Bevor er die Tür des Reisebusses öffnet, schwört Frank Rolfe die Seminarteilnehmer noch einmal ein. «Denken Sie daran, das ist kein Zoo!» Er sei mal mit einer Gruppe durch eine Wohnwagensiedlung gelaufen. Einer der Teilnehmer habe sich lautstark über einen besonders heruntergekommenen Wohnwagen lustig gemacht. «Welcher Loser kann sich denn nicht mal eine Eingangstür leisten?», habe der gesagt. «Der Loser stand direkt hinter ihm.» 56 Männer und Frauen nicken bestimmt, einige machen sich sogar Notizen. Botschaft angekommen: kein Zoo. Okay.

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Die Gruppe steigt aus dem Bus. «Erster Halt: Riverpoint Trailer Park», ruft Rolfe. Der Name klingt hübscher, als die Realität aussieht. Direkt neben einer Bahntrasse stehen die 35 Trailer des Parks dicht an dicht.

An den Metallwänden der Wohnwagen blättert die Farbe ab, in manchen klaffen Rostlöcher, notdürftig mit Klebeband geflickt. Die Fenster der containerartig aussehenden Trailer sind mit verblichenen Gardinen oder alten Betttüchern verhängt. Einige Bewohner haben die Tristesse mit Gartenzwergen, Engelsfiguren oder Sternenbannern versucht zu verschönern.

In drei Tagen zum Trailer-Park-Investor

Es ist Tag zwei von Rolfes «Mobile Home University Boot Camp». Jeden zweiten Monat veranstaltet der 53-Jährige in dem schlecht sitzenden Anzug das dreitägige Intensivseminar. Für 1999 Dollar bringt er wohlhabenden Amerikanern aus dem ganzen Land bei, wie man zu einem erfolgreichen Trailer-Park-Besitzer wird.

Die Gewinnmargen dieser schäbigsten aller Immobiliensegmente seien gewaltig, verspricht Rolfe: «Wenn Sie es richtig anstellen, können Sie Ihren Einsatz innerhalb von vier Jahren verdoppeln.»

Rolfe weiss, wovon er spricht. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Dave Reynolds hat er in den vergangenen 18 Jahren insgesamt 100 Millionen Dollar in Trailer-Parks investiert. Aktuell gehören den beiden rund 100 Wohnwagensiedlungen in 16 Bundesstaaten der USA.

Rolfe könnte sich also durchaus bessere Kleidung leisten, aber er mag es gern sparsam. «Meine Anzüge kaufe ich ausschliesslich bei Ebay, mehr als 50 Dollar gebe ich dafür nicht aus», sagt er. Millionär ist er trotzdem und will seinen Seminarteilnehmern helfen, auch das grosse Geld zu machen.

Teilnehmer wollen ihr Geld mehren

Die meisten der Teilnehmer haben eigentlich schon Geld, sie wollen es nur mehren. Ärzte, Anwälte, Investmentbanker, Unternehmer, aber auch viele Rentner finden sich in der Gruppe. Einer von ihnen, Leon Trammell, 81, erzählt freimütig, dass er seine Maschinenbaufirma für vier Jahren für 25 Millionen Dollar verkauft hat.

Seither wohnt er mit seiner Frau in einer Villa in Palm Beach, Florida. «Von den niedrigen Zinsen, die es derzeit bei der Bank gibt, kann man ja nicht leben», sagt Trammell. Als er von Rolfes Seminar las, habe er gleich den nächsten Flug gebucht.

Dieses Mal findet das «Boot Camp» in Chicago statt. Am ersten Tag sass die Gruppe acht Stunden in einem Konferenzhotel und paukte Theorie: Wie findet man vielversprechende Parks? Wie bewertet man sie richtig? Wie verhandelt man mit den Eigentümern? Wie bekommt man die Finanzierung von Banken? Wie managt man den Park anschliessend effizient? Das alles steht auch in dem 400 Seiten dicken Buch, das Rolfe seinen Teilnehmern auf den Weg gibt.

