Viele Versicherte schlucken leer. Denn die Versicherungsausweise, die vor kurzem bei ihnen ins Haus geflattert sind, enthüllen völlig Unbekanntes. Etliche Arbeitnehmer haben viel mehr Geld im so genannt «überobligatorischen» Topf als im «obligatorischen» Topf, auch «BVG-Geld» genannt. «Überobligatorisch» ist eben viel mehr, als die meisten ahnen. Doch «überobligatorisches» Geld bedeutet vielerorts: Weniger Rente, weniger Zins. Für die Vorsorgeeinrichtungen handelt es sich dabei nicht um «Peanuts»: Weit mehr als die Hälfte der Gelder der beruflichen Vorsorge werden «überobligatorisch» definiert. Wer hier weniger grosszügig ist, spart Millionen.

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Entgegen dem gesunden Menschenverstand braucht das obligatorische Gefäss nicht erst gefüllt zu werden, um das überobligatorische zu äufnen. Die Terminologie führt in die Irre: Arbeitnehmer können gar Null Franken im Obligatorium haben, und 300000 Fr. im Überobligatorium. Vor allem betroffen sind kleine Einkommen und Frauen.

Die Trennung in die beiden Töpfe hat das Gesetz der beruflichen Vorsorge (BVG) immer schon zugelassen. Die Kassen reden in diesem Zusammenhang von «Schattenrechnung». Eine Trennung der Vorsorgegelder im Schatten der Aufmerksamkeit, ohne reale Auswirkung also, weil für beide Töpfe gleiche Bedingungen galten. Doch damit ist Schluss: Vor allem Versicherungsgesellschaften wenden seit kurzem verschiedene Umwandlungssätze an damit werden die Renten berechnet und verzinsen die Töpfe nicht mehr gleich. Auf dem überobligatorischen Geld gibt es weniger Rente und weniger Zins.

Splitting führt zu willkürlichen Grenzen

Doch dieses «Splitting» ist finanzökonomisch unsinnig, verursacht Rechtsunsicherheit auf einem Gebiet, das sowieso kaum mehr durchschaubar ist, und widerspricht dem Freizügigkeitsgesetz.

Ökonomisch ist das «Splitting» erstens widersinnig, weil beide Töpfe die gleiche Rendite erzielen, kritisiert zum Beispiel Martin Freiburghaus, Pensionskassenleiter der Veska Pensionskasse. «Es ist nicht einzusehen, wieso Personen mit mehr überobligatorischem Geld jene mit mehr BVG-Kapital subventionieren sollen.» Schliesslich würden die Aktien, Obligationen und Immoblien auch nicht in «obligatorische» und «überobligatorische» Kapitalanlagen aufgeteilt.

Zum zweiten führt das Vorsorge-Splitting zu willkürlichen Grenzziehungen, kafkaeken Resultaten und letztlich zu Diskriminierungen, weil gesetzliche Grundlagen in vielen Bereichen fehlen:

- Fall Nummer zwei: Im Scheidungsfall wird das Vorsorgekapital geteilt. Dieses Scheidungsgeld fliesst bei der Winterthur zum Beispiel aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmungen in den überobligatorischen Topf. Dies selbst dann, wenn ein Teil des Geldes aus dem BVG-Topf des Ex-Partners kommt. Aus obligatorischem Geld wird überobligatorisches. Dies ist stossend, weil gerade viele Frauen keine oder nur eine sehr kleine 2. Säule haben und darauf angewiesen wären, dass ihr Vorsorgegeld fair verzinst wird.

- Fall Nummer drei: Wollen Arbeitnehmer das Loch aus einer früheren Scheidung wieder stopfen, müssen sie nachweisen, welchem Topf das Geld bei der Scheidung entnommen wurde. Das ist oft nicht möglich, weil Jahre vergangen sind, Stellenwechsel dazwischen liegen und dem «Problem» früher auch niemand Beachtung schenkte.

- Fall Nummer vier: Das Gesetz über die Wohneigentumsförderung kennt kein «Splitting». Wer früher Geld bezogen hat, dieses zu einem späteren Zeitpunkt wieder einzahlen will, läuft Gefahr, dass seine Einzahlung als «Einmaleinlage» betrachtet wird und ins überobligatorische Töpfchen wandert.

