Der selbstfahrende Zug ist der ganze Stolz von SBB-Chef Andreas Meyer. Vor rund einem Jahr stand er persönlich im Führerstand auf der Strecke Bern-Olten. Es war die erste Fahrt eines Doppelstockzuges, der automatisch beschleunigt und abbremst. Die Technologie soll dabei helfen, das Schienennetz besser auszulasten. Bis zu 30 Prozent mehr Verkehr soll die Infrastruktur dank Automatisierung stemmen können.

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Den Lokführern ist das Gerede über Computer-Züge allerdings ein Dorn im Auge. Sie fürchten um die Attraktivität ihrer Arbeit. Wie ein «Damoklesschwert» hänge die Automatisierung über ihren Köpfen, schreibt ein Lokführer in der internen Publikation «Locofolio». Es gäbe eine «spürbare Verunsicherung» beim Personal – und die wirke bei der Rekrutierung von neuen Anwärtern «nicht gerade förderlich».

«Uns wurde bestätigt, dass nicht einmal mehr die Räume für Informationsabende zur Lokführerausbildung mit Interessierten gefüllt werden können», schreibt auch Hubert Giger, Präsident des Verbands Schweizer Lokomotivführer. Die SBB habe begonnen, die Suche nach fähigen Arbeitnehmern auf das benachbarte Ausland zu erweitern. In der Westschweiz sei bereits die Mehrheit der Klassen mit französischen Kollegen gefüllt.

«Die Attraktivität des Berufes und somit seine Marktfähigkeit muss merklich erhöht werden», fordert Giger. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, sollen die SBB die Löhne anheben, rät er den Verantwortlichen in der Konzernzentrale.

Mehr Lohn in Deutschland

Die Staatsbahn hat den Ruf gehört. Die Cargo-Tochter in Deutschland verspricht neuen Lokführern eine Sonderzulage von 500 Euro pro Monat. «Zusätzlich auf das Tarifentgelt – jeden Monat – bedingungslos», heisst es in einem Job-Inserat, das seit einigen Wochen kursiert (siehe Bild). Mit der Aktion soll die Lücke von 50 Lokführern gefüllt werden, die auf der Nord-Süd-Achse fehlen.

Inserat von SBB Cargo Deutschland
Quelle: facebook

Die Sonderzulage kommt einer Lohnerhöhung von fast 20 Prozent gleich. Das Einstiegsgehalt bei SBB Cargo Deutschland liegt seit den Tarifverhandlungen im letzten Jahr bei 3056 Euro – bei einer 39-Stunden-Woche. Das war seinerzeit bereits eine Erhöhung um über 300 Euro.

Gleichzeitig hat die Schweizer Staatsbahn damals weitere Zugeständnisse gemacht – so etwa eine Erhöhung des Urlaubsgelds, eine Ausweitung des Zuschlags für Nachtarbeit und ein Ausbau der arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altervorsorge.

Grosses Echo auf Sonderzulage

«Wir sind mit der Aktion sehr zufrieden», sagt SBB-Sprecher Raffael Hirt dazu. «Die Anzahl eingegangener Bewerbungen hat sich kurzzeitig vervierfacht und hält nun auf doppelt so hohem Niveau an.» SBB Cargo habe deshalb in Deutschland seit Jahresbeginn schon mehr neue Mitarbeitende angestellt als im ganzen Jahr 2018. Rund 150 Bewerbungen seien eingegangen, seit die Sonderzulage versprochen wird. Knapp die Hälfte sei eingestellt worden oder würde sich im Einstellungsprozess befinden, heisst es weiter.

Für zu besetzende Stellen in der Schweiz setzt die SBB derweil auf ausländisches und zugemietetes Personal statt auf monetäre Anreize. Im Raum Freiburg-Stuttgart wurden Ende des letzten Jahres Online-Stelleninserate für Jobs in der Schweiz geschaltet und auf Social Media beworben, weil die Staatsbahn laut eigenen Aussagen trotz grossflächigem Marketing nicht genügend Kandidaten im Inland fand. Bis zu 200 Lokführerjobs muss die SBB jedes Jahr neu besetzen.