Heute jedoch soll es um die Praxis gehen. Rolfe stellt Paul Kats vor. Der weisshaarige, elegant gekleidete Mann ist der Besitzer des Riverpoint Parks. Bis vor Kurzem war er Geschäftsführer einer Arztpraxenkette, in der Frührente versucht er sich als Trailer-Park-Investor.

Hohe Renditen sind möglich

2012 habe er Riverpoint für 250'000 Dollar gekauft, erzählt Kats. Zwei Jahre später habe er schon fast zwei Drittel seines Investments wieder eingenommen. «Ein sehr gutes Geschäft», lobt Rolfe.

Möglich war das, weil Kats die Mieten für die Stellplätze von 310 auf 400 Dollar monatlich erhöht hat – eine Steigerung um 29 Prozent. Die Seminarteilnehmer nicken anerkennend.

Rolfe hatte ihnen am Vortag schon erklärt, was das Beste am Dasein eines Trailer-Park-Besitzers ist: «Sie haben die Mieter völlig in der Hand.» Mehr als 20 Millionen Amerikaner wohnen in Trailer-Parks. Die meisten von ihnen, weil sie schlicht nirgendwo anders hinkönnen.

Seit dem Platzen der Immobilienblase und der Finanzkrise sind die Zeiten vorbei, in denen auch Amerikaner ohne entsprechende Rücklagen eine Hypothek bekamen.

Viele können sich keine Mietwohnung leisten

Es bleibt ihnen also nur der Mietmarkt, aber günstige Wohnungen sind in den USA rar. Bauminister Shaun Donovan sprach jüngst von «der schwersten Krise für bezahlbaren Wohnraum in der Geschichte dieses Landes».

Das Budget für Sozialbauten wurde in den vergangenen zehn Jahren um 50 Prozent gekürzt, die Nachfrage nach Sozialwohnungen übersteigt das Angebot bei Weitem. Einer von fünf Haushalten lebt von 20'000 Dollar Jahreseinkommen oder weniger. Die Durchschnittsmiete für eine Dreizimmerwohnung in den USA lag im vergangenen Jahr jedoch bei 1110 Dollar.

Last Exit Trailer-Park. Den ärmsten Amerikanern bleibt oft gar keine andere Möglichkeit, als in eine solche Siedlung zu ziehen. «Wenn Sie die Miete in den Trailer-Parks regelmässig in kleinen Schritten von 20 oder 30 Dollar anheben, wird Ihnen kaum ein Mieter weglaufen», sagt Rolfe.

Zumindest nicht, wenn die Bewohner jung genug seien, um noch einen weiteren Extrajob bei McDonald's oder Wal-Mart anzunehmen. «Rentner leben meist von der Mindestrente von 1200 Dollar monatlich – da müssen Sie vorsichtiger sein.» Selbst wenn bei der Miete für die Bewohner die preisliche Schmerzgrenze überschritten sei, würden nur die allerwenigsten das Weite suchen.

Gemietet wird nur der Stellplatz

Die Trailer gehören nämlich in der Regel den Bewohnern, gemietet wird nur der Stellplatz. Und obwohl die Trailer auch als «Mobile Homes» bezeichnet werden, sind sie keineswegs ohne Weiteres von A nach B zu bewegen. Ein klassischer amerikanischer Trailer hat keine Räder, sondern ist auf Metallstangen aufgebockt.

Man kann ihn zwar mit einem Lastwagen zu einem anderen Standort bringen, das kostet aber 4000 bis 5000 Dollar. Die wenigsten Trailer-Park-Bewohner können sich das leisten. «Ein Trailer-Park ist wie ein Restaurant, bei dem Sie Ihre Gäste an die Tische ketten, sie zwingen, nur bei Ihnen zu essen, und ständig die Preise erhöhen», sagt Rolfe.

Cat McSwain verzieht bei seinen Worten ein wenig die Miene. Die 41-jährige, pummelige Frau in praktischer Multifunktionskleidung ist eigens aus North Carolina eingeflogen, um an Rolfes Seminar teilzunehmen. Sie und ihr Mann betreiben eine Baufirma und wollen sich durch Immobilieninvestments ein zweites Standbein schaffen.