- Fall Nummer fünf: Kleine Einkommen subventionieren Gutverdienende: Viele Arbeitgeber haben in der Vergangenheit Kleinverdiener oder Teilzeitangestellte, die weniger als den BVG-Minimallohn von 25320 Fr. in der Lohntüte nach Hause tragen, freiwillig in der 2. Säule versichert. Mit dem «Splitting» werden diese Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zu schäbig verzinsten Guthaben «zweiter Klasse», weil «überobligatorisch». Denn nicht nur Löhne über 75960 Fr., sondern auch solche unter 25320 Fr. sind eben überobligatorisch. Kleine Einkommen, die im stärksten Masse auf die 2. Säule angewiesen sind, werden durch das «Splitting» diskriminiert.

Und zum dritten: Das Freizügigkeitsgesetz lässt eine Trennung in verschiedene Verzinsungen gar nicht zu. Das Gesetz postuliert glasklar: Wer Geld in eine Kasse einbringt, diese einige Jahre später wieder verlässt, kann darauf beharren, dass das ganze damals eingebrachte Kapital mit dem Mindestzins verzinst wieder mitgegeben wird. Egal, in welchem Topf wie viel steckt. Keine Versicherung würde einen Rechtsstreit diesbezüglich wagen. Nur: Wissen die Versicherten überhaupt, was ihnen zusteht? Wohl kaum. Bei der Zürich wird versichert, trotz «Splitting» gesetzeskonforme Austrittsleistungen zu bezahlen. «Dies obwohl es sachlich falsch ist, den Mindestzins auch im Überobligatorium anzuwenden», präzisiert Sprecher Peter Sommer. Einige Versicherungen, darunter die National, verzichten bewusst auf das «Splitting», weil das Freizügigkeitsgesetz dazu im Widerspruch steht.

Unterschiedliche Behandlung ist stossend

Hinter den Kulissen bemüht sich die Versicherungslobby allerdings bereits heftig darum, eine Abänderung des Freizügigkeitsgesetzes zu bewirken. Jürg Brechbühl, Chef im Bundesamt für Sozialversicherungen, bestätigt, dass die Forderung, im Freizügigkeitsgesetz nicht mehr auf den Mindestzins, sondern auf den individuellen Zins der Kasse abzustützen, gestellt wird. Das von Arbeitnehmern eingebrachte Kapital müsste damit nicht mehr mit dem Mindestzins verzinst werden. Die Verzinsung könnte bei jeder Kasse anders, sprich tiefer sein.

Die Beispiele machen deutlich: Die unterschiedliche Behandlung der Töpfe in der 2. Säule ist unsäglich, führt zu unnötiger zusätzlicher Komplexität und ist in vielen Verordnungen und Gesetzesartikeln nicht vorgesehen.

Für einmal sind aber nicht die Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen diese nutzen den rechtsfreien Raum höchstens aus schuld am Fiasko, sondern die Politik. Sie hat es erstens nicht geschafft, die rechtlichen Grundlagen der 2. Säule aufeinander abzustimmen, zweitens den Umwandlungssatz innert angemessener Frist auf einer vernünftigen Höhe zu fixieren, und drittens Regeln für den Mindestzins zu erlassen, welche die 2. Säule für alle Mitspieler berechenbar machen. Das Parlament täte gut daran, die Rahmenbedingungen in der beruflichen Vorsorge so zu gestalten, dass mit dem «Splitting» aufgeräumt wird. Schafft sie das nicht, so ist das Obligatorium frankenmässig zu beziffern. So könnten die ersten 400000 Fr. als «obligatorisches» Geld behandelt werden, und jeder darüber liegende Franken wäre «überobligatorisch». Eine solche Lösung wäre für den gesunden Menschenverstand immerhin nachvollziehbar und gewährte, dass die ersten 400000 Fr. jedes Versicherten gleich behandelt würden.

2. Säule: Die zwei Töpfe

Das ist «obligatorisches» Geld (=BVG Geld) Das ist «überobligatorisches» Geld

auf Löhnen zwischen 25320 Fr. und 75960 Fr. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge auf Löhnen über 75960 Fr.

Ev. Zins auf obigen Beiträgen

Freizügigigkeitsleistungen, die nicht ausdrücklich als «obligatorisch» bezeichnnet werden

Einmaleinlagen

Scheidungsgeld/Rückzahlung von ausbezahltem Scheidungsgeld



Quellen: Verschiedene Versicherungen