Die Show sitzt. Als Wolfgang Prock-Schauer den Saal im Berliner Hotel Maritim betritt, drehen seine Leute die Musik auf. «I’m making this my world», dröhnt es rockig aus den Lautsprechern. «Yeah, come fly with me.» Zum Gute-Laune-Song von Air Berlin fällt dem Chef das Lächeln leicht, locker posiert der 56-Jährige vor den Kameras, bereit für den Höhepunkt seines Bühnenstücks. Zwei Monate erst führt er die kriselnde Airline, da verkündet der Manager an diesem 20. März schon einen Jahresgewinn – den ersten seit 2007. Doch auch der ist nur Show.

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Ohne einen Millionenzuschuss von Grossaktionär Etihad wäre die zweitgrösste deutsche Airline erneut tief im Minus gelandet – aus Sicht von Insidern drohte dieses Jahr sogar der Crash in einer Pleite. Der Staatscarrier aus dem Emirat Abu Dhabi hat Air Berlin die Mehrheit am Vielfliegerprogramm abgekauft. So konnte Prock-Schauer für 2012 acht Millionen Franken Gewinn verbuchen. Wieder einmal hat Etihad die Airline gerettet, die in Zürich die Nummer zwei hinter Swiss ist – mit Flügen nach Italien, Mallorca, die Türkei und zu den Drehkreuzen Düsseldorf und Berlin; und die in Basel eng mit EasyJet konkurriert. Zumindest vorerst.

Angesichts der tiefen Finanzlöcher bei Air Berlin gehen Etihad-Chef James Hogan die Argumente für neue Rettungsmanöver aus. Auf Prock-Schauer lastet das Risiko, dass die Scheichs die Airline abschreiben. Air Berlins Absturz wäre vorprogrammiert, und Ländern wie der Schweiz käme eine gewichtige Airline abhanden, die etwa im Kampf mit Swiss und EasyJet die Preise drückt. Kaum im Amt, wird es für Prock-Schauer eng, zumal er sich nicht an alle Stellhebel wagt. Er geht hart an die Kosten, baut 900 Jobs ab, streicht unprofitable Strecken. Doch der Österreicher tastet Air Berlins Kernproblem nicht an: das verfehlte Geschäftsmodell, das die Ausgaben hoch hält. Der Mischmasch aus Billig- und Premiumofferten, Linien- und Ferienflügen, Europafokus und Langstrecken droht den Carrier durch die Komplexität zu erdrücken. Keine Airline dieser Grösse hat solch eine Vielfalt von Angeboten, Flugzeugtypen und Kernflughäfen, die das Geschäft äusserst teuer machen.

Fass ohne Boden. Etihad-Chef Hogan hat sich verspekuliert. Mit der deutschen Airline wollte er sich Zugang zu Abflug- und Landerechten in Europa sichern. Sie werden nur an nationale Airlines vergeben, und so kaufte Hogan Ende 2011 knapp 30 Prozent an Air Berlin – einem Carrier kurz vor dem Bankrott. Stetig mussten die Araber Geld nachschiessen: Mehr als 360 Millionen Franken plus einen Kredit über 240 Millionen hat sie das Abenteuer schon gekostet. Air Berlin wurde zur sandigen Piste statt zur schnellen Startbahn.

Wie Air Berlins Chancen schrumpfen, zeigt sich in der Schweiz. So mussten die Berliner gegen die Swiss ihre Waffen strecken. Die Lufthansa-Tochter bot Kampfpreise, um Air Berlin von der Strecke Zürich–Hamburg zu vertreiben, auf der sich lukrative Geschäftskunden tummeln. Swiss-Chef Harry Hohmeister wusste: Air Berlin fehlt der finanzielle Atem, um das Ringen durchzuhalten. Er gewann. Air Berlin strich die Verbindung in die Hansestadt. Genauso konnte Air Berlin die Route Basel–Berlin gegen EasyJet nicht profitabel halten und gab sie auf.