«Als wir von Rolfes Seminar lasen, dachten wir, das könnte das Richtige sein», sagt sie. Trailer-Parks seien mit einem enormen gesellschaftlichen Stigma belastet. «Die meisten Leute trauen sich da nicht ran, daher kann man so hohe Gewinne heben.»

Einige Teilnehmer wollen netter als der Lehrer sein

Rolfes Raubtierkapitalistensprüche gingen ihr dann aber doch eine Spur zu weit: «Ich glaube, wir wollen nettere Parkbesitzer sein als er.» Die Mieten vielleicht doch nicht an die Schmerzgrenze heben, stattdessen womöglich ein paar Annehmlichkeiten für die Bewohner: ein Pool oder ein Spielplatz für die Kinder zum Beispiel.

Rolfe hält von solchen Ideen nichts. «Regel Nummer eins: Lassen Sie Ihre Emotionen zu Hause», rät er den Seminarteilnehmern. Dabei sei es aber schon wichtig, dass die Parks gewisse Mindeststandards einhielten. Sein Spezialgebiet sind besonders heruntergekommene Wohnwagensiedlungen, die er dann mit signifikanten Investments auf Vordermann bringt.

«Man muss Ordnung da reinbringen, sonst benehmen sich die Leute wie Teenager ohne Aufsicht.» Keine Schlaglöcher in den Strassen, gemähter Rasen, geschnittene Bäume, ein ordentliches Eingangsschild, kein Müll und Gerümpel auf der Wiese, alle Trailer bekommen einen frischen Anstrich.

Alles, was nicht unbedingt nötig ist, reisst er dagegen ab. «Spielplätze, Schwimmbäder, Klubhäuser oder Waschräume verursachen nur Ärger und laufende Kosten.»

Jeder Tote kostet eine Million Dollar

Der Zustand der Wasserleitungen sei ihm weitgehend egal, da könne man immer noch nachbessern, wenn bereits ein Notfall eingetreten sei. Ganz anders sei das allerdings bei den Gasleitungen. Die müssten ständig gewartet werden, denn eine Gasexplosion könne richtig teuer werden: «Jeder Tote durch Ihre Fahrlässigkeit kostet Sie im Schnitt eine Million Dollar.»

Hat er denn gar kein schlechtes Gewissen, in seinem Heimatort in Missouri die grösste Villa zu besitzen, während seine Kunden in kleinen Metallkästen leben müssen? Rolfe wird ernst. «Ganz ehrlich, es bricht mir das Herz, wie diese Leute leben», sagt er, und man will ihm gern glauben.

Ein schlechtes Gewissen habe er aber nicht. «Ich bin überzeugt davon, dass wir den Leuten helfen.» Auf dem iPad zeigt er ein Dokument von 50 Briefen und Fotos von Familien, die sich bei Rolfe bedanken.

Vom Getto in den Trailer-Park

Der Tenor ist immer der gleiche: Vorher hätten sie in schrecklichen Wohnungen in den schlimmsten Gettos gewohnt, voll von Ungeziefer und Kriminellen. Rolfes Parks seien dagegen «wie der Himmel auf Erden», schreibt zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter.

Es sei schön, einen Garten zu haben, die eigenen vier Wände und einen Parkmanager, der für Ordnung sorgt. «Von allen möglichen schlechten Alternativen sind wir noch die beste», sagt Rolfe.

Man hätte gern die Bewohner selbst gefragt, aber die trauen sich, eingeschüchtert von der Investorengruppe, nicht aus ihren Wohnwagen. Ein älterer Herr mit Tätowierungen, Feinrippunterhemd und Shorts schaut durch seinen Türspalt, verschwindet aber schnell wieder in seinem Trailer.

Seminarleiter erzählt Anekdoten

«Sie müssen sich damit abfinden, dass Ihre Mieter der Bodensatz der Gesellschaft und viele von ihnen total durchgeknallt sind», sagt Rolfe. Der Seminarleiter ist ein unendlich scheinender Quell verrückter Anekdoten, die er während der Busfahrt übers Mikrofon erzählt.