Lokfuehrer waehrend der Testfahrt eines Schnellzuges mit neuem Assistenzleitsystem fuer Lokfuehrer am Dienstag, den 5. Dezember 2017, auf der SBB-Bahnstrecke zwischen Bern und Olten. (KEYSTONE/Christian Merz)

Lokführer während der Testfahrt eines Zuges mit neuem Assistenzleitsystem im Dezember 2017: Chef Andreas Meyer fuhr mit.

Quelle: © KEYSTONE / CHRISTIAN MERZ

«Die Kampagne in Deutschland lief bis Mitte Januar 2019», sagt Hirt. «Weitere Aktionen sind derzeit nicht geplant.» Rund 40 Personen hätten Interesse angemeldet und nach weiteren Informationen gefragt, darunter auch Personen aus Frankreich. «In der Westschweiz rekrutieren wir jedes Jahr Kandidaten aus Frankreich», so Hirt.

Mietpersonal im Lokführerstand

Was die Situation beim Mietpersonal angeht, beschwichtigt der SBB-Sprecher, dass nur ein Bruchteil des gesamten Personals zugemietet sei. Pro Tag seien maximal 15 Lokführer im Personen- und Güterverkehr von einer Drittfirma zugemietet. Gesamthaft stünden 3500 Lokführer im Sold der Staatsbahn.

Die Zahl der Leih-Arbeiter nahm in den letzten Jahren stets zu, Gewerkschaften haben diesen Punkt öfters bemängelt. Das Leih-Personal dient in erster Linie dazu, Engpässe ohne grosse Formalitäten zu überbrücken. Die Angestellten unterstehen nicht dem Gesamtarbeitsvertrag der SBB oder SBB Cargo, sondern sind angestellt von Bahnpersonalanbieteren wie der Basler Firma MEV Schweiz oder dem Thaynger Unternehmen Eisenbahndienstleister.

Wie stark die SBB aktuell auf diesen Kniff angewiesen ist, zeigt eine Ausschreibung der Divison Personenverkehr vom letzten Sommer. Vier Offerten für Leihpersonal gingen ein – alle vier Firmen haben den Zuschlag erhalten. Um der Tendenz entgegenzutreten, haben die SBB nun den Rekrutierungsprozess optimiert. Neues Personal soll schneller eingestellt werden können. «Für die Klassen, die diesen Sommer starten, gibt es bereits über 500 Bewerbungen», sagt Hirt.

Notstand im Führerstand bei BLS und SOB?

  • Die Nummer zwei im Schweizer Schienenverkehr bestätigt: «Engpässe gibt es auch bei uns.» Gleichzeitig heisst es: «Die Lage ist bei der BLS nicht akut.» Die BLS habe die Zahl der Ausbildungsplätze für angehende Lokführende erhöht. «So können wir nach wie vor alle Lokführerstellen selbst besetzen.» Eine Ausnahme sei die Tochter im Gütergeschäft: «BLS Cargo kauft bewusst einen Teil der Lokführerleistungen bei Drittanbietern ein.» So könne das Unternehmen flexibler auf Marktschwankungen reagieren.»
     
  • Bei der SOB bestehe «weder aktuell noch mittelfristig» ein Notstand im Führerraum, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Das Rekrutieren bleibt aber eine Herausforderung. 40 Lokführer braucht die SOB zusätzlich, um alsbald die Gotthard-Berglinie in Kooperation mit der SBB zu betreiben. Der Zulauf sei gross, heisst es aus der St. Galler Zentrale. Obschon man nicht aktiv den Mitbewerbern im Schienenverkehr die Lokführer abwerbe, weil das «für die Branche nicht zielführend» sei, hätten diverse Zugführer zur SOB gewechselt. Das sei eine «positive» Überraschung.