«Etihad war beim Einstieg nicht bewusst, wie schlecht es um Air Berlin stand», sagt einer, der die Firmenspitzen gut kennt. Um die Wende zu schaffen, setzte Hogan zu Jahresbeginn Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn ab. Prock-Schauer soll das Sparprogramm «Turbine 13» weiterführen. Es geht jetzt auch um Hogans Job: Er ist gegenüber dem Emir von Abu Dhabi für den Aufstieg seiner Airline verantwortlich, mit der er die Region als Wirtschaftspfeiler etablieren will.

Der erbitterte Kampf um Marktanteile macht es schwächelnden Kandidaten wie Air Berlin schwer, vom Boden abzuheben. Selbst die Lufthansa und ihre Schweizer Vorzeigetochter Swiss leiden unter den aggressiven Billigairlines und arabischen Carriern derart, dass ihre Gewinne schrumpfen. Während Air Berlin zudem mit 940 Millionen Franken Schulden kämpft und täglich Geld verbrennt, bedrängt die Konkurrenz sie: Lufthansa baut ihre Billigtochter Germanwings zur Waffe in Europa auf, die dort alle dezentralen Flüge übernimmt. Low-Cost-Riese Ryanair plant in Kürze einen grossen Aufschlag in Deutschland, und EasyJet hat Air Berlins Heimat ebenfalls als künftiges Angriffsziel ins Visier genommen.

Verwässerte Marke. Air Berlin macht es ihnen leicht – auch weil die Kunden nicht mehr verstehen, wofür der Brand steht. Billigflüge zum einen, Luxus zum anderen. Auf der Langstrecke etwa fliegt Air Berlin neuerdings mit Etihads Business-Premiumsitzen, damit sich deren verwöhnte Kunden bei Air Berlin wohlfühlen. Extra günstig haben die Araber dafür ihre hochkomfortablen Sitze an den Partner vermietet. Etihad will Air Berlin aufmotzen, denn mit den Zubringerflügen aus Europa sollen Etihads Langstreckenflieger über das Drehkreuz Abu Dhabi gefüllt werden.

Die Konkurrenten von Air Berlin dagegen profitieren von ihrer klaren Positionierung. Ob Lufthansa und Swiss, Ryanair oder EasyJet – sie flaggen sich als Premium- oder Low-Cost-Airlines aus. Das funktioniert, wie die steigenden Passagierzahlen EasyJets in der Schweiz zeigen, die in Genf 38 Prozent Marktanteil hält und in Basel über die Hälfte und so selbst die Swiss in Not bringt. Air Berlin dagegen schafft in Basel nur sieben Prozent Anteil, genauso in Zürich, wo Swiss als Spitzenreiter dominiert. Die britische EasyJet bleibt Zürich wegen der hohen Flughafengebühren fern, die Flughafenchef Thomas Kern gar steigern will. Air Berlin aber hält am Standort fest und baut die Ferienflüge von dort aus.

Mit seinem breiten Angebot kann Prock-Schauer kaum kontern: Seine Kosten liegen bis zu 30 Prozent über denen von EasyJet und Ryanair – wegen der Komplexität der Flotte und der Extrakosten wie in Zürich. Zudem sind gut drei Viertel der Flieger von Air Berlin geleast, weil die Airline in Geldnot Flugzeuge verkaufte. Die teuren Leasingverträge belasten die Bilanz. Zusätzlich treiben Interkontinentalflüge die Personalkosten.

