pharmakonzern als Partner brauchen, sollte unsere Technologie erfolgreich sein. Wir können die Schweiz mit Zelltherapien versorgen, aber wir können dies nicht weltweit tun. 

Wie geht es nun weiter?
Wir testen ständig neue Therapien. Unser Ziel ist es, neue Technologien zur Bekämpfung von Krebs zu entwickeln und der Bevölkerung zugänglich zu machen. Bis jetzt kommen Zelltherapien nur bei einem Bruchteil der Krebspatienten zum Einsatz. 

Geht es um neue Behandlungsoptionen für Patienten, die mit herkömmlichen Therapien wie Chemotherapien oder Antikörpertherapien nicht erfolgreich behandelt werden können, oder geht es darum, diese zu ersetzen?
Es geht um Krebserkrankungen, die behandelt werden können, bei denen es bis jetzt  keine Heilung gibt. Nehmen wir das Beispiel von Hautkrebs, wo Steve Rosenberg vor zwanzig Jahren die ersten Gehversuche mit Zelltherapien machte. Hautkrebs kann in 20 bis 30 Prozent der Fälle so gut behandelt werden, dass die Patienten keine weiteren Therapien mehr brauchen. Für die anderen Patienten aber gibt es keine Optionen mehr. Und das ist der Moment, wo wir ins Spiel kommen und sagen: Lasst und das versuchen. Und wenn es gut funktioniert, dann können Zelltherapien auch früher angewendet werden. Das ist das, was jetzt bei CAR-T passiert: Die Patienten werden früher damit behandelt, anstelle einer Stammzellentherapie. 

«Die Prozesse brauchen sehr viel Personal. Das kostet.»

Für welche Tumorarten kommt Ihre Technologie in Frage?
Wir haben mit Lungenkrebs begonnen. Magen- und Darmkrebs interessiert uns sehr und wir werden auch Gebärmutterhalskrebs einschliessen, ein Krebs, an dem vor allem junge Frauen leiden. Und wir arbeiten daran, unsere Technologie für die Behandlung von Nacken- und Kopfkrebs zu adaptieren, Krebserkrankungen, die ebenfalls vor allem junge Menschen betreffen. Wir planen unser Programm auf möglichst viele Krebsarten ausdehnen zu können.

Wie sieht Ihr Zeitplan aus? Wann werden Ihre Therapien breit zu Verfügung stehen?
Wir machen nun eine klinische Studie der ersten und zweiten Phase kombiniert, die nächstes Jahr fertig sein sollte. 

Was kosten die Behandlungen?
Ein paar hunderttausend Franken. Die Prozesse brauchen sehr viel Personal. Das kostet. Später werden wir schauen, wie wir die Prozesse automatisieren und optimieren können. Doch dafür ist es jetzt noch zu früh.

Sie waren dabei, als Carl June 2012 am Kinderspital von Philadelphia Emily Whitehead eine der ersten Zelltherapien überhaupt durchführte. Das Mädchen war sieben Jahre alt und litt unheilbar an einer besonders aggressiven Form von Leukämie. Heute ist sie ein gesunder Teenager. Was braucht es, damit so etwas möglich wird?
Emily Whitehead hatte nach der Behandlung Interleukin-Werte, die tausendmal über dem lagen, was normal ist. Das kam daher, weil ihr Immunsystem derart ausser Rand und Band war. Sie lag tagelang auf der Intensivstation und wir wussten nicht, ob sie überleben würde. In solchen Situation rennen Sie gegen das Unbekannte an. Das geht nur im Team. Inzwischen wurden Wege gefunden, um die Reaktion des Immunsystems in Schach zu halten.

Die Therapie, die damals Emily Whitehead das Leben rettete, wird nun von Novartis vermarktet. War das für Sie nie ein Thema, die Universität hinter sich zu lassen und in die Industrie zu gehen?
Nein, niemals. Ich liebe das akademische Umfeld, die Forschung und den Kontakt zu den Patienten. Das alles gibt es in der Industrie viel weniger. Aber klar ist auch: Die pharmazeutische Industrie ist ein wichtiger Teil des Systems.