Seine Lieblingsgeschichte ist folgende: Eines Abends gab es in einem seiner Trailer-Parks einen Schuss. Die Polizei rückte an und suchte nach dem Schützen. Sie fand einen Trailer, der von aussen mit einem Vorhängeschloss verriegelt war. Unter der Eingangstür war ein armbreiter Schlitz, durch den wimmernde Geräusche drangen.

Die Polizisten brachen die Tür auf und fanden einen alten verwahrlosten Mann inmitten von Tellern voll verwester Essensreste. Der Mann hatte versucht, sich zu erschiessen, lebte aber noch. Es stellte sich heraus, dass der Mann Alzheimer hatte. Seine Tochter, eine gut verdienende Ärztin, hatte ihn im Trailer eingesperrt, um die Kosten für das Pflegeheim zu sparen.

Durch den Türspalt schob sie ihm regelmässig Essen rein. Durch denselben Türspalt hatte der Mann aber auch einen Nachbarn überredet, ihm eine Waffe zu geben. «Die Tochter hat ihre gerechte Strafe bekommen», sagt Rolfe. «Ihr Vater überlebte, und seine Pflegekosten sind jetzt noch deutlich höher.»

Waffenlizenz am ersten Arbeitstag

Die Reisegruppe lacht, einige davon herzlich, andere eher peinlich berührt. Rolfe kann nach 18 Jahren im Geschäft nichts Menschliches und Unmenschliches mehr schocken. 1996 stieg er bei seinem ersten Trailer-Park ein, nachdem er – damals gerade 35 Jahre alt – seine Werbeflächenfirma für 5,8 Millionen Dollar verkauft hatte.

Ein früherer Geschäftspartner bot ihm den Glenhaven Park in Dallas, Texas, für 400'000 Dollar an, und «da ich nichts Besseres zu tun hatte, hab ich ihn gekauft», sagt Rolfe. Der Park sollte ihm später beim Verkauf einen Reingewinn von mehr als einer Million Dollar einbringen.

So ganz geheuer war ihm sein neues Geschäft anfangs nicht. An seinem ersten Arbeitstag als Park-Manager besorgte sich Rolfe eine Waffenlizenz und eine Kleinkaliberpistole. «Die hab ich Gott sei Dank bis heute nie benutzen müssen.»

Investor kann nichts mehr schocken

Ein Jahr sass Rolfe jeden Tag von 9 bis 17 Uhr in seinem Büro im Park, bis ihm auffiel, dass er wohl besser einen Manager einstellen sollte. «Seit diesem Jahr kann mich aber trotzdem nichts mehr schocken.»

Er habe eine seltsame Faszination für die Abgründe entwickelt, die sich in seinen Parks auftun. «Ich trinke nicht, ich rauche nicht, ich spiele nicht, ich habe keine Hobbys, ich bin ein langweiliger Typ, aber die Trailer-Parks geben mir einen Kick.»

Der Bus ist jetzt fast wieder am Konferenzhotel angekommen. «Eine Geschichte noch, Frank», fordert einer der Seminarteilnehmer. Frank lacht: «Okay, na gut.»

In seinem ersten Jahr in Glenhaven habe sich ein Mieter beschwert, dass seine Toilette verstopft sei. Rolfe rief also einen Klempner und schaute mit ihm nach dem Rechten. Es stellte sich heraus, dass die Toilette nie mit der Abwasserleitung verbunden worden war. »Die Scheisse hatte über Jahre Meter für Meter den Hohlraum unter seinem Trailer aufgefüllt, bis der voll war.» Über den Gestank habe sich nie jemand gewundert, weil der Trailer neben einer Jauchegrube stand.

Lacher bei den Männern, einige Frauen kreischen laut «Igitt». «Und was ist die Moral von der Geschichte?», ruft ein Seminarteilnehmer von den hinteren Reihen. Da muss Frank Rolfe grinsen: «Dass Sie zwar Trailer-Parks kaufen, sich aber so wenig wie möglich in ihnen aufhalten sollten.»

Dieser Artikel ist ursprünglich in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.