Heikle Strategie. Prock-Schauer scheut davor zurück, die von Gründer Joachim Hunold eingepflanzte Idee des Komplettanbieters aufzugeben. Es komme darauf an, alles mit einem einheitlichen Businessmodell anzubieten, argumentiert er. Gelungen ist dieser Spagat keinem Carrier. «Auf der Kurzstrecke befindet sich Air Berlin in Konkurrenz zu den günstigeren Low-Cost-Carriern wie Ryanair. Auf der Langstrecke muss sich Air Berlin neben den Touristikspezialisten wie Condor auch gegen starke Netzwerkcarrier wie Lufthansa oder Emirates zur Wehr setzen», skizziert Jürgen Ringbeck, Luftfahrtberater bei Booz & Company, das Problem. Allianzen und Partnerschaften wie mit Etihad seien wertvoll, «lösen aber nicht das Kernproblem eines weniger fokussierten Hybrid-Carriers».

Kein Wunder, dass der neue Air-Berlin-Chef strategische Schnitte ausblendet. Air Berlin ist in keinem Segment so stark, dass sich der Fokus darauf anbieten würde. Prock-Schauer müsste den Carrier von Grund auf umbauen – dabei waren Strategiethemen nie sein Steckenpferd. «Ihm fehlt die Erfahrung dafür», sagt einer, der mit Prock-Schauer zusammenarbeitete. Einst in der Führung von Austrian Airlines bestimmte nicht er den strategischen Kurs. Als Chef der indischen Jet Airways gab der Eigentümer der Airline die Richtung vor, und Prock-Schauer konnte in einem starken Wachstumsmarkt leicht gute Zahlen vorlegen, musste sich nicht um ruinöse Preiskämpfe scheren. Bei Lufthansas Krisentochter British Midland (BMI) versagte er als Krisenmanager, die Airline wurde abgewickelt. «Neue Strategien analysierte er nicht, sondern folgte eher seiner bisherigen Meinung», erinnert sich eine Führungskraft an die Zeit bei BMI.

Jetzt definiert Prock-Schauer die USA als «strategischen Wachstumsmarkt». Pläne, die Experten für fraglich halten. Die Marke Air Berlin sei ausserhalb Europas unbekannt, und der Aufbau des Netzes sowie der Interkontinental-Verkehr kosteten zu viel. Nicht umsonst geht die erfolgreiche EasyJet von Europa aus nicht weiter als nach Marokko und Ägypten.

Rechtliche Risiken. «Schnelle Erfolge wird es nicht geben», drückt Prock-Schauer selbst die Erwartungen. Dennoch will er ab 2014 kontinuierlich Gewinne abliefern. Dafür kämpft er sein Sparprogramm durch, das die Kosten um bis zu 550 Millionen Franken senken soll. Von Etihad kann er kaum mehr Finanzhilfe erwarten, wenn sein Plan misslingt – Air Berlins Tafelsilber ist mit der Mehrheit am Meilenprogramm weg.

Die Araber dürfen ihren Anteil auch nicht erhöhen, denn Air Berlin stünde dann unter ihrer Kontrolle und verlöre die an eine deutsche Besitzerschaft gebundenen Verkehrsrechte. Schon wittern Manager der Konkurrenz eine faktische Kontrolle Etihads über Air Berlin, was die Rechte ebenfalls angreifbar machen würde. Sie haben das Gefühl, Etihad bestimme Air Berlin und es brauche nur einen, der dagegen vor Gericht zieht.

Wie ein Damoklesschwert hängt der Vorwurf über den Partnern. Denn schon bei der Streckenplanung agiert Air Berlin ganz nach der Fasson ihres Grossaktionärs: So lenken die Berliner Asien-Routen über das Drehkreuz Abu Dhabi, damit Etihad ihre Flieger füllen kann. Dafür hat Air Berlin etwa die lukrative Direktverbindung nach Bangkok gestrichen. Bauen die Partner solche Deals stark aus, könnte es heikel werden. Zumal Hogan laut Firmenkennern seine Manager auch noch bei dem eingekauften Krisenfall in Berlin platziert hat, um das Investment doch profitabel zu machen. Ein enger Kenner der Air Berlin spürt die Nervosität: «Es ist eine Zitterpartie von Quartal zu Quartal.»